ENERGY NEWS #27/2016
Das neue Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) verletzt den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz zahlreicher Entwickler von noch nicht realisierten Offshore-Windparks. Das WindSeeG verfolgt zum einen das Ziel, die Leistung von Windenergieanlagen auf See ab dem Jahr 2021 bis zum Jahr 2030 auf insgesamt 15 GW zu steigern. Zum anderen soll eine unbegrenzte Erweiterung der Kapazitäten von Windenergie auf See verhindert werden. Dieses allgemeine Interesse legitimiert aber nicht die rückwirkende Enttäuschung von Vertrauensinvestitionen, die bereits für spezifische Projekte getätigt wurden.
I. Zusammenfassung
- Das WindSeeG vollzieht einen Systemwechsel. Es führt ein zentrales Ausschreibungsmodell für Offshore-Windparkprojekte ein. Neu ist zudem, dass diese nur auf den von der Bundesnetzagentur vorentwickelten Flächen von bezuschlagten Bietern realisiert werden dürfen.
- Zur Vermeidung unzumutbarer Härten für bereits genehmigte Projekte hat der Gesetzgeber Übergangsregelungen vorgesehen. Zum einen können Entwickler bestehender Projekte an besonderen Ausschreibungen im Volumen von zwei Mal 1.550 MW teilnehmen. Zum anderen wird ein Eintrittsrecht eingeräumt, wenn voruntersuchte Flächen ausgeschrieben werden, die sich vollständig oder überwiegend mit der Fläche bestehender Projekte decken.
- Die Enttäuschung verfestigter und schutzwürdiger Vertrauensinvestitionen der Vorhabenträger für Windenergieanlagen auf See ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Insbesondere Investitionen in bereits vorentwickelte Projekte außerhalb der ausgewiesenen Flächen werden vollständig entwertet und eine Realisierung – abgesehen von lediglich punktuellen Ausnahmen aufgrund der Übergangsregelungen – vollständig ausgeschlossen.
- Rechtschutz für Inhaber betroffener Projekte bietet die Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht.
II. Die Konzeption des WindSeeG – Ausschreibungsmodell und Entwertung von Investitionen in vorentwickelte Projekte
Nach dem bisherigen System konnte jeder Vorhabenträger, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllte, eine Zulas-sungsentscheidung für sein Projekt erhalten. Dies hat sich durch das WindSeeG grundlegend geändert. Offshore-Windenergieprojekte, die ab dem 1.1.2025 in Betrieb genommen werden sollen, ermittelt die Bundesnetzagentur für die durch die Behörde voruntersuchten Flächen (§ 16 WindSeeG) ab dem Jahr 2020 durch Ausschreibungen. Der bezuschlagte Bieter erwirbt das ausschließliche Recht zur Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens zur Errichtung und zum Betrieb der Offshore-Windenergieanlagen. Er erhält im Umfang der bezuschlagten Gebotsmenge den Anspruch auf Anschluss der Windenergieanlagen auf See an die in einem Flächenentwicklungsplan festgelegte Offshore-Anbindungsleitung und auf die zugewiesene Netzanbindungskapazität. Überdies steht ihm mit Inbetriebnahme der Anspruch auf die Marktprämie zu (§ 19 EEG).
Investitionen in bereits vorentwickelte Projekte werden damit entwertet, da Offshore-Windenergieanlagen nur noch auf von der Bundesnetzagentur voruntersuchten Flächen von dem bezuschlagten Bieter errichtet werden können.
III. Übergangsregelungen und Vertrauensschutz
Der Gesetzgeber hat auf Grund dieser gravierenden Konsequenzen des Systemwechsels für bestehende Projekte in zweierlei Hinsicht abmildernde Übergangsregelungen geschaffen, die dem enttäuschten Vertrauen jedoch nur unzureichend Rechnung tragen.
1. Ausschreibung für bestehende Projekte
Für Windenergieanlagen auf See, die nach dem 31.12.2020 und vor dem 1.1.2025 in Betrieb gehen, sind Ausschreibungen für sog. bestehende Projekte im Volumen von zwei Mal 1.550 MW vorgesehen, die am 1.3.2017 und am 1.3.2018 stattfinden werden (§§ 26 ff. WindSeeG). Teilnahmeberechtigt sind Projekte, die vor dem 8.6.2016 eine Genehmigung erhalten haben, die planfestgestellt wurden oder die planungsrechtlich verfestigt sind. Zudem müssen sich die Projekte in bestimmten Clustern der Bundesfachpläne Offshore für die ausschließliche Wirtschaftszone Nordsee bzw. Ostsee befinden. Die Bundesnetzagentur ermittelt die in den jeweiligen Clustern zur Verfügung stehenden Netzanbindungskapazitäten und macht sie in der Ausschreibung bekannt.
Trotz der geplanten Sonderausschreibungen werden zwangsläufig zahlreiche bestehende Projekte entwertet. Bereits genehmigte oder planfestgestellte Projekte in Nord- und Ostsee, die noch nicht realisiert wurden, haben einen Umfang, der über das festgelegte Ausschreibungsvolumen von 3.100 MW weit hinausgeht. Bestehende Projekte, die anderen Bietern in der Sonderausschreibung unterliegen, können nicht mehr realisiert werden. Sie verlieren ihre ursprüngliche behördliche Zulassungsentscheidung. Projekte, die nicht einmal als bestehende Projekte gelten, weil sie außerhalb der dafür festgelegten Cluster liegen, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes vollständig und endgültig entwertet.
2. Eintrittsrecht
Vorhabenträgern von bestehenden Projekten wird ein Eintrittsrecht eingeräumt, wenn voruntersuchte Flächen ausgeschrieben werden, die sich vollständig oder überwiegend mit der Fläche des bestehenden Projektes überschneiden (§ 39 ff. WindSeeG). Wird das Eintrittsrecht ausgeübt, geht der erteilte Zuschlag auf den Inhaber des bestehenden Projektes über (§ 43 WindSeeG).
In den Genuss des Eintrittsrechtes kann aber nur eine begrenzte Zahl von Vorhabenträgern kommen. Viele Entwickler von bestehenden Projekten werden weder in Ausschreibungen noch durch Ausübung eines Eintrittsrechtes eine Zulassungsentscheidung erwirken können. Die Übergangsregelungen mildern die gravierenden Konsequenzen des Systemwechsels für bestehende Projekte daher nur punktuell ab.
IV. Verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz
Die Entwertung von Investitionen, die bereits für bestehende Projekte getätigt wurden, verletzt den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz der Windparkentwickler. Das Vertrauen der Vorhabenträger von bestehenden Projekten ist in besonderem Maße schutzwürdig, sodass ganz besondere Gründe vorliegen müssten, um eine rückwirkende Enttäuschung des schutzwürdigen Vertrauens verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Derartige Gründe sind hier nicht ersichtlich.
1. Besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Vorhabenträger
Die besondere Schutzwürdigkeit ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren gezielt Anreize für einen Ausbau von Offshore-Windenergieanlagen gesetzt hat. So wurden nach dem Vergütungssystem des EEG gezielt Investitionen in Offshore-Windenergieanlagen begünstigt. Dieses Anliegen schlug sich auch in der Strategie der Bundesregierung zur Nutzung von Windenergie auf See aus dem Jahr 2002 nieder, die eine installierte Leistung von 20.000 bis 25.000 MW bis 2030 vorsah. Noch im Jahr 2010 bestätigte die Bundesregierung in ihrem „Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung“ die staatliche Intention zur Erhöhung der Kapazitäten von Offshore-Windenergieanlagen. Erst im Jahre 2014 wurde in § 3 Nr. 2 EEG das Ausbauziel von Offshore-Windenergiekapazitäten auf 15.000 MW im Jahr 2030 reduziert. Damit wurde den Windenergiebetreibern aber weiterhin signalisiert, dass ein erheblicher Ausbaubedarf besteht.
Auch das vor dem Systemwechsel bestehende Zulassungs- und Netzanbindungsregime spricht für einen erhöhten Vertrauensschutz der Entwickler von bestehenden Offshore-Windenergieanlagen. Nach dem bisherigen System wurde von Vorhabenträgern eine entsprechende Vorleistung für die Planung und Einleitung des Planfeststellungsverfahrens verlangt, sodass diese faktisch zu einer Vertrauensinvestition gezwungen waren. Um eine Zulassungsentscheidung zu erwirken, musste bisher ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden, das eine hinreichend konkrete, kostenintensive Planung über die Errichtung, Umsetzung und den Betrieb des Windparks durch den Vorhabenträger voraussetzte.
Im Gegensatz dazu wird der Planungsaufwand für die Voruntersuchung der Flächen künftig in erheblichem Umfang durch die Bundesnetzagentur übernommen, die auf dieser Grundlage dann die entsprechenden Projekte auf den voruntersuchten Flächen ausschreibt
2. Keine hinreichende sachliche Rechtfertigung
Eine Enttäuschung schutzwürdig betätigten Vertrauens in die alte Rechtslage ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nur hinzunehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigende öffentliche Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten ist. Die besonderen Rechtfertigungsgründe müssen über das allgemeine Änderungsinteresse des Gesetzgebers hinausgehen. Gerade die spezifische Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens und die rückwirkende Entwertung der im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage getroffenen vermögenswerten Dispositionen müssen gerechtfertigt sein. Hatte der Gesetzgeber gezielt Anreize für entsprechende Dispositionen gesetzt, ist Vertrauen besonders schutzwürdig. Allgemeine Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgründe sind ebenso wenig zur besonderen Rechtfertigung der nachträglichen Entwertung schutzwürdiger Vertrauensdispositionen geeignet wie der generelle Zweck, bestehende Vergünstigungen abzubauen oder Missbräuche zu beseitigen. Die allgemeinen Ziele der Umgestaltung einer Rechtslage sind regelmäßig lediglich Ausdruck des generellen zukunftsgerichteten Änderungsinteresses und keine besonderen Gründe in diesem Sinne.
Mit dem Systemwechsel bezweckt der Gesetzgeber die Sicherstellung des Ausbauzieles von 15 GW bis zum Jahr 2030 und zugleich die Verhinderung der unbegrenzten Erweiterung der Kapazitäten von Windenergie auf See. Hierin kommt aber lediglich ein allgemeines Änderungsinteresse zum Ausdruck, das der Gesetzgeber auch ohne die Entwertung bestehender Projekte sinnvoll verfolgen könnte. Er könnte die Realisierung bestehender Projekte ohne weiteres zulassen. Hierdurch würde nicht das Ausbauziel von 15 GW bis zum Jahr 2030 unterlaufen. Vielmehr würde lediglich die Kapazitätslücke bis zur Erreichung der 15 GW verkleinert. Wie bereits oben erwähnt verhindern auch die Übergangsregelungen eine Entwertung bestehender Projekte nur sehr begrenzt. Damit lässt sich die Entwertung von getätigten Investitionen der Windenergiebetreiber verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
V. Fazit und Rechtsschutz
er ständige Wandel des Energierechts führt immer wieder zu neuen Rahmenbedingungen – auch für Betreiber von Offshore-Windenergieanlagen. Das Vertrauen der Entwickler von Offshore-Windparks in stabile gesetzliche Rahmenbedingungen wurde bereits mit der EnWG-Novelle 2012 enttäuscht. Der vor 2012 bestehende unbegrenzte individuelle Netzanbindungsanspruch des Offshore-Anlagenbetreibers wurde durch die diskriminierungsfreie Zuteilung von Kapazitäten auf der Grundlage des Offshore-Netzentwicklungsplans ersetzt. Damals schon wurden Investitionen von Vorhabenträgern entwertet. Der Umstand, dass sich die Branche seinerzeit nicht gegen die Gesetzesänderung gewehrt hat, scheint den Gesetzgeber in der Auffassung bestärkt zu haben, er könne weiterhin ohne weiteres Neuregelungen wie das WindSeeG erlassen, die Investitionen von Entwicklern von Offshore-Windenergieanlagen massiv entwerten und damit berechtigte Erwartungen von Investoren enttäuschen. Eine verfassungsrechtliche Klärung der Grenzen des ständigen Änderns gesetzlicher Rahmenbedingungen ist aus diesem Grund dringlicher denn je. Innerhalb der Jahresfrist nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2017 kann unmittelbar Rechtssatzverfassungsbeschwerde erhoben werden. Die belastenden Rechtswirkungen des WindSeeG treten unmittelbar kraft Gesetzes ohne die Notwendigkeit eines Vollzugsaktes ein, sodass der Grundsatz der Subsidiarität keinen vorherigen Rechtsschutz gebietet.