Erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ – § 2 EEG in der gerichtlichen Praxis

Mit der Einführung von § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz 2023 ("EEG") hat der Gesetzgeber der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien ein überragendes öffentliches Interesse zugewiesen. Die Einführung der neuen Regelung beeinflusst die gerichtliche Praxis bei der Überprüfung von Genehmigungsentscheidungen und begünstigt den Ausbau der Windenergie.

§ 2 EEG ist am 29. Juli 2022 in Kraft getreten. Seitdem liegen „die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen […] im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit“. Zudem sollen, „bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, […] die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden“. Die Auswirkungen dieser neuen Wertung macht sich in den folgenden Bereichen bemerkbar.

Bauplanungsrecht

Windenergieanlagen sind in der Regel privilegierte Vorhaben im Außenbereich (§ 35 Abs. 1 Baugesetzbuch, "BauGB"), welche bauplanungsrechtlich zulässig sind, soweit ihnen keine öffentlichen Belange entgegenstehen. Als privilegierte Vorhaben haben Windenergieanlagen von vornherein ein gestärktes Durchsetzungsvermögen gegenüber potentiell entgegenstehenden öffentlichen Belangen. Das können u. a. schädliche Umwelteinwirkungen (z. B. Lärmemissionen) oder Belange des Naturschutzes sein. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung müssen die Interessen an der Errichtung der Windenergieanlage mit gegenläufigen öffentlichen Belangen abgewogen werden. Durch die Neuregelung von § 2 EEG fließt das überragende öffentliche Interesse an erneuerbaren Energien zusätzlich als vorrangiger Belang in die Abwägungsentscheidung ein und verstärkt zusätzlich das nach der gesetzlichen Wertung ohnehin bestehende Durchsetzungsvermögen von Windenergieanlagen.

Jedoch auch dort, wo Windenergieanlagen keine privilegierten Vorhaben im Außenbereich sind, sondern als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB einzustufen sind – z. B. weil die betreffende Windenergieanlage nicht den 1.000 m-Abstand von Wohngebieten einhält –, muss nach dem OVG Münster die mit § 2 EEG festgelegte Priorisierung von erneuerbaren Energien in die vorzunehmende Abwägungsentscheidung einfließen. Aufgrund der Vorrangigkeit von erneuerbaren Energien hält das OVG Münster im konkreten Fall eine Windenergieanlage, die näher als 1.000 m an ein Wohngebiet heranrückt, für planungsrechtlich zulässig (OVG Münster, Urteil vom 16. Mai 2023 – 7 D 423/21.AK –, juris, Rn. 57 ff.).

Optisch bedrängende Wirkung von Windenergieanlagen auf Wohngebiete

Ein der Genehmigung von Windenergieanlagen entgegenstehender öffentlicher Belang sind „schädliche Umwelteinwirkungen“. Dieser in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB geregelte Belang verankert das Gebot der Rücksichtnahme in den planungsrechtlichen Regelungen zur Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich (OVG Münster, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 363/21.AK –, juris, Rn. 100). Im Rahmen des Rücksichtnahmegebots ist insbesondere auch die potentielle optisch bedrängende Wirkung von Windenergieanlagen zu beachten. Ob eine Windenergieanlage bedrängend wirkt, ist in einer Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung des Abstands im Verhältnis zur Höhe der Windenergieanlage sowie der örtlichen Gegebenheiten zu bestimmen. Das OVG Münster zieht bei dieser Abwägungsentscheidung ebenfalls § 2 EEG heran und stuft diese Norm nicht nur als einfachgesetzliche Regelung ein, sondern sieht diese als in Art. 20a Grundgesetz ("GG") verfassungsrechtlich fundiert an, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ("BVerfG") der Ausbau erneuerbarer Energien dem Klimaschutzziel des Art. 20a GG und dem Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels dient (OVG Münster, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 363/21.AK –, juris, Rn. 118 ff.). Aus diesem Grund können öffentliche Interessen – wie etwa optisch bedrängende Wirkungen – erneuerbaren Energien nur dann entgegenstehen, wenn sie mit einem dem Art. 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang ausgestattet sind (OVG Münster, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 363/21.AK –, juris, Rn. 118). Das ist bei optisch bedrängenden Effekten regelmäßig nicht der Fall (OVG Münster, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 363/21.AK –, juris, Rn.120).

Mit Inkrafttreten von § 249 Abs. 10 BauGB kann bei Einhaltung eines Abstands von 2H (d. h. das Zweifache der Höhe der Windenergieanlage) zwischen Windenergieanlage und Wohnbebauung in der Regel ohnehin keine optisch bedrängende Wirkung vorliegen. In atypischen Fällen kann eine Ausnahme von der Regelvermutung in sehr engen Fällen anzunehmen sein; wegen § 2 EEG ist nach dem OVG Münster dabei aber ein strenger Maßstab anzulegen, da die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse sind (OVG Münster, Urteil vom 3. Februar 2023 – 7 D 298/21.AK –, juris, Rn. 79).

Denkmalschutz

Im Bereich des Denkmalschutzes hat das OVG Lüneburg bereits vor Inkrafttreten des EEG 2023 wegen der im Denkmalrecht nur beschränkten Gesetzgebungsbefugnis des Bundes Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 2 EEG 2023 durchblicken lassen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. April 2022 – 12 MS 188/21 –, juris, Rn. 74); das Gericht konnte das Ergebnis mangels Inkrafttreten der Norm zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung jedoch offenlassen. Dahingegen hat das OVG Mecklenburg-Vorpommern keine Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für § 2 EEG, weil es sich bei der Normierung des in der Norm geregelten Gewichtungsvorrangs nicht unmittelbar um eine Regelung des Denkmalschutzrechts handele, sondern um eine außerhalb desselben für sich stehende Regelung zum Gewicht des öffentlichen Interesses am beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, die auf die ansonsten unberührt gelassenen Regelungen fachgesetzlich normierter Abwägungsvorgänge lediglich mittelbare Auswirkungen hat (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. Februar 2023 – 5 K 171/22 OVG –, juris, Rn. 156).

Da eine Windenergieanlage nur dann genehmigungsfähig ist, wenn keine denkmalschutzrechtlichen Bestimmungen der Errichtung und dem Betrieb entgegenstehen, hat nach den verschiedenen Denkmalschutzgesetzen der Länder (z. B. § 7 Abs. 3 Nr. 2 Denkmalschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern) wiederum eine Abwägung zwischen den denkmalschutzrechtlichen Belangen sowie dem öffentlichen Interesse an der Windenergieanlage zu erfolgen. Das OVG Mecklenburg-Vorpommern hebt hervor, dass § 2 EEG nicht nur als eine Art „Programmsatz für die Exekutive“ missverstanden werden darf, sondern auch auf der Ebene der Einzelfallgenehmigungen zur Anwendung zu kommen hat (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. Februar 2023 – 5 K 171/22 OVG –, juris, Rn. 159). Das OVG stellt zudem klar, dass § 2 EEG auch in der denkmalschutzrechtlichen Abwägung regelmäßig zu einem Übergewicht der erneuerbaren Energien führt, sodass das überragende öffentliche Interesse an der Errichtung von Windenergieanlagen nur in atypischen Ausnahmefällen überwunden werden kann, die fachlich anhand der besonderen Umstände der jeweiligen Situation zu begründen wären (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7. Februar 2023 – 5 K 171/22 OVG –, juris, Rn. 160).

Verteidigungspolitische Belange

Des Weiteren dürfen Windenergieanlagen außerhalb von Bauschutzbereichen, die eine Höhe von 100 m über der Erdoberfläche überschreiten, nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörden genehmigt werden (§ 14 Luftverkehrsgesetz, "LuftVG"). Die Zustimmung wird versagt, wenn dies zur Wahrung der Sicherheit der Luftfahrt und der Allgemeinheit erforderlich ist. Die Sicherheit der Luftfahrt beinhaltet auch den militärischen Luftverkehr.

Da der Bundeswehr zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Verteidigungsaufgaben gem. Art. 87a GG ein verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zusteht, bleibt es militärischen Überlegungen überlassen, wann und in welchem Umfang ein Tiefflugbetrieb im Einzelfall nach Maßgabe der konkreten Verhältnisse durchgeführt bzw. aufrechterhalten wird. Im Rahmen ihrer Beurteilung hat sich die Bundeswehr mit der besonderen Bedeutung des Ausbaus von erneuerbaren Energien sowie der entgegenstehenden militärischen Nutzung am konkret vorgesehenen Anlagenstandort auseinanderzusetzen (VGH Mannheim, Urteil vom 4. April 2023 – 10 S 1560/22 –, juris, Rn. 51). Die Entscheidung der Bundeswehr ist von den Verwaltungsgerichten jedoch nur beschränkt überprüfbar (VGH Mannheim, Urteil vom 4. April 2023 – 10 S 1560/22 –, juris, Rn. 37), sodass § 2 EEG im verteidigungspolitischen Bereich nicht dieselbe Schlagkraft wie in anderen Bereichen entfalten kann, gleichwohl aber im Rahmen der Entscheidung der Bundeswehr hinreichend zu berücksichtigen ist.

Waldrecht

Das BVerfG hat § 2 EEG herangezogen, um die Verfassungswidrigkeit von landesrechtlichen pauschalen Verboten der Errichtung von Windenergieanlagen in Waldgebieten (sog. pauschale Waldumwandlungsverbote) zu begründen. Vorrangig wird die Nichtigkeit darauf gestützt, dass § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB als abschließende bundesrechtliche Regelung das Landesrecht sperrt. Das BVerfG führt jedoch darüber hinaus an, dass § 9 Abs. 3 Nr. 2 Bundeswaldgesetz ("BWaldG"), der als Ermächtigungsgrundlage für Umwandlungsverbote dient, eine Abwägungsregel statuiert. Im Rahmen der Abwägung sei wiederum gemäß § 2 EEG das besonders hohe Gewicht der erneuerbaren Energien zu berücksichtigen, welches unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zu § 2 EEG (vgl. BTDrucks 20/1630, S. 159) auch im Forstrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden können; daher seien pauschale Waldumwandlungsverbote in keinem Fall zulässig, sondern können nur im Ausnahmefall eine Option sein (BVerfG, Beschluss vom 27. September 2022 – 1 BvR 2661/21 –, BVerfGE 163, 1-42, juris, Rn. 85).

Rechtsweg und Verkürzung der Gerichtsverfahren

Zur Vermeidung von jahrelangen Gerichtsverfahren hinsichtlich der Genehmigung von Windenergieanlagen hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren im Jahr 2022 die erstinstanzlichen Zuständigkeitskataloge der Oberverwaltungsgerichte sowie des Bundesverwaltungsgerichts erweitert, sodass der zeitintensive Instanzenzug bei Infrastrukturvorhaben verkürzt wird. Gem. § 48 Abs. 1 Nr. 3a Verwaltungsgerichtsordnung ("VwGO") finden nunmehr Streitigkeiten über die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Windenergieanlagen an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern in erster Instanz vor dem OVG/VGH statt. Der insoweit dort anfallende Mehraufwand wird durch die Möglichkeit der Einzelrichterentscheidung zu kompensieren versucht (§ 9 Abs. 4 VwGO). Wegen der Beschränkung auf einfach gelagerte Fälle ohne grundsätzliche Bedeutung ist nicht zu erwarten, dass die Gerichte von dieser Möglichkeit regen Gebrauch machen werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Obwohl § 2 EEG erst etwa 1,5 Jahre in Kraft ist, zeigt die gerichtliche Praxis bereits, dass die Einführung dieser Regelung die ihr zugedachte Wirkung, den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen und zu steigern, nicht verfehlt. Denn in einer Vielzahl von Fällen gehen die nach den Fachgesetzen vorzunehmenden Abwägungsentscheidungen wegen des vorrangig zu berücksichtigenden überragenden öffentlichen Interesses an erneuerbaren Energien zugunsten von Windenergieanlagen aus, sodass der Ausbau von erneuerbaren Energien effektiv vorangetrieben wird. Von den Gerichten wird § 2 EEG sogar dann bei der Überprüfung von Vorhabengenehmigungen herangezogen, wenn die behördliche Entscheidung vor Inkrafttreten des § 2 EEG getroffen wurde. Aus diesem Grund überlagert der § 2 EEG auch Abwägungsentscheidungen solcher Genehmigungen, die bereits zum Inkrafttreten des § 2 EEG ergangen waren. Die Schlagkraft von § 2 EEG wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Gerichte § 2 EEG als eine einfachgesetzliche Ausgestaltung von Art. 20a GG ansehen. 
 

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