Das Wasserstoffkernnetz soll zukünftige Wasserstoffproduzenten und -verbraucher deutschlandweit verbinden. In § 28r EnWG ist nun ein Verfahren vorgesehen, um Wirtschaft und Verwaltung in einem kooperativen Prozess zusammen zu bringen. Gleichzeitig soll ein innovatives Finanzierungskonzept das übliche Infrastrukturproblem hoher Investitionskosten lösen.
Ein deutschlandweites Wasserstoffnetz für die Wirtschaft der Zukunft
Die Bundesregierung setzt auf Wasserstoff als Rückgrat einer klimafreundlichen Industrie der Zukunft. Dazu müssen Wasserstofferzeuger und Wasserstoffverbraucher durch Netzinfrastruktur verbunden werden. Der Aufbau deutschlandweiter Wasserstoffnetzinfrastruktur wird nun in § 28r EnWG erstmals konkretisiert. Das Gesetz trat am 29. Dezember 2023 in Kraft.
Bis 2032 soll das sogenannte Wasserstoffkernnetz die wesentlichen zukünftigen Wasserstoffproduzenten und -verbraucher sowie Wasserstoffspeicher verbinden. In erster Linie sollen zunächst Unternehmen aus schwer zu dekarbonisierenden Sektoren mit einem hohen Treibhausgasminderungspotenzial, für die keine energie- und kosteneffiziente Alternative besteht, an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden. Der Anschluss nicht wesentlicher Wasserstoffverbraucher wird im Rahmen der Netzentwicklungsplanung folgen.
Aufbau des Wasserstoffkernnetzes durch die Fernleitungsnetzbetreiber
Den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes sollen die Fernleitungsnetzbetreiber übernehmen. Hierdurch wird insbesondere die Nutzung bereits bestehender Erdgasnetzinfrastruktur vereinfacht. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben nach § 28r Abs. 2 EnWG ein Initiativrecht für die Planung eines bundesweiten Wasserstoffkernnetzes. Sie können dazu der Bundesnetzagentur bis zum 19. Januar 2024 einen entsprechenden Antrag zur Genehmigung des geplanten Wasserstoffkernnetzes vorlegen. Ein entsprechender Antragsentwurf wurde bereits am 15. November 2023 zur Konsultation durch die Bundesnetzagentur eingereicht. Die Konsultation wurde am 8. Januar 2024 beendet. Nun werden die Fernleitungsnetzbetreiber voraussichtlich einen formellen Antrag auf die Genehmigung des Kernnetzes bei der Bundesnetzagentur stellen; dabei werden die Erkenntnisse aus der Konsultation einfließen. Die Genehmigung des Kernnetzes obliegt der Bundesnetzagentur.
Aktueller Planungsstand des Wasserstoffkernnetzes
Der Antragsentwurf der Fernleitungsnetzbetreiber sieht ein 9.700 km großes, überregionales Wasserstoffnetz vor. Das Wasserstoffkernnetz soll dabei zu 60 % aus umgestellten Erdgasleitungen bestehen. Folglich steht ein Großteil der geplanten Wasserstoffinfrastruktur bereits bereit. Die Umstellung der Infrastruktur darf die gegenwärtige Energieversorgung der Bevölkerung allerdings nicht gefährden. § 28r Abs. 2 EnWG sieht daher vor, dass eine Umwandlung von Erdgasleitungen nur dann möglich ist, wenn dadurch die gegenwärtige Versorgungssicherheit nicht gefährdet ist.
Kooperatives Verfahren zur Beschleunigung
§ 28r EnWG zielt auf eine zügige Genehmigung des Wasserstoffkernnetzes ab. Der Bundesnetzagentur wird bei der Genehmigung des Wasserstoffkernnetzes kein Ermessen eingeräumt. Um Zeit zu sparen, soll ein nicht genehmigungsfähiger Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber nach § 28r Abs. 6 S. 1 EnWG nicht abgelehnt werden. Vielmehr soll die Bundesnetzagentur entsprechende Änderungen verlangen können. Falls die Fernleitungsnetzbetreiber ihrem Initiativrecht nicht gerecht werden, setzt § 28r Abs. 3 EnWG der Bundesnetzagentur eine viermonatige Frist, um selbst ein Wasserstoffkernnetz zu entwerfen. So ist die Konzeptionierung des Wasserstoffkernnetzes als kooperativer Prozess zwischen der Energiewirtschaft und der Verwaltung ausgestaltet.
Die Errichtung einer deutschlandweiten Energieinfrastruktur betrifft anschließend jedoch ganz praktisch die Allgemeinheit. Im Baurecht treffen die typischerweise divergierenden Interessen von Bürgern, Wasserstoffproduzenten und -verbrauchern, Fernleitungsnetzbetreibern und der Verwaltung in komplexen Abwägungsprozessen aufeinander. Die individuelle Abwägung in einer Vielzahl von Einzelfällen ist jedoch geeignet, die Errichtung des Wasserstoffkernnetzes langfristig zu blockieren. Der Gesetzgeber hat daher die Abwägung in § 28r Abs. 8 EnWG vorweggenommen und eine allgemeine Grundsatzentscheidung getroffen. Als Grundlage der zukünftigen Energiewirtschaft sieht der Gesetzgeber den zügigen Bau des Wasserstoffkernnetzes als notwendig und vordringlich an. Die Errichtung von Wasserstoffkernnetzinfrastruktur, die bis 2030 in Betrieb genommen wird, ist daher im überragenden öffentlichen Interesse. Dieser Grundsatz wurde bereits in § 2 EEG für den Ausbau der erneuerbaren Energien verankert. Die gerichtliche Praxis des letzten Jahres zeigt in diesem Zusammenhang, dass diese gesetzgeberische Grundentscheidung den erneuerbaren Energien in der gerichtlichen Bewertung zusätzliche Durchsetzungskraft verliehen hat (Beitrag vom 22. November 2023). Es ist daher zu erwarten, dass durch eine parallele Grundentscheidung für den Ausbau des Wasserstoffkernnetzes die baurechtliche Umsetzung der Wasserstoffkerninfrastruktur beschleunigt wird.
Finanzierung des Wasserstoffkernnetzes
Für das Wasserstoffkernnetz wird mit Investitionskosten in Höhe von etwa EUR 20 Mrd. gerechnet. Die Finanzierung soll grundsätzlich marktbasiert durch Entgelte erfolgen. Allerdings werden während des Markthochlaufs nur wenige Wasserstoffnutzer an das Wasserstoffkernnetz angeschlossen sein. Die erhobenen Entgelte werden daher in dieser Phase des Markthochlaufs die Investitionskosten voraussichtlich nicht decken können. Um dem zu begegnen, hat die Bundesregierung ein Konzept für die zeitliche „Entgeltverschiebung“ entwickelt. Mindereinnahmen aus der Aufbauphase werden dabei mit Mehreinnahmen aus der Betriebsphase verrechnet. Die Entgeltverschiebung basiert auf zwei Säulen. Zum einen werden die Netzentgelte für die Nutzer gedeckelt und zum anderen richtet der Bund ein sogenanntes Amortisationskonto ein, über das die Differenz zwischen den anfänglich hohen Investitionen und den späteren (vermeintlich) höheren Entgelteinnahmen zwischenfinanziert wird. So können später angeschlossene Nutzer an den anfänglichen Investitionskosten beteiligt werden. Das Amortisationskonto soll bis 2055 ausgeglichen sein. Wird der Fehlbetrag bis dahin nicht ausgeglichen, greift die subsidiäre staatliche Absicherung. Der Bund zahlt den Fehlbetrag, wobei sich die Betreiber des Wasserstoffkernnetzes mit bis zu 24 % beteiligen. Während die gedeckelten Entgelte den Netznutzern (Wasserstoffproduzenten und -verbrauchern) zugutekommen und so die Attraktivität zur Nutzung des Wasserstoffnetzes steigern, dient das Amortisationskonto dazu, die Attraktivität des Investments in das Wasserstoffkernnetz zu gewährleisten. So soll eine vollständige privatwirtschaftliche Finanzierung der Infrastruktur ermöglicht werden. Die subsidiäre staatliche Absicherung des Amortisationskontos schafft dabei zusätzliche Sicherheit für die Wasserstoffkernnetzbetreiber und Investoren.
Fazit
Die Errichtung eines deutschlandweiten Wasserstoffnetzes ist ein ambitioniertes Infrastrukturgroßprojekt. Das Wasserstoffkernnetz soll den überregionalen Transport von Wasserstoff gewährleisten. Es ist das Grundgerüst der zukünftigen Wasserstoffwirtschaft. Als solches verbindet es Produzenten und Verbraucher. Die geplante Fertigstellung bis 2032 ist Ausdruck der Bedeutung von Wasserstoff in der Energieversorgung der Zukunft. Vor diesem Hintergrund ist der Prozess hin zum Wasserstoffkernnetz als kooperativer Prozess zwischen Wirtschaft und Bundesnetzagentur ausgestaltet. Ausdruck dieser Kooperation sind das Initiativrecht der Fernleitungsnetzbetreiber, verschiedene Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung sowie ein Bekenntnis des Gesetzgebers zum überragenden öffentlichen Interesse des Wasserstoffkernnetzes. Das innovative Finanzierungskonzept des Bundes gewährleistet gleichzeitig die Attraktivität für Nutzer und Investoren. § 28r EnWG soll so die Stärken von Wirtschaft und Verwaltung verbinden und den zügigen Aufbau zukunftsfähiger Energieinfrastruktur gewährleisten.