Die Rechtsprechung zu Windenergieanlagen entwickelt sich aufgrund von Gesetzesänderungen und der Vielzahl an Planungs- und Genehmigungsentscheidungen sehr dynamisch. Gerichte berücksichtigen dabei zunehmend auch den durch § 2 EEG eingeführten gesetzlichen Vorrang der erneuerbaren Energien. Für die Windenergiebranche sind in der ersten Hälfte 2024 bereits beachtliche obergerichtliche Entscheidungen ergangen. Wir fassen einige davon zusammen.
Die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen an Land berührt regelmäßig einige öffentliche und private Interessen, die mit den Belangen der Windenergienutzung abgewogen werden müssen. Bei dieser Abwägung haben Behörden den vor zwei Jahren eingeführten § 2 EEG zu berücksichtigen, wonach die Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse stehen. Die Norm entfaltet Auswirkungen sowohl im Planungsrecht, in der Genehmigungsentscheidung als auch in sonstigen ordnungsrechtlichen Behördenentscheidungen (Beitrag vom 22. November 2023). Aufgrund der Vielzahl möglicher Abwägungen, auf die § 2 EEG Einfluss haben könnte, lohnt ein Blick auf die aktuelle gerichtliche Praxis zur Auslegung der Norm. Aber auch jenseits dessen, haben die Obergerichte Entscheidungen über Fallkonstellationen getroffen, die bei der Planung von Windenergieanlagen wiederholt von Bedeutung sind.
Planungsrecht – Höhenbegrenzungen für Windenergieanlagen im Bebauungsplan
Dem Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 23. April 2024 (Az. 2 K 73/22) lag ein Bebauungsplan von 2021 zugrunde, der ein Sondergebiet mit der Zweckbestimmung „Windpark und Landwirtschaft“ festsetzte, das dem Betrieb von Windkraftanlagen und der landwirtschaftlichen Nutzung dienen sollte. Die zulässige Höhe der Windkraftanlagen begrenzte der Plan allerdings auf 100 Meter. Diese Höhenbegrenzung wurde erfolgreich durch eine Normenkontrolle nach § 47 Verwaltungsgerichtsordnung („VwGO“) angegriffen.
Das Gericht erachtete den Bebauungsplan als materiell rechtswidrig, da es ihm an dem gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 Baugesetzbuch („BauGB“) erforderlichen Planerfordernis mangele. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Nicht erforderlich sind jedoch solche Bauleitpläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich eine positive Zielsetzung nur vorgeschoben wird, um eine in Wahrheit auf bloße Verhinderung gerichtete Planung zu verdecken (Verbot der ausschließlichen Verhinderungsplanung, stRspr.). Der dem OVG Sachsen-Anhalt vorliegende Bebauungsplan enthielt eine solche verbotene Verhinderungsplanung: Er diente, so das Gericht, nicht der vorgeschobenen Ermöglichung der Ansiedlung von Windkraftanlagen, sondern deren Verhinderung. Die Höhenbegrenzung führe dazu, dass die Errichtung von Windenergieanlagen im Plangebiet faktisch ausgeschlossen wird, Anlagen mit einer Gesamthöhe von lediglich 100 Meter seien auf dem Markt nicht mehr erhältlich und könnten auch nicht wirtschaftlich errichtet und betrieben werden. Marktübliche und konkurrenzfähige Windenergieanlagen wiesen derzeit eine durchschnittliche Gesamthöhe von 206 Metern auf. Eine Planung von Windkraftanlagen, mit deren Errichtung aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu rechnen sei, komme daher einer Verhinderungsplanung gleich.
Verteidigungspolitische Belange
Ein bei Errichtung und Betrieb von Windenergieanlagen an Land häufig betroffener öffentlicher Belang sind zivile und militärische luftverkehrsrechtliche Belange. In dem vom OVG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 16. Februar 2024 entschiedenen Fall (Az. 22 D 150/22.AK) wurde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb von Windenergieanlagen mit der Begründung abgelehnt, dass die zuständige Luftfahrtbehörde ihre Zustimmung nach §§ 12, 14 Luftverkehrsgesetz („LuftVG“) verweigerte, da die geplanten Windenergieanlagen den militärischen Luftverkehr gefährdeten. Im konkreten Fall ging es um eine möglicherweise beeinträchtigte militärische Tiefflugstrecke.
Das OVG Nordrhein-Westfalen entschied, dass eine konkrete Gefahr für die Sicherheit des Luftverkehrs vorliegen müsse und die hypothetische Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses nicht ausreiche. Zudem müsse die Bundeswehr auch die militärischen Belange mit den entgegenstehenden zivilen Belangen abwägen. Dazu gehöre auch die Abwägung, inwieweit den Teilnehmern am Luftverkehr zugemutet werden kann, ihr Verhalten oder Vorhaben zu ändern. In diese Abwägung sei auch § 2 EEG einzustellen. § 2 S. 3 EEG bestimme dabei lediglich, dass die erneuerbaren Energien gegenüber Belangen der Landes- und Bündnisverteidigung nicht vorrangig seien; verteidigungspolitische Belange und die Belange der erneuerbaren Energien seien aber als gleichrangig anzusehen, da § 2 S. 1 EEG von der Einschränkung in Satz 3 unberührt bleibe. Anhand dieses Maßstabes könne im konkreten Fall nicht nachvollzogen werden, inwiefern eine konkrete Gefährdung des Tiefflugkorridors bestehe. Zusätzlich sei der nicht verbindlich festgelegte Tiefflugkorridor hier jedenfalls nicht alternativlos.
Naturschutzrecht – Windenergieanlage in Vogelschutzgebiet
Neben luftverkehrsrechtlichen Belangen sind auch naturschutzrechtliche Belange bei der Errichtung von Windenergieanlagen typischerweise betroffen. Das OVG Rheinland-Pfalz macht in seinem Urteil vom 8. Februar 2024 (Az. 1 C 10470/22.OVG) Ausführungen dazu, welche Auswirkungen § 2 EEG in der Prüfung der Ausnahmeerteilung nach § 34 Abs. 3 Bundesnaturschutzrecht („BNatSchG“) entfaltet. Dem Urteil lag ein Ablehnungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen in einem Vogelschutzgebiet zugrunde. Das Gericht stellte fest, dass die Windenergieanlagen zwar geeignet seien, die Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes nachteilig zu berühren und daher nach § 34 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich unzulässig seien. Die Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG lägen aber vor.
Das Gericht entschied, dass es sich angesichts der Wertungsentscheidung in § 2 EEG bei der Errichtung von Windenergieanlagen grundsätzlich um einen zwingenden Gemeinwohlbelang nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG handele. Gegen diesen grundsätzlichen Vorrang bestünden weder aus nationaler noch aus unionsrechtlicher Sicht Bedenken, da die Verordnung (EU) 2022/2577 (EU-Notfallverordnung) selbst vorsehe, dass den Belangen der erneuerbaren Energien in Abwägungsentscheidungen Priorität einzuräumen sei. Lediglich in Ausnahmefällen könne das Interesse an der Erhaltung des Schutzgebiets dem Interesse an der Errichtung der Windenergieanlage überwiegen. Es bestehe auch keine zumutbare Alternative den mit dem Vorhaben verfolgten Zweck an anderer Stelle zu erreichen (§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatschG). Durch das EEG sei eine Grundentscheidung zum flächendeckenden Ausbau von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien getroffen. Der Verweis auf einen alternativen Standort gehe in diesen Fällen fehl, da durch diesen Verweis insgesamt weniger Anlagen errichtet werden könnten und daher der Grad der Zielerreichung des flächendeckenden Ausbaus geschmälert werde. Jedenfalls bei einer nur geringen Beeinträchtigung des Schutzzwecks des Schutzgebietes, sei es daher nicht zumutbar, die Anlage an anderer Stelle zu errichten.
Keine Gesundheitsgefahr durch tieffrequenten Schall/Infraschall
Die Schutz- und Vorsorgepflichten aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz („BImSchG“) sowie aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz („GG“) werden nicht durch den von Windenergieanlagen ausgehenden tieffrequenten Schall bzw. Infraschall ausgelöst, so der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 23. Februar 2024 (Az. 11 C 2414/21.T).
Nach § 5 Abs. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen u.a. so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Nr. 1 – Schutzpflicht). Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht ist ein Instrument der Gefahrenabwehr und setzt deshalb eine konkrete Gefahr, d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, voraus. Nach derzeitigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand sei allerdings davon auszugehen, dass der durch Windenergieanlagen verursachte tieffrequente Schall und Infraschall grundsätzlich nicht zu einer Gesundheitsgefahr oder einer erheblichen Belästigung führt; dies sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein gewisser Mindestabstand zu der nächstgelegenen Windenergieanlage eingehalten wird. Einen Abstand der Anlage zu den nächstgelegenen Wohnhäusern von „deutlich über“ 800 Metern erachtete das Gericht für ausreichend, um eine konkrete Gefährdung auszuschließen.
Vorsorgemaßnahmen aufgrund der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG erachtete der Verwaltungsgerichtshof in dem ihm vorliegenden Fall als unverhältnismäßig: Die Vorsorge müsse nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotenzial der Immissionen, die sie verhindern soll, proportional sein. In die Abwägung bezog das Gericht auch das in § 2 EEG normierte überragende öffentliche Interesse an der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien mit ein.
Zusammenfassung
Diese Entscheidungen betreffen die bei der Planung und Verwirklichung von Vorhaben im Bereich der Windenergie an Land immer wieder vorkommende Konfliktpunkte, namentlich auf den Gebieten des Planungsrechts, des Immissionsschutzrechts und des Naturschutzrechts. Es fällt positiv auf, dass die Gerichte vermehrt die mit der Einführung von § 2 EEG verbundene gesetzgeberische Intention, die Produktion erneuerbare Energien zu steigern, in ihren Entscheidungen umsetzen. Die nach den jeweiligen Fachgesetzen in einer Vielzahl von Fällen vorzunehmenden Abwägungsentscheidungen gehen aufgrund des vorrangig zu berücksichtigenden überragenden öffentlichen Interesses an erneuerbaren Energien häufig zugunsten von Windenergieanlagen aus, sodass der Ausbau von erneuerbaren Energien weiter vorangetrieben wird.