
In Zeiten aktueller geopolitischer Spannungen und militärischer Konflikte spitzt sich die sicherheitspolitische Lage Europas zu. Inzwischen besteht breiter politischer Konsens, dass es für Europa notwendiger denn je ist, die eigenen militärischen Fähigkeiten zu stärken, um vor wachsenden Bedrohungen geschützt zu sein. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Unternehmen der Verteidigungsindustrie zu. An ihnen liegt es, die hohe Nachfrage nach Rüstungsgütern zu bedienen. Die Branche ist entsprechend von einem deutlichen Wirtschaftsaufschwung erfasst und wird dadurch auch für Unternehmen ziviler Industriezweige interessant. Für sie ergeben sich (Wachstums-)Chancen, aber auch rechtliche Herausforderungen beim Einstieg in den hochregulierten Verteidigungssektor. Denn im Verteidigungssektor sind zahlreiche Besonderheiten aus verschiedenen Rechtsgebieten zu beachten.
Verteidigungssektor als (Wachstums-)Chance
Gewichtige Stimmen aus der deutschen Industrie fordern, das bislang ungenutzte Potential der gesamten Industrie zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit auszuschöpfen, und ermutigen bislang nicht im Verteidigungssektor tätige Unternehmen, die besonderen Herausforderungen dieses Geschäftsfeldes aktiv anzugehen. Diese Aufforderung trifft in doppelter Hinsicht einen Nerv: Zum einen kann die breite Integration solcher Unternehmen, die bislang nicht oder kaum im Verteidigungsbereich tätig waren, einen Beitrag zur Herstellung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und seiner Bündnisse leisten. Zum anderen bietet die Erschließung dieses Geschäftsfelds gerade Unternehmen, deren Kapazitäten aufgrund aktueller Krisen in verschiedenen Industriesektoren nicht ausgelastet sind, eine strategische Entwicklungsmöglichkeit. Dies könnte insbesondere für die Automobil- und Zulieferbranche interessant sein.
Rechtliche Herausforderungen in einem hochregulierten Sektor
Neben der Chance, neue Geschäftsfelder zu erschließen, müssen sich Unternehmen ziviler Industriezweige, die in die Verteidigungsindustrie einsteigen, aber auch erheblichen Herausforderungen stellen. Sie müssen sich nicht nur mit ihrer Corporate Governance und ihren ethischen Wertvorstellungen auseinandersetzen, sondern auch zahlreiche regulatorische Vorgaben beachten: Die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie ist ein hochregulierter Sektor, der im Hinblick auf die Dichte und Einzigartigkeit der gesetzlichen und behördlichen Einflussnahme mit kaum einem anderen Industriezweig zu vergleichen ist.
- Besonderheiten bestehen beispielsweise im Vergaberecht. Selbst wenn ein Unternehmen bereits durch frühere Aufträge der öffentlichen Hand mit den speziellen Verfahrensarten des Vergaberechts und den Mechanismen des vergaberechtlichen Rechtsschutzes vertraut ist, gelten für Verteidigungs- und Sicherheitsaufträge zahlreiche Besonderheiten. Außerdem wird im Zuge der Zeitenwende zunehmend auf Ausnahmeregelungen zurückgegriffen, um die Beschaffung zu beschleunigen. Vermehrt setzt die Bundeswehr auf Direktvergaben (so im zugrundeliegenden Fall der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. Dezember 2023, Az. Verg 22/23, besprochen in unserem Podcast Defense & Security Briefing – Verteidigungsvergaberecht | Gleiss Lutz). Für das beauftragte Unternehmen hat das den Vorteil, ohne aufwendiges Vergabeverfahren einen Auftrag zu erhalten. Für Mitbewerber allerdings birgt die Direktvergabe die Gefahr, übergangen zu werden. Auch ist ihnen Rechtsschutz gegen die Vergabe erschwert, insbesondere wenn sie wegen mangelnder Transparenzerfordernisse gar keine Kenntnis von dem Auftrag erlangen (Defense & Security Briefing – Rechtsschutz bei Verteidigungsvergaben | Gleiss Lutz).
- Außerdem ist die Bundeswehr als öffentlicher Auftraggeber an das öffentliche Preisrecht gebunden. In der Praxis hat dies zur Folge, dass Unternehmen, die Verträge mit der Bundeswehr schließen, ihre Bilanzierung an preisrechtlichen Nachweispflichten ausrichten und häufig Rückstellungen bilden, um sich auf mögliche Preisprüfungen und mögliche Rückforderungen nach Vertragsschluss vorzubereiten.
- Aus dem Bereich des Geheimschutzes muss sich ein Unternehmen, das mit militärischen Entwicklungen betraut ist, auf Sicherheitsüberprüfungen seiner Mitarbeiter einstellen. Auch muss es Sicherheitsvorkehrungen treffen, wenn es mit Staatsgeheimnissen in Berührung kommt. Besondere Vorschriften zum Umgang mit Verschlusssachen enthält das „Geheimschutzhandbuch für die Wirtschaft“ („GHB“), das ein Unternehmen z.B. bei Vertragsbeziehungen mit der Bundeswehr beachten muss. So soll sichergestellt werden, dass Verschlusssachen durch technische und organisatorische Maßnahmen tatsächlich geschützt werden und nur Personen Zugriff auf Verschlusssachen haben, die eine entsprechende Ermächtigung haben. Außerdem sind besondere Vorschriften zur Sicherheit beim Einsatz von IT vorgesehen (Näheres in unserem Podcast Defense & Security Briefing – Cybersecurity in der Verteidigungsindustrie (Teil 1) | Gleiss Lutz).
- Stets im Blick zu behalten ist bei der Produktion von Rüstungsgütern außerdem das Kriegswaffenkontrollrecht. Sobald ein Produkt in die Kategorie der Kriegswaffen fällt, sind Genehmigungen erforderlich. So stellt beispielsweise die Herstellung einer Kriegswaffe ohne Genehmigung ein Verbrechen dar, das mit hohen Freiheitsstrafen geahndet werden kann. Um sich davor zu schützen, ist die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften essenziell.
- Wird die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, die vielleicht bereits in der Rüstungsbranche etabliert sind, angestrebt, ist darüber hinaus das Kartellrecht nicht zu vernachlässigen. Kooperationen und Joint Ventures, für die kartellrechtliche Vorschriften gelten, sind gerade in der Verteidigungsindustrie weit verbreitet. Wettbewerbsbeschränkungen müssen hier vermieden oder gerechtfertigt werden. Zudem sind die Grenzen für den Austausch wettbewerblich sensibler Informationen unter (potenziellen) Wettbewerbern einzuhalten und eine Kartellrechts-Compliance muss organisiert werden.
- Auch muss sich ein Unternehmen, das in die Produktion von Rüstungsgütern einsteigt, der Auswirkungen auf andere Geschäftsbereiche bewusst sein. Im Hinblick auf Finanzierungsmöglichkeiten ist das Verhältnis der Rüstungsindustrie zur Nachhaltigkeit ein komplexes Thema, in das nicht zuletzt im vergangenen Jahr Bewegung gekommen ist. So waren Rüstungsunternehmen z.B. jahrelang von ESG-Fonds grundsätzlich ausgeschlossen. Im Mai 2024 veröffentlichte die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA nun Leitlinien (Guidelines on funds' names using ESG or sustainability-related terms), die bestimmen, dass als nachhaltig bezeichnete Fonds einen Anteil von 20% beliebig investieren dürfen und nur „umstrittene Waffen“, also völkerrechtlich geächtete Waffen, ausgeschlossen sind.
- Zudem ist Private Equity jedenfalls in Europa im Sicherheits- und Verteidigungssektor traditionell unterinvestiert. Hier liegt großes Potential, soll Private Equity doch global über sog. Dry Powder, also Kapitalzusagen von Investoren, von mehr als USD 3,5 Billionen verfügen. Allerdings unterliegen Investitionen im Sicherheits- und Verteidigungsbereich außenwirtschaftlichen Beschränkungen, die ausländische Fonds oder Fonds mit relevanter ausländischer Investorenbasis treffen und nicht nur beim Einstieg, sondern auch bei einem späteren Exit aus einem Investment relevant werden können (Näheres dazu in unserem Beitrag Private Equity und die Verteidigungsindustrie, Europäische Sicherheit & Technik, 03/2025, S. 38). Diese Beschränkungen gelten natürlich auch bei allen anderen M&A-Transaktionen mit Cross Border-Einschlag.
Fazit
Der Einstieg in den Sicherheits- und Verteidigungssektor setzt ein präzises Navigieren durch ein komplexes regulatorisches Umfeld voraus. Dies sollte Unternehmen jedoch nicht davon abhalten, in die Verteidigungsindustrie einzusteigen, wenn der jetzige Zeitpunkt passend ist, um sich in einer innovationsorientierten und wachstumsstarken Branche zu etablieren.
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