
Die Haushaltslage in Deutschland steht vor einem Umbruch: Mit der Mehrheit des alten Bundestages wurde eine Verfassungsänderung zur Anpassung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben und zur Einführung eines Sondervermögens im Umfang von EUR 500 Mrd. für die Infrastruktur auf den Weg gebracht. Das Sondervermögen für die Infrastruktur ist für einen Zeitraum von 12 Jahren angelegt und wird daher Investitionen der nächsten 3 Legislaturperioden umfassen. Der Rahmen für die kommende Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD ist damit gesetzt und die (vermutlich) kommende Bundesregierung hat mit einem Sondierungspapier bereits erste Hinweise auf politische Veränderungen in den nächsten Jahren gegeben.
A. Einleitung
Am 8. März 2025, knapp zwei Wochen nach der vorgezogenen Neuwahl des Bundestages, haben sich CDU/CSU und SPD – die Parteien, die aller Voraussicht nach in der kommenden Legislaturperiode eine Koalitionsregierung bilden werden – auf ein gemeinsames Sondierungspapier verständigt. Das Sondierungspapier dient als Grundlage für die Koalitionsgespräche und gibt damit erste Hinweise zu der voraussichtlichen Regierungspolitik der nächsten vier Jahren.
Das Sondierungspapier sieht die Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von EUR 500 Mrd. vor, das für Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Digitalisierung, Energie und das Gesundheitswesen vorgesehen ist. Zudem soll zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und der EU die Schuldenbremse gelockert werden.
In puncto Wirtschaft (auf die wir nachstehend näher eingehen) wollen die CDU/CSU und SPD die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands mit vertrauensbildenden Maßnahmen, entschlossenem Handeln und einer Verbesserung der Planungssicherheit steigern. Ihr erklärtes Ziel ist es, das Wirtschaftswachstum wieder auf deutlich über ein Prozent zu steigern, indem sie Investitionen und Innovationen für nachhaltiges Wachstum, neuen Wohlstand und Arbeitsplätze fördern (siehe B unten). Die Parteien bekräftigen auch ihr generelles Bekenntnis zu Klimazielen und zu unabhängiger Forschung.
Das Sondierungspapier steht im Einklang mit dem von CDU/CSU und SPD vorgeschlagenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, das sie mit der qualifizierten Mehrheit des alten Bundestages beschließen wollen. CDU/CSU und SPD wollen die Grenzen für die staatliche Kreditaufnahme („Schuldenbremse“) lockern und ein Sondervermögen zur Modernisierung der Infrastruktur einrichten (siehe C für Einzelheiten). Grund für das eilige Vorgehen ist die Befürchtung, dass die Parteien AfD und Die Linke mit ihrer Sperrminorität im neu gewählten Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert, verhindern könnten. Nach Artikel 39 Absatz 2 des Grundgesetzes muss der neue Bundestag spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammentreten, so dass die Reform der Schuldenbremse bis 25. März 2025 beschlossen sein musste.
B. Vorgeschlagene Wirtschaftsmaßnahmen
- Niedrige, planbare und international wettbewerbsfähige Energiekosten: Dem Sondierungspapier zufolge wollen die Parteien die Stromsteuer auf das europarechtliche Mindestmaß senken (0,05 ct/kWh) und die Übertragungsnetzentgelte halbieren, um eine schnelle Entlastung von mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde (kWh) herbeizuführen. Ziel ist eine dauerhafte Deckelung der Netzentgelte. Es wird angestrebt, die Regelungen der Strompreiskompensation auf weitere energieintensive Branchen auszuweiten und die Kompensation zu verlängern. Der Netzausbau soll zügig, zielgerichtet und kosteneffizient vorangetrieben werden.
- Erhöhung des Energieangebots zur Stabilisierung und Reduzierung der Stromkosten: Reservekraftwerke sollen nicht nur zur Vermeidung von Versorgungsengpässen, sondern auch zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen. Die Parteien wollen den Bau von bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistung bis 2030 anreizen vorrangig an bestehenden Kraftwerkstandorten und alle Potentiale der erneuerbaren Energien nutzen. Dazu gehört neben dem entschlossenen und netzdienlichen Ausbau von Sonnen- und Windenergie auch der Ausbau von Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie und Speicherkapazitäten.
- CO2-Neutralität energieintensiver Industrie: Die Parteien wollen ein Gesetzespaket beschließen, das die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) insbesondere für schwer vermeidbare Emissionen des Industriesektors ermöglicht. Das Wasserstoffkernnetz soll deutschlandweit die industriellen Zentren anbinden.
- Leitmärkte für klimaneutrale Produkte: Die Parteien beabsichtigen, Leitmärkte für klimaneutrale Produkte zu schaffen, z.B. durch Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote und vergaberechtliche Vorgaben.
- Stärkung strategischer Industrien: Die Parteien wollen strategisch wichtige Branchen in Deutschland halten und neue ansiedeln. Industriecluster zum Beispiel in der Halbleiterindustrie in den ostdeutschen Bundesländern können hier ein gutes Beispiel sein. Die Parteien wollen dabei die Möglichkeiten des European Chips Act und der IPCEI nutzen.
- Automobilindustrie als Leitindustrie erhalten: Die Parteien bekennen sich ausdrücklich zum Erhalt des Automobilstandorts Deutschland und der damit verbundenen Arbeitsplätze. Dabei setzen sie auf Technologieoffenheit und wollen sich aktiv dafür einsetzen, Strafzahlungen aufgrund der Überschreitung von Flottengrenzwerten abzuwehren. Gleichzeitig wollen sie die E Mobilität durch Kaufanreize fördern. Auch die Zulieferer sollen bei der Bewältigung der Transformation unterstützt werden.
- Entlastung der Mitte: Dem Sondierungspapier zufolge wollen die Parteien die breite Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform entlasten und die Pendlerpauschale erhöhen.
- Investitionen anreizen und hebeln: Die Parteien wollen spürbare Anreize für unternehmerische Investitionen in Deutschland setzen. Sie wollen in der kommenden Legislaturperiode eine Unternehmenssteuerreform auf den Weg bringen und zur Vergabe von Eigen- und Fremdkapital bei Investitionen im Zusammenspiel von öffentlichen Garantien (z.B. der KfW) und privatem Kapital Investitionsfonds auflegen, z.B. für Venture Capital, Wohnungsbau und Energieinfrastruktur.
- Unterstützung der Gastronomie: Das Sondierungspapier sieht vor, die Umsatzsteuer für Speisen dauerhaft auf 7 Prozent zu reduzieren.
- Unterstützung der Landwirte: Die Parteien wollen die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wieder einführen.
- Rückbau der Bürokratie: Die Parteien wollen Bürokratie zurückbauen, etwa durch die Abschaffung von Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten. Sie wollen zudem die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsbeauftragten signifikant reduzieren und sich dabei am Vorschlag des Normenkontrollrates, die Bürokratiekosten für Unternehmen in den nächsten vier Jahren um 25 Prozent zu reduzieren, orientieren.
- Vorrang für Innovation, Forschung und Digitalisierung: Geplant ist eine „Hightech-Agenda“ für Forschung, Innovationen, Technologien, Transfer und Entrepreneurship. Die Parteien wollen die Fusionsforschung stärker fördern mit dem Ziel, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland steht. Die Chancen von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung sollen stärker genutzt werden, was eine massive Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung erfordert. Digitale Behördengänge sollen flächendeckend ermöglicht, Datenregister vernetzt und Verwaltungsprozesse automatisiert werden.
- Ausbau des Freihandels: Die vier von der amtierenden Regierung in den Bundestag eingebrachten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sollen wortgleich wieder eingebracht und beschlossen werden. Die Parteien setzen sich zudem ein für ein Inkrafttreten des Mercosur-Abkommens und den Abschluss neuer Freihandelsabkommen, auch mit den USA. Gleichzeitig wollen sie die deutsche Industrie vor unfairen Handels- und Subventionspraktiken schützen.
C. Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes für eine Reform der Schuldenbremse und Sondervermögen beschlossen
Die Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Diese Regelung ist in Artikel 109 Grundgesetz verankert. Der Grundsatz der Schuldenbremse ist grundsätzlich erfüllt, wenn die Höhe der Kreditaufnahmen 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen (Artikel 115 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz).
In dem von CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes heißt es, dass aufgrund fundamentaler Veränderungen der Sicherheitsarchitektur infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine und aufgrund der weiterhin zu erwartenden geoökonomischen und sicherheitspolitischen Spannungen ‑ insbesondere im Zusammenhang mit dem Politikwechsel in den USA ‑ größere finanzielle Lasten auf Deutschland und Europa zukommen werden.
Es wird davon ausgegangen, dass das Sondervermögen Bundeswehr nicht ausreichen wird, um bestehende Fähigkeitslücken vollständig zu schließen. Generell wird davon ausgegangen, dass auf Bundes- und Länderebene ein großer Finanzierungsbedarf besteht, insbesondere bei der Infrastruktur.
Um Bedarfe in dieser Größenordnung in den kommenden Jahren realisieren zu können, bedarf es mittelfristiger Planungssicherheit. Die dafür in dem Gesetzesentwurf geforderten drei wesentlichen Grundgesetzänderungen (Art. 109, 115 und 143h) wurden vom Bundestag und auch vom Bundesrat angenommen:
- Limitierte Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben, Ausgaben für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, für Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten im Rahmen der Schuldenregel: Der Gesetzentwurf bezweckt, durch eine Neufassung von Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz den fiskalischen Spielraum zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr zu erweitern. Gleichzeitig wird die Stärkung der inneren Sicherheit angestrebt. Der Bund wird hierfür ermächtigt, zusätzliche Haushaltsmittel für notwendige Verteidigungsausgaben sowie Ausgaben für Nachrichtendienste, den Zivilschutz und die IT-Sicherheit bereitzustellen. Notwendige Ausgaben in diesen Bereichen über ein Prozent des Bruttoinlandprodukts sind dann von der Schuldenbremse ausgenommen. Ebenfalls werden Finanzhilfen für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten in diese Ausnahme miteinbezogen.
- Begrenzter zusätzlicher Verschuldungsspielraum für die Länder: Die Ländergesamtheit erhält unabhängig von der konjunkturellen Lage einen sehr eng begrenzten strukturellen Verschuldungsspielraum in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Über die konkrete Verwendung dieses Spielraums entscheiden die Länder im Rahmen ihrer Haushaltsautonomie.
- Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität: Ein neuer Artikel 143h des Grundgesetzes ermächtigt den Bund, ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung von bis zu EUR 500 Mrd. über die Laufzeit des Sondervermögens für Investitionen in die gesamtstaatliche Infrastruktur und zur Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu errichten. Dafür sind auch Zuführungen aus dem Sondervermögen in die Klima- und Transformationsfonds in Höhe von EUR 100 Mrd. zulässig. Die Laufzeit des Sondervermögens wird Zwölf Jahre betragen. Bis zu EUR 100 Mrd. des Sondervermögens sind für Investitionen der Länder und Kommunen in ihre Infrastruktur vorgesehen. Diese Kreditermächtigungen werden ebenfalls von der Schuldenbremse ausgenommen. Es wird erwartet, dass eine Erhöhung der Ausgaben für öffentliche Investitionen zusätzlich die privatwirtschaftliche Aktivität anregt.
Der von CDU/CSU und SPD eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes sah ursprünglich nur eine Ausnahme von Verteidigungsausgaben von der Schuldbremse vor. Auch sollte das Sondervermögen anfänglich allein für Infrastrukturvorhaben eingerichtet werden. Nach einem überarbeiteten Entwurf der CDU/CSU und SPD sowie einem von BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Entwurf ist die Grundgesetzänderung am 18. März 2025 vom Bundestag gebilligt und mit den zusätzlichen Ausnahmen von der Schuldenbremse sowie der Aufnahme des Ziels der Klimaneutralität in das Sondervermögen angenommen worden. Angestrebt sind ausdrücklich Investitionen in den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Verkehrsinfrastruktur, die Energieinfrastruktur, den Klimaschutz sowie Bildungs- und Krankenhäuser. Insbesondere sollen Wärme- und Energienetze aus dem Sondervermögen mitfinanziert werden können. Neben den Klimazielen steht hier auch die Funktionalität der gesamtstaatlichen Infrastruktur im Mittelpunkt.
Im Rahmen der Abstimmung über den Gesetzentwurf hat der Bundestag außerdem einen Entschließungsantrag von CDU/CSU sowie SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen. Wenige Tage vor dem Zusammentritt des neuen Bundestages wird die neue Bundesregierung darin aufgefordert, die Finanzierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Kernhaushalt abzusichern. Sie wird außerdem aufgefordert, durch Zusammenschluss einer Expertenkommission die Modernisierung der Schuldenbremse dauerhaft weiterzuentwickeln und so die Stärkung der Bundesrepublik durch zusätzliche Investitionen weiter zu unterstützen.
Nachdem eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat – gerade im Hinblick auf die Zustimmung Bayerns – für die Annahme der Grundgesetzänderung zunächst nicht sicher schien, hat auch der Bundesrat den Entwurf am 21. März 2025 angenommen und das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Zwölf der 16 Bundesländer, darunter Bayern, votierten mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für die Gesetzesänderungen. Ein Versuch der AfD, die Abstimmung noch am selben Morgen durch Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht aufzuhalten, scheiterte.
D. Fazit
Mit der Abstimmung am 21. März 2025 hat der Bundesrat das „Schuldenpaket“ kurz vor Zusammentritt des neuen Bundestages beschlossen. Von dem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz profitieren auch die Länder, deren Schuldenrahmen für Infrastrukturinvestitionen um EUR 100 Mrd. erhöht wird. Außerdem wird auch die Schuldenbremse explizit für die Länder gelockert. Die zukünftige Bundesregierung steht vor der Herausforderung, die Fähigkeiten der Landes- und Bündnisverteidigung deutlich zu stärken. Voraussetzung ist eine ausgebaute, funktionsfähige und moderne Infrastruktur, die mit den beschlossenen Änderungen des Grundgesetzes gelingen soll. Die Ausfertigung des Gesetzes wird für die nächste Woche erwartet, mit der Prüfung auf das verfassungsgemäße Zustandekommen des Gesetzes habe das Bundespräsidialamt bereits begonnen. Mit einer Hürde bei der Ausfertigung ist allerdings nicht mehr zu rechnen. Unternehmen sollten die im Sondierungspapier der Parteien genannten umfangreichen Investitionspläne sowie die neuen Investitionsmöglichkeiten und Anreize der rechtlichen Änderungen sorgfältig beobachten und auswerten.
