Die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission unterzieht einige Beihilferegeln wieder einmal einer Revision. Im Fokus stehen hierbei vor allem auch Regeln aus dem Bereich Energie- und Umweltschutzbeihilfen. Für Energieintensive Unternehmen (EIU) kann dies möglicherweise zu schmerzhaften Kürzungen führen.
I. Hintergrund: „Fitness-Check“
Die Europäische Kommission hat die Verlängerung des Geltungszeitraums zahlreicher Beihilfeverordnungen und Leitlinien, die zum 31. Dezember 2020 auslaufen sollen, um zwei weitere Jahre bis zum 31. Dezember 2022, angekündigt. Betroffen sind hiervon u.a. folgende Regelungen:
- Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung („AGVO“);
- Verordnung zu De-minimis-Beihilfen („De-minimis-VO“);
- Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020 („RAG“);
- Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierungen;
- Mitteilung zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt („IPCEI“);
- Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 („EEAG-Leitlinien“);
- Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten („R&U-Leitlinien“).
Die Vorstellungen der Europäischen Kommission bezüglich des zeitlichen Ablaufs des Verfahrens ergeben sich aus drei „Roadmaps“, die auf der Website der Europäischen Kommission einsehbar sind. Insbesondere ist ein formelles Konsultationsverfahren vorgesehen, im Rahmen dessen die Erfahrungen und Ansichten betroffener Unternehmen und Interessenvertreter erfragt werden sollen.
Hintergrund dieser angestrebten Verlängerung ist die Absicht der Europäischen Kommission, die oben genannten Beihilferegelungen (inklusive des „F&E&I-Unionsrahmens“, der „Flughafenbeihilfe-Leitlinien“, der „Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen“ und der „Mitteilung der Kommission bzgl. kurzfristiger Exportkreditversicherung“) einer umfassenden Überprüfung – einem Fitness-Check – zu unterziehen. Dieser soll den individuellen Beitrag sämtlicher dieser Beihilferegelungen im Hinblick auf ihre Relevanz, Effektivität, Effizienz, Kohärenz und ihren Mehrwert zu der Erreichung der „EU 2020-Ziele“, die auf eine CO2-ärmere europäische Wirtschaft hinwirken, untersuchen und somit die Grundlage für mögliche Veränderungen bilden.
Neben der Durchführung interner Analysen und externer Studien plant die Europäische Kommission insbesondere zwölfwöchige formelle Konsultationsverfahren. In diesem Zusammenhang wird sie (wie den veröffentlichten Roadmaps zu entnehmen ist) voraussichtlich bereits im April 2019 den betroffenen Stakeholdern erste ausführliche Fragebögen zur Verfügung stellen.
Um das Ergebnis der Überprüfung der Beihilferegeln in ihrem Sinne mitgestalten zu können, sollten sich die hiervon betroffenen Unternehmen an dem Verfahren beteiligen.
II. Insbesondere: Geplante Revision der EEAG-Leitlinien
Die EEAG-Leitlinien, die ebenfalls Gegenstand des von der Europäischen Kommission angekündigten Fitness-Checks sind, sind für die in energieintensiven Sektoren tätige Unternehmen eines der wichtigsten beihilferechtlichen Instrumente. Die EEAG-Leitlinien bilden den EU-beihilferechtlichen Rahmen, an dem sich die Regelungen nationaler Umlagesysteme (und Ausnahmen hiervon) messen lassen müssen. Die hohe Bedeutung dieses Rahmens zeigte sich z.B. im Jahr 2014, als die Europäische Kommission in ihrer Entscheidung bzgl. des EEG-Umlagensystems („EEG 2012“) zu dem Ergebnis kam, dass bestimmte Vergünstigungen für EIU nicht mit den EEAG-Leitlinien vereinbar seien und eine Teilrückforderung der bewilligten Ermäßigungen unter dem EEG-Umlagensystem für die Jahre 2013 und 2014 anordnete. Das neue EEG-Umlagensystem („EEG 2014“) wurde im Anschluss ebenfalls unter den jetzt geltenden EEAG-Leitlinien genehmigt.
Die EEAG-Leitlinien beschränken den energiepolitischen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten also erheblich. Sie setzen vor allem möglichen Ermäßigungen für EIU enge Grenzen. Diese Regeln sollen im Zuge des bevorstehenden Fitness-Checks im Hinblick auf die grundsätzliche Berechtigung ihres Bestehens und ihres Ausmaßes (insbesondere Umfang der begünstigten Sektoren und Höhe der Beihilfeintensität) nun auf Herz und Nieren getestet werden.
Es steht also viel auf dem Spiel. Dementsprechend kann EIU nur geraten werden, sich an dem bevorstehenden formellen Konsultationsverfahren zu beteiligen.
III. Eröffnung des formellen Konsultationsverfahren ETS-Beihilferegeln
Bereits weiter fortgeschritten ist das Überprüfungsverfahren bzgl. der zum 31. Dezember 2020 auslaufenden „Leitlinien für bestimmte Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten nach 2012“ („ETS-Beihilfeleitlinien“), welches sich bereits im formellen Konsultationsverfahren befindet.
Im Mittelpunkt dieser Überprüfung steht dabei die Evaluierung der Existenz und des Ausmaßes der Gefahr einer Verlagerung von CO2-Emissionen durch die Verlagerung der Produktionstätigkeit von Unternehmen in Drittstaaten (sogenanntes „Carbon Leakage Risk“) als Reaktion auf die aus dem geänderten EU-Emissionshandelssystem resultierenden höheren Stromkosten. Um diesem Carbon Leakage Risk entgegenzuwirken, kann EIU derzeit im Rahmen der ETS-Beihilfeleitlinien ein Ausgleich für indirekte Emissionskosten gewährt werden. Dies ermöglicht die Weiterverfolgung der EU-Ziele bzgl. einer CO2-ärmeren europäischen Wirtschaft sowie die Aufrechterhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt. Die ETS-Beihilfeleitlinien, und auch die EEAG-Leitlinien, stellen somit Instrumente von enormer Wichtigkeit für EIU dar.
Allerdings scheint die Europäische Kommission (recht erhebliche) Bedenken hinsichtlich des Bestehens eines Carbon Leakage Risks für Unternehmen bzw. den Wettbewerb im Binnenmarkt – und somit im Hinblick auf die Notwendigkeit der Beibehaltung der ETS-Beihilfeleitlinien in ihrem derzeitigen Ausmaß – zu hegen. Dementsprechend hat sie gleich zwei parallellaufende Konsultationsverfahren angestoßen, im Rahmen derer sie jeweils um die Beantwortung eines Fragebogens bittet: Während sich die „targeted consultation“ insbesondere an Unternehmen und Interessenvertreter der betroffenen Sektoren richtet und auf die Erfragung konkreter Daten und Fakten (z.B. Höhe der erhaltenen Strompreiskompensation, Anteil der indirekten Emissionskosten etc.) abzielt, richtet sich die „public consultation“ an die breite Öffentlichkeit. Sie verfolgt einen weniger datenbezogenen Ansatz, sondern richtet sich auf die Erfassung eines allgemeinen Meinungsbildes hinsichtlich der Notwendigkeit der Beibehaltung und des Ausmaßes der bestehenden ETS-Beihilfeleitlinien sowie möglicher Änderungen hieran.
Targeted Consultation: Ausgefüllten Fragebogen bis zum 9. April 2019 per Email an stateaidgreffe@ec.europa.eu schicken.
Public Consultation: Fragebogen bis zum 16. Mai 2019 online ausfüllen.
Die Formulierung dieser beiden Fragebögen sowie vereinzelte Aussagen der Europäischen Kommission bringen nicht nur ihre Zweifel bezüglich des Carbon Leakage Risks zum Ausdruck, sondern auch ihre Absicht, die Liste der begünstigten Sektoren sowie das Ausmaß der Beihilfeintensität kritisch zu prüfen. Da das Bestehenbleiben der ETS-Beihilfeleitlinien an sich nicht gewährleistet scheint und darüber hinaus auch die Karten bezüglich der begünstigten Sektoren und der Beihilfeintensität neu gemischt werden (könnten), raten wir Unternehmen und Interessenvertretern betroffener Sektoren, sich an diesem Konsultationsverfahren zu beteiligen.