BAG, 28. März 2017 – 1 ABR 40/15
Begehrt ein Betriebsrat die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts „in Bezug auf die über die tarifliche Vergütung nach dem TVöD-V hinausgehende Vergütung", betrifft dies kein feststellungsfähiges (Teil-)Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO. Hierbei handelt es sich nicht um einen eigenständigen Entgeltanteil, für den ein Mitbestimmungsrecht festgestellt werden kann.
Die Parteien streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates bei Entgelterhöhungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Antragsteller ist der im Betrieb B ansässige örtliche Betriebsrat eines Blutspendedienstes. Die Arbeitgeberin hat ferner einen Gesamtbetriebsrat. Auf die Arbeitsverträge der Beschäftigten in B fanden entweder Haustarifverträge oder kraft vertraglicher Bezugnahme die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) Anwendung. Zum März 2011 begründete die Arbeitgeberin eine Mitgliedschaft im Kommunalen Arbeitgeberverband Nordrhein-Westfalen (KAV). Der KAV und ver.di schlossen einen unternehmensbezogenen Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten. Den Beschäftigten sollte kein finanzieller Nachteil entstehen. Daher sollten alle nicht dem TVöD/VKA (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände) unterfallenden Entgelte künftig entsprechend den Tarifabschlüssen für den TVöD zum jeweiligen Zeitpunkt linear erhöht werden. Hierüber beteiligte die Arbeitgeberin den Gesamtbetriebsrat, nicht jedoch den Antragsteller. Seit 2012 passt die Arbeitgeberin die Entgelte derjenigen Mitarbeiter an, für deren Arbeitsverhältnisse der TVöD keine Anwendung findet. Die Entgeltabrechnung der Mitarbeiter wies zwei Beträge aus: Den Betrag, der sich nach dem TVöD ergeben würde sowie ein darüber hinaus bestehender Entgeltanspruch, der sich aufgrund der Entgeltregelungen nach den beiden anderen Haustarifverträgen einschließlich deren „Dynamisierung" ergibt, der als „Überleitungszulage" bezeichnet wurde. Der antragstellende Betriebsrat machte geltend, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG über die Verteilung des sich aus den Überleitungszulagen ergebenden Volumens zu. Die Arbeitgeberin stelle für die Arbeitsverhältnisse, deren Entgelt das tariflich geregelte überschreite, eine freiwillige Leistung zur Verfügung.
Das BAG wies die Rechtsbeschwerde als unbegründet zurück. Der Antrag des Betriebsrats sei unzulässig. Der Feststellungsantrag des Betriebsrats entspreche nicht den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO, da er nicht auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet sei.
Ein Feststellungsantrag müsse sich zwar nicht notwendigerweise auf ein Rechtsverhältnis als Ganzes beziehen, sondern könne sich auch auf Teilrechtsverhältnisse, etwa auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, also auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen beschränken. Bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses könnten jedoch nicht zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden. Die von der Antragstellerin begehrte Feststellung eines Mitbestimmungsrechts „in Bezug auf die über die tarifliche Vergütung nach dem TVöD-V hinausgehende Vergütung" beziehe sich nicht auf einen eigenständigen Entgeltanteil, für den ein Mitbestimmungsrecht durch das Gericht festgestellt werden könne. Die Arbeitgeberin passe das gesamte Entgelt der Arbeitnehmer, die von dem Überleitungstarifvertrag betroffen seien, anhand der Tarifentwicklungen an. Das monatliche Entgelt lasse sich insofern nicht in zwei rechtlich getrennt zu beurteilende Entgeltbestandteile aufspalten, bei dem nur für den über den Tarifvertrag hinausgehenden Anteil ein Mitbestimmungsrecht bestehe.
Gleiss Lutz Kommentar
Die Entscheidung des BAG ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Rechtsprechung zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist komplex. Betriebsräte haben daher die Tendenz, ihr Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei jeder Entscheidung des Arbeitgebers in Bezug auf Entgelt geltend zu machen. Dem stellt sich das BAG hier erfreulicherweise entgegen. Das Urteil gibt den Arbeitgebern zumindest etwas Spielraum, Multiplikatoren für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen anzuwenden, ohne in den Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu fallen. Wie weit dieser Spielraum geht, wird sich in der Zukunft zeigen.