Patentrecht

EPG-Report 03|25

Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court)

Das Einheitliche Patentgericht (EPG) hat sich rasch als beliebter Gerichtsstand in Europa etabliert. Der EPG-Report von Gleiss Lutz berichtet regelmäßig über diejenige EPG-Rechtsprechung, die für die Herausbildung des neuen einheitlichen Patentrechts und Patentprozessrechts in Europa am bedeutsamsten ist.

Auch im März hat das EPG für spannenden Lesestoff gesorgt. Die Lokalkammer Mannheim sorgt für Klarheit beim zeitlichen Anwendungsbereich des EPGÜ, das Berufungsgericht präzisiert die Voraussetzungen für einstweilige Verfügungen und die Lokalkammer Brüssel outet sich als Fan des Forum Shopping. 

Unser EPG-Report 03|25 behandelt folgende Themen:

Anwendbares Recht in zeitlicher Hinsicht – EPGÜ vs. nationales Recht

Die Lokalkammer Mannheim hat Klarstellungen zum anwendbaren Recht in zeitlicher Hinsicht getroffen (Urteil vom 11. März 2025 – UPC_CFI_162/2024):

Für Verletzungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ am 1. Juni 2023 stattgefunden haben und zu diesem Datum bereits abgeschlossen waren, hat das EPG ausschließlich das nationale Recht anzuwenden (Art. 3 lit. c EPGÜ). Zu der Frage, ob das Gericht das nationale Recht von Amts wegen erforschen muss, oder ob die Parteien hierzu Vortrag zu halten haben, äußerte die Lokalkammer sich nicht. Im eigenen Interesse sollte der Kläger das anwendbare nationale Recht darlegen.

Für Verletzungshandlungen, die nach dem Inkrafttreten des EPGÜ stattfinden, ist primär das EPGÜ anzuwenden. Das nationale Recht dient in diesen Fällen lediglich zur Lückenfüllung, beispielsweise im Lizenzvertragsrecht oder bei nicht harmonisierten Verjährungsfragen. Dieser Anwendungsvorrang des EPGÜ gilt nach Ansicht der Lokalkammer Mannheim sowohl für Einheitspatente als auch für europäische Bündelpatente. Kläger haben somit – während der Übergangsfrist bis 31. Mai 2030 – nicht nur die prinzipiell freie Wahl des Gerichts (EPG oder nationales Gericht, Art. 83 Abs. 1 EPGÜ), sondern können durch diese Wahl auch das anwendbare Recht vorgeben: EPGÜ vor dem EPG oder nationales Recht vor nationalem Gericht. Das gilt jedenfalls bei nationalen Gerichten, die – nicht unumstritten – im nationalen Verletzungsverfahren das EPGÜ nicht anwenden (so etwa OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.02.2024 – 6 U 232/22). Praktische Auswirkungen kann diese Wahl etwa bei der äquivalenten Patentverletzung haben, zu der die (wenige) bisherige Rechtsprechung des EPGÜ Abweichungen gegenüber der Rechtsprechung deutscher Gerichte andeutet (vgl. EPG-Report 12|24 | Gleiss Lutz).

Das EPGÜ ist auch auf Verletzungshandlungen anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ begonnen haben und über den 1. Juni 2023 hinaus fortdauern. Aufgrund der fortdauernden Verletzungshandlung liege keine unzulässige Rückwirkung vor. Bei der Frage, ob eine Verletzungshandlung abgeschlossen ist, verbiete sich eine formalistische Betrachtung. Maßgeblich sei nicht, ob eine fortdauernde Verletzungshandlung in einzelne sich stetig widerholende Taten getrennt werden könnte, sondern ob der Benutzer die Patentverletzung zum Inkrafttreten des EPGÜ hätte beenden können, sich aber für deren Fortsetzung entschieden hat. Die Lokalkammer lässt jedoch aus Billigkeitsgründen zu, dass die Parteien sich auf eine ihnen gegenüber dem EPGÜ für sie günstigere nationale Rechtslage berufen können. Es obliege den Parteien, diese günstigere Rechtslage und ihre Anwendung im konkreten Fall darzulegen (was voraussetzt, dass die jeweilige Partei die günstigere nationale Rechtslage in den einbezogenen Mitgliedstaaten kennt). 

 

Territoriale Zuständigkeit der Lokalkammern

Die Lokalkammer Brüssel hat entschieden, dass die Zuständigkeit einer Lokalkammer für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht voraussetzt, dass der Beklagte eine Verletzungshandlung in dem Vertragsstaat der Lokalkammer selbst vorgenommen hat; es genüge, dass der Kläger vorträgt und ggf. belegt, dass Verletzungsprodukte des Beklagten zu Kunden gelangten, die im Vertragsstaat der angerufenen Lokalkammer ansässig sind, Art. 33(1) lit. a) EPGÜ (Anordnung vom 21. März 2025 – UPC_CFI_582/2024). Wenn einer von zwei Beklagten seinen Sitz in einem anderen Vertragsstaat habe, führe dies nicht dazu, dass die Lokalkammer des anderen Vertragsstaates vorrangig zuständig sei. Die lesenswerte Erörterung der Zuständigkeitsregelung in Art. 33(1) EPGÜ und deren Verhältnis zu Art. 7(2) Brüssel I VO mündet in der Feststellung, dass die Zuständigkeitsregelungen Forumshopping ermöglichten; unterschiedliche Lokalkammern könnten für ein und denselben Fall parallel zuständig sein. Die vom EuGH in Melzer v. MF Global (C-228/11) vertretene einschränkende Auslegung von Art. 7(2) Brüssel I VO sei nicht 1:1 auf Art. 33(1) EPGÜ anwendbar. 

 

Notwendigkeit als eigene Voraussetzung für einstweilige Verfügung

Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nur in Betracht kommt, wenn ein Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden kann. Andernfalls ist eine einstweilige Maßnahme – ungeachtet des etwaigen Vorliegens einer Patentverletzung – nicht notwendig (s. R. 206.2(c) VerfO) und der Antragsteller ist auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Anordnung vom 24. Februar 2025 – UPC_CoA_540/2024). Die Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit einer einstweiligen Verfügung liegt beim Antragsteller.

Im entschiedenen Fall verneinte das Berufungsgericht die Notwendigkeit der einstweiligen Verfügung, weil die angegriffene Ausführungsform zum Zeitpunkt der Erteilung des Klagepatents schon seit mehreren Jahren auf dem Markt war. Der Umstand, dass eine Messe kurz bevorstand, für welche die Antragsgegnerin ihre Teilnahme angekündigt hatte, machte die einstweilige Verfügung unter den Umständen des Falles nicht notwendig. Die beantragte einstweilige Verfügung hätte den Status quo, der bis zur Erteilung des Klagepatents nicht rechtswidrig war, nicht aufrechterhalten, sondern verändert. Für die von der Antragstellerin behauptete Bevorratung mit der angegriffenen Ausführungsform seitens der Abnehmer und für angeblich bevorstehende öffentliche Ausschreibungen fehlte es aus Sicht des Berufungsgerichts an ausreichend konkretem Vortrag und/oder Beweis. Die Antragstellerin hatte auch nicht glaubhaft gemacht, dass eine vorläufige Maßnahme notwendig war, um den Marktanteil der Antragstellerin oder das Preisniveau zu sichern. 

 

Dringlichkeit für einstweilige Verfügung aus Einheitspatent

Die Lokalkammer Brüssel hat entschieden, dass das Hauptsacheverfahren die Regel und das einstweilige Verfügungsverfahren die Ausnahme ist; eine einstweilige Verfügung sei nur unter besonderen Umständen zu erlassen, die sich aus einer zeitlichen oder sachlichen Notwendigkeit ergeben könnten. In jedem Fall darf der Antragsteller nicht nachlässig oder zögerlich agiert haben. Er muss ab dem Zeitpunkt, zu dem er zuverlässig Kenntnis von den angeblich patentverletzenden Handlungen erhalten hat und einen objektiv erfolgsversprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellen kann, den Antrag zügig einreichen. Dies kann im Fall eines Einheitspatents bedeuten, dass der Verfügungsantrag bereits vor Eintragung der einheitlichen Wirkung gestellt werden muss (Anordnung vom 21. März 2025 – UPC_CFI_582/2024).

Im Falle eines Einheitspatents sei für die Beurteilung der Dringlichkeit nicht maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt die einheitliche Wirkung im Register eingetragen worden ist. Vielmehr sei auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patenterteilung abzustellen; ab diesem Zeitpunkt könne und müsse der Antragsteller einen erfolgsversprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zügig stellen. Er könne nicht die Eintragung der einheitlichen Wirkung abwarten. Im entschiedenen Fall war der Hinweis auf die Patenterteilung am 12. Juni 2024 veröffentlicht worden. Am 2. Juli 2024 stellte der Patentinhaber einen Antrag auf einheitliche Wirkung, die am 23. August 2024 eingetragen wurde. Der Verfügungsantrag wurde am 2. Oktober 2024 gestellt, was nach Ansicht der Lokalkammer Brüssel zu spät war.

 

Prozesskostensicherheit zu Lasten chinesischer Parteien

Die Lokalkammer München hat einen Antrag der Beklagtenpartei, der Klägerin Prozesskostensicherheit gemäß R.158 VerfO aufzuerlegen, mit der Begründung stattgegeben, dass die Klägerin in China ansässig sei (Anordnung vom 19. März 2024 - UPC_CFI_425/2024). Bei China handele es sich um ein Land, dass seine Verpflichtungen nach dem Haager Zustellungsübereinkommen nicht erfülle. Daher sei damit zu rechnen, dass die Vollstreckung der Kostenentscheidung des UPC nicht oder nur mit unangemessenen Schwierigkeiten möglich sei. Der zuständige Berichterstatter stützt seine Entscheidung dabei nicht nur auf Erfahrungen des EPG, sondern auch auf solche von deutschen Gerichten. Es ist davon auszugehen, dass die Lokalkammer generell auf Antrag Prozesskostensicherheit zulasten chinesischer Kläger anordnen wird. Vor dem UPC kommt auch die Anordnung von Prozesskostensicherheit zulasten des Beklagten in Betracht (R.158 VerfO). Mit der Begründung der Lokalkammer wird auch einem beklagten chinesischen Unternehmen die Leistung von Prozesskostensicherheit auferlegt werden können, wobei hier die Hürden höher sind als im Falle der Prozesskostensicherheit des Klägers (s. Anordnung vom 3. Dezember 2024 – UPC_CFI_140/2024, dazu EPG-Report 1|2025).

 

Rechtzeitige Zahlung der Gerichtsgebühren

Nach R. 15.2 VerfO gilt die Klageschrift erst dann als eingereicht, wenn die Gerichtsgebühren bezahlt wurden. R. 15.2 VerfO gilt entsprechend für die Nichtigkeitswiderklage (R. 26 VerfO), die Schutzschrift (R. 207.4 VerfO) und andere Verfahrenshandlungen. Die Lokalkammer München hat entschieden, dass es für R. 15.2 VerfO und damit für die Rechtzeitigkeit der Verfahrenshandlung nicht auf den Eingang der Gerichtsgebühren auf dem Konto des Gerichts, sondern nur auf den Zeitpunkt der Zahlung ankommt (Anordnung vom 11. März 2025 – UPC_CFI_201/2024). Was genau mit „Zahlung“ gemeint ist, präzisiert die Lokalkammer nicht. Praktisch dürfte es sich um den Zugang des Zahlungsauftrags bei der Bank des Zahlenden handeln, wobei dem Zahlungspflichtigen regelmäßig die Möglichkeit der Echtzeitüberweisung zur Verfügung stehen dürfte.

 

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Weitere Informationen zu Patentstreitigkeiten im Einheitlichen Patentgericht (Unified Patent Court, UPC) finden Sie hier: 

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