Öffentliches Recht

EU-Kommission stellt Entwurf für Gasnotfallplan vor

Am 20. Juli 2022 hat die EU-Kommission den Entwurf ihres sog. Gasnotfallplans vorgestellt. Dieser setzt für die Mitgliedstaaten ein 15 Prozent-Einsparziel für Gasverbraucher und soll in Gasmangellagen auch eine zwangsweise Verringerung des Gasverbrauchs in allen Mitgliedsstaaten der EU ermöglichen, um deren Gasversorgung auch über den Winter hinweg sicherzustellen. Der Gasnotfallplan sieht zudem Kriterien für eine Abschaltreihenfolge für nicht-geschützte (Industrie-)Kunden vor. Die Kommission legt Wert darauf, dass die Gaseinsparziele nicht nur durch die Reduktion des Gasverbrauchs innerhalb der Industrie oder Haushalte erreicht werden kann, sondern bspw. auch durch die Substitution eingesetzter Brennstoffe – damit öffnet die Kommission erneut die Diskussion um eine weitere Nutzung der Kernenergie. 

 

Gleiss Lutz – Kommentar

Die EU gibt den Mitgliedstaaten das Ziel vor, den Gasverbrauch von Behörden, Haushalten, Energieversorgern und Industriekunden bis zum 31. März 2023 um 15 Prozent zu reduzieren. Zur Erreichung dieses Ziels setzt die Kommission zunächst auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Sollte sich zeigen, dass die Mitgliedstaaten dieses Ziel nicht erreichen, kann die EU-Kommission eine sog. Unionswarnung ausrufen. Durch die Ausrufung der Unionswarnung gilt das Einsparziel von 15 Prozent verpflichtend in allen Mitgliedstaaten.

Dieses Einsparziel kann – sollte der Entwurf zur rechtsverbindlichen Verordnung werden – Auswirkungen auf das Gasverbrauchsverhalten weiter Teile der Industrie haben. Das zeigte sich bereits kurz nach der Veröffentlichung des Entwurfs: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat ein weiteres Energiesicherheitspaket angekündigt und hierbei bereits auf das 15 Prozent-Ziel Bezug genommen. Es wird damit immer wahrscheinlicher, dass es in den nächsten Tagen und Wochen feste Einsparziele für die gasverbrauchenden Industrien geben wird, damit Deutschland den eigenen und den europäischen Gaseinsparzielen gerecht wird.

Der Entwurf ist für die Industrieunternehmen aber auch deshalb relevant, weil die Kommission Priorisierungskriterien vorgibt, nach denen eine Abschaltreihenfolge für die nicht geschützten Industrieverbraucher aufgesetzt werden kann. Der Kriterienkatalog, der insbesondere die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Unternehmens in den Blick nimmt und auf den Schutz sensibler Lieferketten zielt, ist zwar weder abschließend noch vollständig konkretisiert, verleiht aber den genannten Kriterien bereits dem Grunde nach ein besonderes Gewicht bei der Aufstellung einer nationalen Abschaltreihenfolge.

 

Prinzip der Freiwilligkeit und Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten

Der Entwurf der Verordnung über koordinierte Maßnahmen zur Verringerung der Nachfrage nach Erdgas beruht auf Art. 122 AEUV. Er sieht im Kern vor, dass die Mitgliedstaaten zunächst eigenständig und freiwillig zwischen dem 01. August 2022 und dem 31. März 2023 den nationalen Gasverbrauch (insbesondere im Bereich der öffentlichen Hand, der Wirtschaft und der Haushalte) um 15 Prozent im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre verringern. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, ihre nationalen Notfallpläne bis Ende September 2022 zu aktualisieren und darzulegen, wie sie das Senkungsziel von 15 Prozent (im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre) erreichen wollen. Die Kommission setzt damit zunächst auf das Prinzip „Freiwilligkeit“ und belässt die Verantwortung der Gasreduktion zunächst bei den Mitgliedstaaten.

 

Unionswarnung

Sollte jedoch deutlich werden, dass dieses Ziel nicht erreicht wird bzw. ein erhebliches Risiko einer schweren Gasknappheit auftritt, kann eine sog. Unionswarnung ausgerufen werden. Durch die Ausrufung der Unionswarnung würde allen Mitgliedstaaten eine zwingende Verringerung der Gasnachfrage um 15 Prozent im Zeitraum vom 1. August bis 31. März (im Vergleich zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre) auferlegt werden. Das Ziel der Unionswarnung ist es, die Versorgung von Haushalten und gemeinwohlwichtigen Gasverbrauchern, wie Krankenhäusern, aber auch von Industriezweigen sicherzustellen, die für die Bereitstellung wesentlicher Produkte und Dienstleistungen für die Wirtschaft sowie für die Lieferketten und die Wettbewerbsfähigkeit der EU von entscheidender Bedeutung sind.

 

Umsetzung der Gasverbrauchsreduzierung

Der jetzige Entwurf der Kommission sieht – sowohl in der Phase der freiwilligen Gasreduktion, als auch nach Ausrufung der Unionswarnung – vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei darin sind, angemessene Maßnahmen zur Gasverbrauchsreduktion zu ergreifen. Die Maßnahmen müssen aber transparent, verhältnismäßig, nicht-diskriminierend und nachvollziehbar sein. Außerdem sollen die Maßnahmen nicht zu einer unzulässigen Verzerrung des Wettbewerbes, einer Beeinträchtigung der Funktion des Gasbinnenmarktes führen oder die Gasversorgungssicherheit der anderen Mitgliedstaaten gefährden.

Der damit gesteckte Rahmen ist für Mitgliedstaaten und Unternehmen zweischneidig: Einerseits belässt er einen erheblichen Entscheidungsspielraum für die Mitgliedstaaten, mit welchen Mitteln sie die Gasverbrauchsreduktion erreichen; andererseits wird der EU-Rahmen nur durch eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen abgesteckt, sodass für Unternehmen eine adäquate Vorbereitung auf eine Gasmangellage sowie eine Rechtskontrolle getroffener staatlicher Maßnahmen schwer vorzunehmen sein wird.

Im Entwurf der Verordnung ist zudem vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten „breiter“ denken sollen, als nur eine strikte Reduzierung des Gasverbrauchs vorzunehmen. Die Kommission nennt in ihrem Verordnungstext bspw. die Möglichkeit, alternative Brennstoffe einzusetzen (Kohle, Öl, Kernenergie), eine nationale Energieeinsparkampagne durchzuführen oder Anreizsysteme für den Wechsel von Energieträgern oder die Verbrauchsreduktion innerhalb der Industrie durchzuführen.

 

Priorisierung nicht-geschützter Kunden

Der Verordnungsentwurf sieht zudem Kriterien vor, anhand derer die Mitgliedstaaten die Gasreduktion für nicht-geschützte Kunden vornehmen können. Die Kommission definiert damit Vorgaben für die Mitgliedstaaten, um bei der Auswahl die Anwendung objektiver und transparenter Grundlagen sicherzustellen, die auch die wirtschaftliche Bedeutung der betroffenen Unternehmen berücksichtigt. Zudem sollen weitere, nicht abschließende Kriterien bei der Priorisierung herangezogen werden:

  • Auswirkungen einer Störung auf Lieferketten, die für die Gesellschaft kritisch sind;
  • Mögliche negative Auswirkungen in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere auf die Lieferketten nachgelagerter Sektoren, die für die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind;
  • Potenzielle Langzeitschäden an Industrieanlagen;
  • Möglichkeiten zur Verringerung des Verbrauchs und der Nutzung von Ersatzprodukten in der Union.

Damit ordnet sich der Verordnungsentwurf in den Rahmen der bereits laufenden Diskussion um mögliche (nationale) Abschaltkriterien weitgehend ein. Die in einer (rechtsverbindlichen) EU-Verordnung benannten Kriterien bekämen ein besonderes Gewicht innerhalb dieser Diskussion, sodass gasverbrauchende Unternehmen prüfen sollten, ob sie einzelne Kriterien dieser Aufzählung erfüllen. Gleichzeitig ist auch zu erkennen, dass diese Liste nicht abschließend ist und auch weitere Kriterien für die Abschaltreihenfolge herangezogen werden können. Das gilt bspw. auch für die regionale Verteilung von Gas in Gasmangellagen, die insbesondere technischen Vorgaben folgt.

 

Vorgesehene Kontrollmechanismen

Die Mitgliedsstaaten sind nach dem Entwurf zunächst dazu angehalten, ihre Maßnahmen zur Reduzierung der Gasnachfrage selbst zu überwachen. Sie sollen der Kommission alle zwei Monate Bericht über die ergriffenen Maßnahmen und die erzielte Gaseinsparung erstatten. Wird dabei deutlich, dass ein Mitgliedsstaat durch seine Maßnahmen nicht sicherstellen kann, seinen Gasverbrauch freiwillig um 15 Prozent zu reduzieren, so fordert die Kommission ihn auf, einen Plan vorzulegen, in dem eine Strategie und Maßnahmen zur wirksamen Erfüllung der Verpflichtung zur Verringerung der Nachfrage begründet werden.

 

Solidarität bei Gasknappheit

Darüber hinaus können Mitgliedstaaten bereits jetzt nach Art. 13 der Verordnung (EU) 2017/1938 sog. Gassolidaritätslieferungen beantragen, wenn sie in eine Gasknappheit geraten, obwohl sie nachweislich alle möglichen Maßnahmen ergriffen haben, um die Nachfrage im Inland zu senken. In diesem Fall sind die direkten Nachbarstaaten dazu angehalten, den in Not geratenen Staat mit so viel Gas aus den eigenen Reserven zu versorgen, damit dessen schutzbedürftigen Nutzer weiter mit Gas beliefert werden können. Für diese Gaslieferungen erhalten die Nachbarstaaten von dem belieferten Staat eine finanzielle Kompensation. Einen praktischen Anwendungsfall gab es dazu bislang nicht; die Gassolidarität wird angesichts der EU-weit angespannten Gasversorgungslage vermutlich zu einem politischen Streitpunkt unter den Mitgliedstaaten werden.  

 

Fazit

Die EU Kommission hat mit dem angekündigten Entwurf nun einen EU-weit geltenden Gasnotfallplan in die Diskussion eingebracht. Dieser enthält insbesondere konkrete Kriterien für eine Priorisierung nicht geschützter Kunden, die für gasverbrauchende Unternehmen ein Indikator für eine Gasabschaltreihenfolge sein können.

Erste Reaktionen lassen indes darauf deuten, dass der Entwurf noch einige Änderungen erfahren wird. Es bleibt daher abzuwarten, in welcher Form dieser EU-Gasnotfallplan in Kraft tritt und welche Implikationen sich daraus für die Mitgliedstaaten und Unternehmen ergeben werden. In jedem Fall sollte diese Entwicklung engmaschig beobachtet werden, da der EU-Gasnotfallplan kurzfristig in Kraft treten könnte und zeitnah Wirkung innerhalb der Wirtschaft entfalten kann. Ein engmaschiges Monitoring ist auch bezüglich der nationalen Maßnahmen wichtig, da seit der Veröffentlichung des Kommissionsentwurfs auch die hiesige Diskussion um die Gasversorgungssicherheit eine neue Dynamik erfährt. Das BMWK kündigte bereits ein weiteres Energiesicherungspaket an und seit dem 22. Juli 2022 ist ebenfalls klar, dass eine Gasumlage zur Stützung der Gasimporteure ab dem 1. Oktober 2022 aktiviert werden soll.

Weiterleiten