Die geplante EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit (COM(2021) 762 final, Plattformarbeitsrichtlinie) ist am vergangenen Freitag, 16. Februar 2024, im Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der EU erneut gescheitert. Deutschland hat sich bei der Abstimmung enthalten. Mit der Plattformarbeitsrichtlinie sollen die Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten verbessert und ihr Beschäftigtenstatus EU-weit vereinheitlicht werden.
Was bisher geschah
Das EU-Parlament und der Rat der EU unter dem Vorsitz Belgiens einigten sich am 8. Februar 2024 im Rahmen der Trilogverhandlungen zum zweiten Mal auf eine vorläufige Fassung der Plattformarbeitsrichtlinie. Der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie stammt bereits aus Dezember 2021. Zwei Jahre später hatte es im Dezember 2023 eine erste vorläufige Einigung im Trilog gegeben. Schon dieser Entwurf erhielt jedoch nicht die erforderliche Zustimmung im Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rats der EU und musste daher nachverhandelt werden.
Was ist Plattformarbeit?
Digitale Arbeitsplattformen bieten ihren Kunden, meist über eine App, verschiedene Dienstleistungen „auf Knopfdruck“ an, z.B. die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Reinigungs- oder Pflegediensten. Digitale Arbeitsplattformen nutzen häufig automatisierte Systeme. Per Algorithmus werden dabei Aufgaben an Plattformbeschäftigte vergeben, die Durchführung der Aufgaben überwacht oder bewertet.
Die geplante Regelung
Die Plattformarbeitsrichtlinie soll die Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten verbessern und ihren Beschäftigtenstatus EU-weit vereinheitlichen. Als Kernstück ist eine widerlegbare Vermutung für ein Beschäftigungsverhältnis vorgesehen. Diese Vermutung soll greifen, sobald Plattformbeschäftigte Tatsachen darlegen, die auf eine gewisse Kontrolle und Leitung durch den Plattformbetreiber hindeuten. Sofern Plattformbeschäftigte solche Tatsachen darlegen, geht die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Arbeitsverhältnisses auf den Plattformbetreiber über. Plattformbetreiber müssten mithin im Streitfall nachweisen, keine Kontrolle über die Plattformbeschäftigten zu haben.
Der ursprüngliche Entwurf der Richtlinie aus Dezember 2021 (Beitrag vom 30. März 2022) enthielt noch einzelne Kriterien, bei deren Vorliegen die Vermutungswirkung greifen sollte. Nach der zuletzt zwischen EU-Parlament und Rat der EU ausgehandelten Fassung sollen die Mitgliedsstaaten diese Kriterien selbst festlegen. Lediglich die Beweislastumkehr blieb erhalten.
Außerdem enthält der Entwurf Regelungen zu Transparenz und Datenschutz beim Einsatz von Algorithmen, die sowohl für angestellte als auch für selbstständig tätige Plattformbeschäftigte gelten sollen. So soll unter anderem festgelegt werden, dass keine automatisierten Kündigungen durch einen Algorithmus ausgesprochen werden dürfen, sondern eine menschliche Kontrolle erforderlich ist. Der Entwurf hat insoweit Überschneidungen mit der geplanten Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung, AI Act), die ebenfalls Transparenzvorgaben für den Algorithmen-Einsatz aufstellt, sowie mit der DSGVO. Art. 22 DSGVO verbietet bereits heute automatisierte Kündigungen, bei denen nicht ein Mensch die finale Entscheidung trifft.
Ausblick
Nachdem nun auch die zweite vorläufige Fassung der EU-Richtlinie zur Plattformarbeit gescheitert ist, müssen die Nachverhandlungen fortgeführt werden. Sollte die Richtlinie nicht zeitnah verabschiedet werden, rückt eine Umsetzung des Vorhabens aufgrund der Europawahlen im Juni 2024 und der neuen Zusammensetzung des EU-Parlaments in weite Ferne.
Aktuelle Rechtslage in Deutschland
Nach aktueller Rechtslage in Deutschland liegt die Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses bei denen, die eine abhängige Beschäftigung geltend machen. Der arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Status wird nach der Rechtsprechung anhand einer Gesamtschau verschiedener Kriterien bestimmt.
Besondere gesetzliche Vorgaben für die Einordnung von Plattformbeschäftigten gibt es (noch) nicht. Auch die Rechtsprechung – gerade im Vergleich zum europäischen Ausland und UK – ist in Deutschland noch überschaubar. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied im Jahr 2020, dass ein Crowdworker, der über ein Erfahrungspunktesystem einen Anreiz erhält, kontinuierlich Mikro-Jobs anzunehmen, um dadurch mehr Aufträge annehmen und wirtschaftlicher arbeiten zu können, als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist (BAG, Urteil vom 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20, Beitrag vom 10. Dezember 2020). Dem Urteil des BAG ist jedoch nicht zu entnehmen, dass Crowdworker per se als Arbeitnehmer anzusehen sind. Erforderlich ist stets eine Einzelfallprüfung. Maßgeblich im BAG Fall war ein Punktesystem, das Anreize zur Annahme von Aufträgen setzte.
Was bedeutet das erneute Scheitern der Richtlinie für Plattformbetreiber?
Für Plattformbetreiber ändert sich zunächst nichts. Es ist weiterhin im Einzelfall festzustellen, ob ein Arbeitsverhältnis zwischen Plattformbeschäftigtem und Plattformbetreiber vorliegt. Die Beweislast dafür liegt beim Plattformbeschäftigten. Plattformbetreiber sollten die Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene aber weiter im Auge behalten, bei der konkreten Ausgestaltung von Anreiz-/Bewertungssystemen Vorsicht walten lassen und darauf achten, selbständigen Plattformbeschäftigten genügend Freiraum zur Entfaltung der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit zu bieten.