Öffentliches Recht

Rechtsprechungsupdate 2024/II: Windenergieanlagen an Land in der gerichtlichen Praxis

Die hohen Genehmigungszahlen für Windenergie an Land in den letzten Monaten ziehen einige Gerichtsentscheidungen nach sich. So hat sich auch nach der Veröffentlichung der Rechtsprechungsübersicht 2024/I (Beitrag vom 24. Juli 2024) die Rechtsprechung zur Windenergie mit einigen ober- und höchstgerichtlichen Entscheidungen weiterentwickelt. Wir fassen einige Entscheidungen in der Rechtsprechungsübersicht 2024/II zusammen. 

Artenschutz – Abschaltverfügungen bei der nachträglichen Ansiedlung geschützter Arten

Bereits Ende 2023 (Urteil vom 19. Dezember 2023, Az. 7 C 4/22) hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass sich das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht in einer einmalig einzuhaltenden Genehmigungsvoraussetzung erschöpft, sondern dynamische Anforderungen an den Betrieb einer Anlage stellt. Während der Betriebszeit einer Anlage können sich artenschutzrechtliche Anforderungen dadurch erhöhen; einen Bestandsschutz der Genehmigung gibt es insoweit nicht. Aufgrund dieses Urteils wuchs bei den Anlagenbetreibern die Besorgnis, dass für Bestandsanlagen künftig aufgrund der nachträglichen Ansiedlung geschützter Arten Abschaltverfügungen ergehen könnten. Unter ausdrücklichem Hinweis auf das BVerwG-Urteil erhielt ein Anlagenbetreiber in Mecklenburg-Vorpommern eine entsprechende Abschaltverfügung, weil sechs Jahre nach Erteilung der Genehmigung in unmittelbarer Nähe der Windenergieanlage ein Fischadlerpaar einen Horst errichtet hatte.

Das OVG Mecklenburg-Vorpommern setzte diese Abschaltungen mit einem Beschluss vom 26. Juni 2024 (Az. 5 KM 192/24) vorläufig aus. Die Behörde hätte nicht beachtet, dass nicht nur die Neuansiedlung des Fischadlers eine geänderte Sachlage sei, sondern sich die Rechtslage in Bezug auf den Klimaschutz deutlich verändert habe. Es nahm dabei Bezug auf den im Jahr 2022 eingeführten § 2 EEG. Das darin festgesetzte überragende öffentliche Interesse an der Errichtung und dem Betrieb (u.a.) von Windenergieanlage müsse auch bei der Bewertung der geänderten Sach- und Rechtslage herangezogen werden. Der Ansiedlung des Fischadlers und das damit verbundene artenschutzrechtliche Eingreifen müsse gegenüber dem gesetzlich festgelegten, überragenden Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien abgewogen werden. Hier setzt sich – jedenfalls in der vorläufigen Entscheidung des Gerichts – der Klimaschutz durch und das Gericht hob die Abschaltverfügung u.a. deswegen auf, da die Windenergienutzung und der damit verbundene Klimaschutz langfristig auch dem Artenschutz diene. Das Gericht stellt in seine Bewertung ein, dass das unkalkulierbare (Investitions-)Risiko einer nachträglichen Ansiedlung einer geschützten Vogelart und eine daraus folgende Abschaltverfügung einen erheblichen negativen Effekt für den Ausbau der Windenergie haben können. Das Gericht verglich Bestandsanlagen auch mit bestehenden Straßen oder Stromleitungen – auch hier würde sich nicht die Frage stellen, bei der nachträglichen Errichtung eines Brutplatzes Straßen zu sperren oder den Strom abzustellen.

Verkehrspolitik – Windenergieanlagen an Fernstraßen

Dem Urteil vom 16. Juli 2024 des OVG Berlin-Brandenburg (Az. 7 A 7/24) lag eine Versagung der beantragten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen zugrunde. Für die Versagung der Genehmigung stützte sich die Behörde darauf, dass die geplanten Windenergieanlagen die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs auf der angrenzenden Bundesautobahn beeinträchtigen würden (§ 9 FStrG). Der konkrete Standort der beantragten Windenergieanlagen, deren Höhe und ihre geringen Abstände zur Autobahn würden zu Beeinträchtigungen des Verkehrs führen. Zudem entstehe durch die Bewegung der Rotorblätter eine die Autofahrer ablenkende Wirkung. 

Nach Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg war die Ablehnung des Genehmigungsantrags rechtswidrig. Das begründet das Gericht vor allem mit Verweis auf den neuen § 9 Abs. 2b FStrG, der eine generelle Gewichtungsverschiebung hin zu einer weiteren Stärkung des für Windenergieanlagen geltenden Vorrangprinzips auch im fernstraßenrechtlichen Kontext vornehme. Dies zeige der Verweis der Vorschrift auf die gesetzliche Gewichtungsvorgabe des § 2 EEG. Darüber hinaus scheitere die Genehmigung nicht an bestehenden Ausbauabsichten der Straßenbaubehörde, weil dafür ein beachtlicher Planungsstand erreicht sein müsse, für die eine abstrakte Absicht und „Wunschplanung“ nicht ausreiche. Selbst wenn eine ausreichend konkretisierte Ausbauabsicht gegeben wäre, sei aber angesichts der eindeutigen Entscheidung in § 2 EEG eine Abwägung zwischen dieser und dem überragenden öffentlichen Interesse am Ausbau der Windenergie erforderlich. Auch eine Sicherheitsgefährdung der Bundesautobahn könne dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden. Auf die genannten Risiken könne jedenfalls durch Nebenbestimmungen in geeigneter Weise reagiert werden, sodass eine vollständige Ablehnung rechtswidrig sei. 

Planungsrecht – Aussetzungsentscheidung während der Ausarbeitung von Regionalplänen

Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen möchte bis zum Jahr 2025 Regionalpläne ausarbeiten, in denen Windenergiezonen für den Betrieb von Windenergieanlagen festgelegt werden sollen. Vor diesem Hintergrund wurde im Sommer § 36 Abs. 3 LPlG NRW erlassen, auf dessen Grundlage Bezirksregierungen die Genehmigungsbehörde im Einzelfall anweisen können, die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben der Windenergie auszusetzen. Für eine solche Aussetzung ist erforderlich, dass die Regionalplanung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Diese Aussetzungsmöglichkeit soll mehr Zeit zur Ausarbeitung der Regionalpläne schaffen. Auf Grundlage dieser Vorschrift werden aktuell in Nordrhein-Westfalen viele Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen ausgesetzt. 

Das OVG Münster hat nun in mehreren Eilentscheidungen, unter anderem vom 26. September 2024 (Az. 22 B 727/24.AK), entschieden, dass die Anweisungen auf der Grundlage des § 36 Abs. 3 LPlG NRW in den jeweiligen Fällen zu Unrecht ergangen sind. Das OVG Münster hat bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des § 36 Abs. 3 LPlG NRW, weil dieser gegen das BImSchG verstoße, sodass es wohl schon an einer gesetzlichen Grundlage für die Anweisung fehle. Darauf kam es in der Begründung des Gerichts aber nicht an, denn auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 LPlG NRW lägen in den konkreten Fällen nicht vor. Eine Einzelanlage in Alleinlage erschwere das laufende Regionalplanänderungsverfahren nicht wesentlich, weil solche Einzelanlagen nur Bruchteile des Plangebietes in Anspruch nehmen würden. Außerdem sei die Entscheidung der Bezirksregierung offensichtlich ermessensfehlerhaft. Dabei stellt das Gericht auch fest, dass mit der Aussetzung des Verfahrens der weitere Ausbau der Windenergie verzögert und damit entgegen § 2 EEG gebremst würde. Dem Land dürfe aber nicht die Befugnis zukommen, die gesetzliche Gewichtungsvorgabe des § 2 EEG zu beschneiden; vielmehr sei es daran selbst gebunden.

Landschaftsschutz – Kompensation von Landschaftseingriffen durch Windenergieanlagen

Gemäß § 13 Satz 1 BNatSchG sind Eingriffe in das Landschaftsbild grundsätzlich zu vermeiden. Der Landschaftsschutz stellt zwar ein Schutzziel des BNatSchG dar, ein fester Hinderungsgrund ist der Landschaftsschutz aufgrund von § 26 Abs. 3 BNatSchG für Windenergievorhaben aber nicht. Als Ausgleich für landschaftliche Eingriffe sehen §§ 13 Satz 2, 15 Abs. 2 BNatSchG vorrangig Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen vor. Lediglich wenn solche Maßnahmen nicht möglich sind, sind die Eingriffe durch einen Ersatz in Geld zu kompensieren. 

Die Länder können weitere Vorschriften zur Ausgestaltung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen erlassen, die fortgelten, solange der Bund von seiner Kompetenz in § 15 Abs. 7 BNatSchG keinen Gebrauch gemacht hat. Daher gilt in Brandenburg der "Kompensationserlass Windenergie". Aus diesem folgt, dass nur der Rückbau von (anderen) Hochbauten oder Windkraftanlagen eine taugliche Ersatzmaßnahme darstellt und ansonsten Ersatzzahlungen zu leisten sind. Ein Anlagenbetreiber versuchte – entgegen dem Erlass – unterschiedliche Ersatzmaßnahmen (u.a. Bepflanzungen und den Abriss eines Stallgebäudes) als Kompensation für die geplante Windenergieanlage ausreichen zu lassen, um kein Ersatzgeld zahlen zu müssen. Dies wurde von der Genehmigungsbehörde abgelehnt und diese Entscheidung hielt der gerichtlichen Kontrolle des OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 31. März 2023, Az. 3a A 47.23 u.a.) (zunächst) stand. Das Gericht begründete seine Entscheidung vor allem damit, dass nur der Rückbau einer vergleichbaren Anlage die Eingriffe in das Landschaftsbild ausgleichen könne (Äquivalenzgrundsatz); sei dies nicht möglich bzw. nicht geplant, sei eine Ersatzzahlung zulässig. 

In der Revision wurde diese Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht aufgehoben (Urteile vom 12. September 2024, Az. 7 C 3.23 und 7 C 4.23). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kommt als Ersatzmaßnahme nicht nur der Rückbau eines vergleichbaren Bauwerks in Betracht. Es sei gerade nicht ausgeschlossen, dass auch andere Maßnahmen den Landschaftswert steigern könnten. Genügend für Ersatzmaßnahmen bei Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes sei eine gleichwertige Herstellung der betroffenen Funktionen; eine gleichartige Herstellung würde gerade nicht gefordert. Damit stellt das Gericht die Verwaltungspraxis vieler Länder in Frage, bei denen entsprechende Kompensationserlasse nur den Rückbau einer vergleichbaren Anlage als Ersatzmaßnahme vorsehen und ansonsten nur ein Ersatz in Geld zugelassen ist. In der Praxis hat dies bislang zur Folge, dass Anlagenbetreiber im Genehmigungsantrag andere nach § 15 Abs. 2 BNatSchG geeignete Maßnahmen nicht identifizieren müssen, sondern einen Ausgleich durch eine Ersatzzahlung herbeiführen konnten. 

Zusammenfassung

Auch im zweiten Halbjahr zeigt sich, dass der § 2 EEG eine wesentliche Rolle in der gerichtlichen Praxis spielt. Das in § 2 EEG gesetzlich vorgesehene Prinzip, wonach die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse liegen, wird in der hier aufgezeigten gerichtlichen Praxis sowohl im Artenschutzrecht, Planungsrecht und Fernstraßenrecht herangezogen. Für die Anlagenbetreiber wird dieses gesetzliche Prinzip damit zu einem wesentlichen Argument in streitigen Verfahren; das gilt auch bezüglich Genehmigungsentscheidungen, die noch vor Inkrafttreten des § 2 EEG gefasst wurden.

Zudem muss sich in der Praxis noch zeigen, welche konkreten Auswirkungen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Landeserlassen haben wird. Hier zeichnet sich ab, dass Anlagenbetreiber die Möglichkeit (und ggf. auch die Pflicht) haben, weitere materielle Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen (und ggf. auch eine dingliche Sicherung der Flächen zu versuchen) bevor sie eine Ersatzzahlung leisten können. Das wird auch den Prüfungsaufwand der Genehmigungsbehörden erhöhen, die nun nicht mehr so leicht darauf verweisen können, dass nur der Rückbau einer Altanlage eine hinreichend adäquate Ersatzmaßnahme sei. 

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