Am 11. Oktober 2018 wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) veröffentlicht. Das Gesetz richtet sich vor allem an börsennotierte Unternehmen und bringt Neuerungen u.a. zu Organvergütung („say on pay“), Geschäften mit nahestehenden Personen („related party transactions“) sowie Aktionärsidentifizierung und -information („know your shareholder“). Daneben soll – worauf im Folgenden nicht näher eingegangen wird – die Transparenz bei institutionellen Anlegern, Vermögensverwaltern und Stimmrechtsberatern verbessert werden. Die zweite Aktionärsrechterichtlinie ist bis zum 10. Juni 2019 in deutsches Recht umzusetzen.
Say on Pay
Der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft hat zukünftig ein „allgemein verständliches System“ zur Vergütung der Vorstandsmitglieder zu beschließen. Für diese Vergütungspolitik für den Vorstand enthält § 87a Abs. 1 AktG-E detaillierte Vorgaben. Während § 120 Abs. 4 AktG derzeit ein freiwilliges Votum der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft über das Vergütungssystem für den Vorstand vorsieht, werden die Aktionäre künftig zwingend bei jeder wesentlichen Änderung, mindestens aber alle vier Jahre über die Vergütungspolitik für den Vorstand beschließen (§ 120a Abs. 1 AktG-E). Das Aktionärsvotum ist wie bisher nicht anfechtbar und für den Aufsichtsrat (der für die Festsetzung der Vorstandsvergütung zuständig bleibt) nicht verbindlich. Jedoch hat der Aufsichtsrat bei einer Ablehnung der folgenden (ordentlichen?) Hauptversammlung eine überprüfte Vergütungspolitik zur Beschlussfassung vorzulegen. Der Aufsichtsrat wird aber nicht verpflichtet, die Vergütungspolitik im Falle eines negativen Hauptversammlungsvotums zu ändern. Kommt er bei der Überprüfung zu dem Ergebnis, an der Vergütungspolitik festhalten zu wollen, ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den bisherigen Erfahrungen wird bei einer Ablehnung durch die Hauptversammlung eine Anpassung der Vergütungspolitik jedoch angezeigt sein.
Die zweite Aktionärsrechterichtlinie sieht auch eine Abstimmung der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft über die Vergütungspolitik für den Aufsichtsrat vor. Da das deutsche Recht der Hauptversammlung sogar die konkrete Festsetzung der Aufsichtsratsvergütung zuweist (§ 113 Abs. 1 AktG), wird der Richtlinienvorgabe dadurch Rechnung getragen, dass die Hauptversammlung in Zukunft mindestens alle vier Jahre (ggf. rein bestätigend) über die Aufsichtsratsvergütung beschließt. Der Beschluss muss alle relevanten Angaben zur Vergütungspolitik nach § 87a Abs. 1 AktG-E enthalten. Die obigen Ausführungen zur Nichtanfechtbarkeit und zur Pflicht zur Vorlage einer überprüften Vergütungspolitik gelten entsprechend.
Auf der Tagesordnung jeder ordentlichen Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft wird künftig gemäß § 120a Abs. 4 AktG-E die Beschlussfassung über den jährlich von Vorstand und Aufsichtsrat zu erstellenden und durch den Abschlussprüfer zu prüfenden Vergütungsbericht (§ 162 AktG-E) stehen. Die Angaben zur Vergütung sind für jedes Verwaltungsmitglied einzeln und unter Namensnennung zu machen; eine Möglichkeit zum Opt-Out (wie derzeit noch in § 286 Abs. 5 HGB) besteht nicht mehr. Anders als die Voten zur Vergütungspolitik ist der Beschluss zum Vergütungsbericht anfechtbar; allerdings dürften sich die Rechtsfolgen einer erfolgreichen Anfechtung auf eine Rechenschaftspflicht im Bericht des Folgejahrs beschränken (vgl. § 162 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AktG-E). Bei kleinen und mittelgroßen Gesellschaften (i.S.d. § 267 Abs. 1 und 2 HGB) genügt anstelle eines Beschlusses eine Erörterung des Vergütungsberichts; auch in diesem Fall ist jedoch ein eigener Tagesordnungspunkt zu bilden.
Im Gegenzug zur Einführung des aktienrechtlichen Vergütungsberichts werden die handelsrechtlichen Vorschriften zur besonderen Vergütungsberichterstattung börsennotierter Unternehmen in Anhang bzw. Lagebericht weitgehend gestrichen. Vergütungspolitiken und Vergütungsberichte sind jeweils für mindestens zehn Jahre auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu halten.
Related Party Transactions
Im Vorfeld viel diskutiert wurde der von der zweiten Aktionärsrechterichtlinie geforderte Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats für wesentliche Geschäfte der Gesellschaft mit nahestehenden Personen und dessen Einpassung in das deutsche Konzernrecht.
Der Entwurf des ARUG II verweist für die Definition der nahestehenden Person auf die internationalen Rechnungslegungsstandards IAS/IFRS (einschlägig ist in erster Linie IAS 24.9) und schöpft im Übrigen die von der Richtlinie gelassenen Freiräume in den §§ 111a ff. AktG-E konsequent aus. Das zeigt sich insbesondere
- an einer relativ hoch angesetzten (und erfreulich einfach zu berechnenden) Wesentlichkeitsschwelle (§ 111b Abs. 2 und 4 AktG-E; mehr als 2,5% der Summe aus dem Umlauf- und dem Anlagevermögen gemäß dem letzten festgestellten Jahresabschluss bzw. bei Mutterunternehmen dem gebilligten Konzernabschluss der Gesellschaft bzw. des Konzerns; dabei sind alle innerhalb der vergangenen zwölf Monate mit derselben nahestehenden Person getätigten Geschäfte zusammenzurechnen),
- an den zahlreichen Ausnahmetatbeständen (§ 111a Abs. 2 und 3 AktG-E; u.a. Geschäfte im ordentlichen Geschäftsgang und zu marktüblichen Konditionen, Geschäfte mit unmittelbaren oder mittelbaren 100-prozentigen Tochtergesellschaften und mit unmittelbaren oder mittelbaren Tochtergesellschaften ohne andere nahestehende Gesellschafter) und hierbei insbesondere
- an der Freistellung des Vertragskonzerns, da Geschäfte, die der Zustimmung oder Ermächtigung der Hauptversammlung bedürfen oder in Umsetzung einer solchen Zustimmung oder Ermächtigung vorgenommen werden – dazu gehören insbesondere Unternehmensverträge und Geschäfte aufgrund solcher Verträge (§ 111a Abs. 3 Nr. 3 a) AktG-E) – ausgenommen sind, sowie
- an der Zuweisung der Zustimmungszuständigkeit an den Aufsichtsrat (§ 111b Abs. 1 AktG-E).
Die Zustimmung des Aufsichtsrats ist vor der Vornahme des Geschäfts einzuholen (§ 111b Abs. 1 a.E. AktG-E); maßgeblich ist nach der Gesetzesbegründung das Verpflichtungsgeschäft. Der Aufsichtsrat kann zur Vorbereitung der Zustimmungsentscheidung einen Ausschuss einrichten; eine Delegation der Zustimmung selbst ist nach dem (in diesem Punkt allerdings redaktionell nachbesserungsbedürftigen) Gesetzentwurf nicht möglich. Um eine unbefangene Willensbildung im Aufsichtsrat zu gewährleisten, sieht der Entwurf Stimmverbote und bei Einrichtung eines Ausschusses ein abgestuftes, im Einzelnen etwas kompliziert anmutendes Verfahren vor (§§ 107 Abs. 3 S. 4, 111b Abs. 2, 111c AktG-E). Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, steht es dem Vorstand frei, die Hauptversammlung anzurufen (§ 111b Abs. 4 AktG-E). Ein ohne Zustimmung abgeschlossenes Geschäft ist rechtswirksam, kann aber zur Haftung des Vorstands führen.
Die von der zweiten Aktionärsrechterichtlinie verlangte öffentliche Bekanntmachung von Geschäften mit nahestehenden Personen wird außerhalb des AktG, nämlich in § 48a WpHG-E, geregelt. Die Bekanntmachung hat „unverzüglich“ zu erfolgen, was nach der Gesetzesbegründung in Anlehnung an § 33 Abs. 1 WpHG „in der Regel“ (und vorbehaltlich der strengeren Vorschriften zur Ad hoc-Publizität) noch bei einer Bekanntmachung innerhalb von vier Handelstagen zu bejahen sein soll.
Know your Shareholder
Ein weiteres zentrales Anliegen der zweiten Aktionärsrechterichtlinie ist die bessere Identifikation und Information der Aktionäre. Der Referentenentwurf des ARUG II greift dieses Anliegen wegen seiner thematischen Nähe zum Aktienregister in den §§ 67a ff. AktG-E auf. Zentrale Norm ist § 67d AktG-E, der einen Informationsanspruch der börsennotierten Gesellschaft gegen sämtliche Intermediäre, die Aktien der Gesellschaft verwahren, auf Auskunft über die Identität der Aktionäre statuiert, deren Aktien verwahrt werden. Verwahrt der von der Gesellschaft in Anspruch genommene Intermediär die Aktien seinerseits für einen Intermediär, so ist das Informationsverlangen „in der Kette“ bis zu dem Intermediär weiterzuleiten, der Aktien für einen Aktionär verwahrt. Dieser „Letztintermediär“ hat die geforderte Auskunft in der Regel direkt (also nicht wieder „über die Kette“ zurück) an die Gesellschaft zu übermitteln.
Flankiert wird diese Regelung durch Informationsübermittlungspflichten der Gesellschaft und der Intermediäre, die die Ausübung von Aktionärsrechten erleichtern sollen (§§ 67a bis 67c AktG-E). Diese Pflichten gelten auch für börsenferne Gesellschaften. Sie werden Auswirkungen auf die Organisation von Hauptversammlungen haben.
Für die Praxis zu beachten ist, dass die Europäische Kommission am 3. September 2018 eine Durchführungsverordnung (EU) 2018/1212 erlassen hat, die die formellen Anforderungen an künftige Informationsverlangen und ihre Erfüllung mittels detaillierter Tabellen ausführlich regelt.
Weiterer Zeitplan und erstmalige Anwendbarkeit der neuen Vorschriften
Mit einem Regierungsentwurf ist nicht vor Beginn des nächsten Jahres zu rechnen. Ob das ARUG II pünktlich zum 10. Juni 2019 in Kraft treten kann, ist derzeit offen. Jedenfalls plant der Gesetzgeber, die erstmalige Anwendbarkeit der neuen Vorschriften durch Übergangsbestimmungen im EGAktG zusätzlich abzufedern. Das gilt insbesondere für die hauptversammlungsbezogenen Aspekte. So sollen die §§ 67a ff. AktG nicht vor Beginn des Jahres 2020 gelten. Die neuen Regeln zum „say on pay“ könnten hingegen – ein pünktliches Inkrafttreten des ARUG II vorausgesetzt – bereits ab November 2019 Beachtung verlangen.