
Am 9. April 2025 haben CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag veröffentlicht. Darin enthalten sind einige für Unternehmen relevante Aussagen, insbesondere im Bereich ESG. Im Koalitionsvertrag wird unter anderem die Abschaffung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und dessen Ersetzung durch ein „Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung“ angekündigt (siehe unter I.). Das Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung soll die Richtlinie der EU über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CS3D) „bürokratiearm und vollzugsfreundlich“ umsetzen. Laut dem Koalitionsvertrag sollen ferner auch die Vereinfachung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) „aktiv“ angegangen werden (siehe unter II.) sowie Vereinfachungen durch die Omnibus-Initiative der EU-Kommission unterstützt werden (siehe unter III).
I. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD enthält zur Zukunft des LkSG folgende Ausführungen:
„Darüber hinaus schaffen wir das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ab. Es wird ersetzt durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung, das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt. Die Berichtspflicht nach dem LkSG wird unmittelbar abgeschafft und entfällt komplett.
Die geltenden gesetzlichen Sorgfaltspflichten werden bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes, mit Ausnahme von massiven Menschenrechtsverletzungen, nicht sanktioniert. Wir unterstützen den „Omnibus“ der Kommission, um die umfangreichen Vorgaben zum Inhalt der EU-Nachhaltigkeitsberichterstattung insbesondere für die mittelständische Wirtschaft deutlich zu reduzieren und zeitlich zu verschieben“ (Ziffern 1909 bis 1917 des Koalitionsvertrags).
- Auffällig ist zunächst, dass die Berichtspflicht – anders als wohl der Rest des LkSG – „unmittelbar“ abgeschafft werden soll. Das legt nahe, dass sie zeitlich vor dem restlichen LkSG abgeschafft werden soll. Dies würde der Linie der bisherigen Behördenpraxis des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) entsprechen, das in seinen FAQ zum LkSG angekündigt hatte, das Vorliegen der nach dem LkSG notwendigen Berichte sowie deren Veröffentlichung erst zum Stichtag 1. Januar 2026 nachzuprüfen. Vor allem würde die Abschaffung der Berichtspflicht die in der Praxis bereits ersehnte Rechtssicherheit schaffen, schließlich änderte die Behördenpraxis bislang nichts daran, dass die gesetzlichen Pflichten per se weiterhin bestanden.
- Auch darüber hinaus sind die Ausführungen im Koalitionsvertrag – trotz oder gerade wegen ihrer Kürze – nicht gänzlich klar. Dass die Sorgfaltspflichten des LkSG mit Ausnahme von „massiven Menschenrechtsverletzungen“ bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die internationale Unternehmensverantwortung nicht sanktioniert werden sollen, legt zwar ebenfalls nahe, dass das LkSG im Übrigen vorerst fortgelten soll, und nur die Berichtspflicht und ein Großteil der Sanktionsvorschriften zeitnah entfallen werden. Dabei ist aber noch unklar, was genau unter „massiven Menschenrechtsverletzungen“ zu verstehen ist. Auffällig sind bei diesem Satz des Koalitionsvertrags insgesamt gleich drei sprachliche bzw. systematische Ungereimtheiten: Erstens ist wohl die Sanktionierung von Verstößen und nicht Sorgfaltspflichten gemeint. Zweitens sanktioniert das LkSG nicht per se „Menschenrechtsverletzungen“, sondern die unangemessene Umsetzung von Compliance-Maßnahmen zu deren Prävention und Abhilfe (Bemühenspflichten). Drittens kennt das LkSG keine Kategorie „massiver Menschenrechtsverletzungen“. Denkbar ist indes, dass die Koalition damit die nach aktuellem Sanktionskatalog des LkSG besonders hoch sanktionierte Unterlassung von Abhilfemaßnahme bei festgestellten Verstößen weiterhin sanktionieren möchte. Dieser Ansatz würde für Unternehmen jedenfalls bedeuten, dass sie insbesondere weiterhin eine regelmäßige und ad hoc-Risikoanalyse durchzuführen hätten und angemessene Abhilfemaßnahme ergreifen.
- Welche konkreten Entlastungen die geplante Abschaffung des LkSG und seine Ersetzung durch das angekündigte Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung mit sich bringt, lässt der Koalitionsvertrag offen.
- Versteht man die Ankündigungen des Koalitionsvertrags wie oben, sollten sie noch nicht zum Anlass genommen werden, bereits ergriffene Maßnahmen und bereits eingeführte Prozesse zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt umfassend abzubauen. Dies gilt gleichermaßen für aktuell unmittelbar vom LkSG betroffene Unternehmen wie für mittelbar betroffene Unternehmen. Für unmittelbar betroffene Unternehmen gilt das LkSG bis zu seiner vollständigen Abschaffung fort, unabhängig davon, ob gewisse Verstöße noch sanktioniert werden. Bei mittelbar betroffenen Unternehmen ist zu beachten, dass sich am Bestand vertraglicher Pflichten durch eine Abschaffung des LkSG dem Grunde nach erstmal nichts ändert. Hier dürften vor allem – erneut – Vertragsverhandlungen anstehen.
- Vor allem in langfristig angelegten Lieferbeziehungen, die in die Anwendungsfristen der CS3D hineinreichen, könnten und sollten die spezifischen Vorgaben der CS3D bei weiteren Vertragsgestaltungen berücksichtigt werden, um umfangreiche und wiederholte Nachverhandlungen zu vermeiden.
- Sofern nach Abschaffung des LkSG ein (punktueller) Rückbau einzelner Maßnahmen in Betracht gezogen werden soll, muss sorgfältig geprüft werden, ob die jeweilige Maßnahme anderweitig gesetzlich erforderlich ist, z.B. auf Grund des angekündigten Gesetzes über die internationale Unternehmensverantwortung. Ferner sollte die öffentliche Wahrnehmung solcher Schritte im Blick behalten werden.
- Ferner sollten Unternehmen, die sich trotz weggefallener Pflichten in Deutschland weiterhin überobligatorisch aufstellen möchten, mögliche Implikationen für das US-Geschäft aufgrund der aktuellen dortigen Entwicklungen im Auge behalten.
- Haftungsfragen können sich nach der Aufhebung des LkSG weiterhin auf Grundlage der allgemeinen Vorschriften des BGB, UWG oder des StGB ergeben. Der Wegfall der spezifischen Vorschriften des LkSG könnte sogar zu einem stärkeren Fokus auf diese allgemeinen Vorschriften führen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei Kenntnis von Menschenrechts- oder Umweltverletzungen auch unabhängig vom LkSG ein Tätigwerden geboten sein könnte, um eine zivilrechtliche Haftung oder sogar eine strafrechtliche Verantwortung als Täter oder Teilnehmer abzuwenden. Haftungsauslösend könnte auch fahrlässige Unkenntnis sein, wenn wirksame, bereits erprobte Schutzmaßnahmen später wieder abgeschafft wurden.
II. Vereinfachung des CBAM
Eine aus Sicht der Koalitionspartner „überbordende Regulierung“ durch Gesetzgebungsakte der EU soll verhindert werden. Dies gilt insbesondere für die Vorgaben des CBAM. Die Koalitionspartner wollen die von der EU-Kommission im Rahmen ihrer Omnibus-Initiative ins Auge gefassten Vereinfachungsmaßnahmen in diesem Bereich „aktiv“ unterstützen. Der CBAM soll „unbürokratischer und effizienter“ werden. Sofern „ein effektiver Carbon Leakage-Schutz über den CBAM nicht gelingen“ sollte, wollen die Koalitionspartner sogar „die Wettbewerbsfähigkeit für exportorientierte Branchen weiterhin über die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten regeln“ (Ziffern 151 bis 159 des Koalitionsvertrags).
III. Unterstützung auch der weiteren Omnibus-Initiative der EU-Kommission
CDU, CSU und SPD kündigen außerdem an, die aktuell virulente Omnibus-Initiative der EU-Kommission auch im Hinblick auf die Vereinfachung der CS3D, CSRD und der Taxonomie-VO unterstützen zu wollen, um bürokratiearme Lösungen insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen schaffen zu können. Unter anderem heißt es dort: „Wir schaffen dabei Rechts- und Planungssicherheit und unterstützen die Unternehmen bei einer guten Rechtsumsetzung“ (Ziffern 2002 bis 2012 des Koalitionsvertrags). Eine Erklärung, sich für eine Abschaffung oder Aussetzung der europäischen Regelungen einsetzen zu wollen, enthält der Koalitionsvertrag nicht. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Koalitionspartner in diesen Bereichen, anders als beim CBAM, gerade nicht „aktiv“ für Vereinfachungen einsetzen wollen. Ob diesem sprachlichen Unterschied eine Bedeutung beizumessen ist, ist jedoch unklar.
IV. Zeitlicher Horizont
Der Zeithorizont ist noch völlig offen. Die im Koalitionsvertrag vorgesehene „unmittelbare“ Abschaffung der Berichtspflicht lässt wie oben ausgeführt vermuten, dass in einem zeitnahen ersten Schritt die Berichtspflicht und ein Großteil der Sanktionsvorschriften abgeschafft werden sollen, das LkSG im Übrigen vorerst aber fortgelten soll, bis zu einem späteren Zeitpunkt das angekündigte Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung in Kraft tritt. Aktuell hat Deutschland infolge der als wahrscheinlich geltenden Umsetzung der sog. „Stop the clock“-Richtlinie bis zum 26. Juli 2027 Zeit, um die CS3D in nationales Recht umzusetzen. Angesichts der Omnibus-Initiative ist in dieser Hinsicht allerdings zu erwarten, dass die künftige Bundesregierung vor der Veröffentlichung eines konkreten Gesetzesentwurfs zunächst das Ergebnis des europäischen Gesetzgebungsverfahrens und die damit verbundenen Anpassungen der CS3D abwarten wird.
V. Fazit
Nach langem Ringen wurde im Koalitionsvertrag nun – wohl vor allem auf Drängen von CDU/CSU – die Abschaffung des LkSG angekündigt. Unternehmen sollten jedoch vorsichtig sein, diese Ankündigung als Anlass für einen umfassenden sofortigen Rückbau der eigenen Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt zu nehmen. Vorerst bleiben die Sorgfaltspflichten des LkSG bestehen und angesichts der aktuellen Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene ist die konkrete Gestalt der künftigen Rechtslage noch nicht absehbar. Auch ein konkreter Zeithorizont existiert bisher nicht.
