Der Digital Services Act („DSA“, in der offiziellen deutschen Übersetzung Gesetz über Digitale Dienste) wurde heute, am 27. Oktober 2022, im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (siehe hier). Der DSA ergänzt den wettbewerbsrechtlich ausgerichteten Digital Markets Act, der erst kürzlich am 12. Oktober 2022 veröffentlicht wurde, und ist ein weiterer Baustein in der Strategie der Europäischen Kommission („Kommission“), den digitalen Raum umfassender zu regulieren und ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Nutzer und der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Marktes herzustellen.
Wie wir kürzlich ausführlicher dargelegt haben, richtet sich der DSA insbesondere an große Technologieunternehmen in Form „sehr großer Online-Plattformen“ oder „sehr großer Online-Suchmaschinen“ mit monatlich mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern und erlegt ihnen detaillierte organisatorische und prozedurale Pflichten im Hinblick auf den transparenten Umgang mit und die Bekämpfung von illegalen Online-Inhalten auf.
Der DSA behält die in der E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 festgelegten Haftungsgrundsätze für Anbieter von Vermittlungsdiensten, die Informationen über Kommunikationsnetze an Nutzer in der EU übermitteln, zwischenspeichern oder hosten (extraterritoriale Anwendung) überwiegend bei, geht aber weit über die Richtlinie hinaus, indem grundlegende Transparenzanforderungen eingeführt werden, die für alle Anbieter von Vermittlungsdiensten gelten sollen. Somit erfasst der materielle Anwendungsbereich des DSA wohl weit mehr als die „typischen“ Anbieter von Vermittlungsdiensten, wie soziale Medien oder Content-Plattformen.
Die Anbieter von Hosting-Diensten werden verpflichtet, Melde- und Abhilfeverfahren einzurichten, die es Dritten ermöglichen, die Anbieter auf leicht zugängliche und benutzerfreundliche Weise über illegale Inhalte zu informieren. Die Moderation solcher Inhalte muss in transparenter Weise dokumentiert und begründet werden.
Der DSA verpflichtet Online-Plattformen, die keine Kleinst- oder Kleinunternehmen sind, zudem zur Einführung eines ausgeklügelten internen Beschwerdemanagementsystems für Nutzerbeschwerden. Können Verbraucher über die Online-Plattformen Fernabsatzverträge mit einem Unternehmer abschließen, müssen die Online-Plattformen bestimmte KYBC-ähnliche Pflichten erfüllen, um sicherzustellen, dass der Unternehmer nachverfolgbar ist, und sie müssen ihre Benutzeroberfläche so einrichten, dass der Unternehmer seine eigenen Transparenzverpflichtungen einhalten kann (sogenannte „Compliance by Design“).
Die Beschränkungen bestimmter personalisierter Werbung, die sich insbesondere an Minderjährige richtet oder sensible personenbezogener Daten und sogenannte „Black-Pattern-Praktiken“ wie Nudging verwendet, werden sich wahrscheinlich auch über den materiellen Anwendungsbereich des DSA hinaus auswirken. Denn Datenschutzaufsichtsbehörden werden diese rechtliche Entwicklung wahrscheinlich zur Stärkung ihrer eigenen Durchsetzungsbemühungen gegen alle in der Werbewirtschaft tätigen Akteure nutzen.
Der DSA tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung, d.h. am 16. November 2022 in Kraft. Er gilt dann ab dem 17. Februar 2024. Für „sehr große Online-Plattformen“ und „sehr große Online-Suchmaschinen“ gilt der DSA möglicherweise noch früher, nämlich vier Monate nach der Mitteilung, dass sie von der Kommission als solche benannt wurden.
Während die Kommission nun ihre Benennung „sehr großer Online-Plattformen“ und „sehr großer Online-Suchmaschinen“ vorbereiten wird, müssen die EU-Mitgliedstaaten zunächst entscheiden, ob sie bestehende Behörden als Aufsichtsbehörden im Rahmen des DSA benennen (die so genannten Koordinatoren für digitale Dienste) oder zu diesem Zweck neue Behörden einrichten werden. In einigen Staaten wie Deutschland und Frankreich haben die Datenschutzaufsichtsbehörden bereits ihr Interesse bekundet, auch die Rolle der Koordinatoren für digitale Dienste zu übernehmen.
Verstöße gegen den DSA können erhebliche Geldbußen nach sich ziehen, die bis zu 6 % des gesamten weltweiten Jahresumsatzes betragen können und damit sogar die Höchststrafen nach der Datenschutzgrundverordnung („DSGVO“) übersteigen. Im Rahmen des im DSA vorgesehenen Beschwerderechts ist auch eine Zunahme der Klagen von Einzelpersonen/Verbrauchern sowie von Verbraucherschutzorganisationen wahrscheinlich, insbesondere angesichts der jüngsten Rechtsprechung zur Parallelvorschrift in der DSGVO und der bevorstehenden Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie in vielen EU-Mitgliedstaaten. Darüber hinaus wurde mit der finalen Fassung des DSA ein neues Recht auf Entschädigung der Nutzer von Vermittlungsdiensten für die Schäden oder Verluste eingeführt, die durch einen Verstoß des Anbieters gegen seine Verpflichtungen aus dem DSA entstanden sind.
Unternehmen, die digitale Dienste anbieten, sind daher gut beraten, die verbleibende Zeit zu nutzen, um zu prüfen, ob sie in den weiten Anwendungsbereich des DSA fallen, und, falls ja, ihre technischen und organisatorischen Strukturen anzupassen und/oder zu ergänzen, damit sie bis zum 17. Februar 2024 zur Einhaltung des DSA in der Lage sind.