Klimaschutz ist traditionell vor allem eine staatliche Aufgabe. Das sog. „Shell-Urteil“ des Bezirksgerichts Den Haag aus dem Jahr 2021 stieß international auch gegen Unternehmen gerichtete sog. Klimaklagen vor Zivilgerichten an. Mit diesen Klimaklagen sollen Unternehmen zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden. Nun hob das Berufungsgericht das Shell-Urteil am 12.11.2024 in zweiter Instanz auf.
Klimaklagen gegen Unternehmen im Überblick
Klimaklagen sind mittlerweile aus einer Vielzahl von Ländern und Jurisdiktionen bekannt. Unter Klimaklagen versteht man insbesondere Klagen vor Gerichten, die auf die Verhinderung oder Eindämmung des Klimawandels oder die Haftung für eingetretene Schäden abzielen. Traditionell richten sich Klimaklagen gegen Staaten. Jedoch haben sich mittlerweile auch Klimaklagen vor Zivilgerichten gegen Unternehmen verbreitet. Dabei klagen regelmäßig NGOs oder ausgewählte Kläger in strategisch gewählten Verfahrenskonstellationen, in welchen die Kläger sich als Vertreter einer vermeintlich geschädigten Gesamtheit darstellen. Dabei geht es den Klägern auch um mediale Aufmerksamkeit sowie darum, Druck auf Gesetzgeber und Unternehmen auszuüben, weitere klimaschützende Maßnahmen zu ergreifen. Inhaltlich versuchen die Kläger, entweder in vorwärtsgerichteten Klimaklagen Unternehmen zur Reduktion künftiger Emissionen zu verpflichten oder in rückwärtsgerichteten Klimaklagen eine Haftung von Unternehmen für bereits durch vermeintlich klimaschädigendes Verhalten eingetretene Schäden zu etablieren. Juristisch ist dabei für die Kläger herausfordernd, eine spezifische zukünftige Handlungspflicht bzw. eine zivilrechtliche Haftung für vermeintliche Klimaschäden zu begründen. Bislang konnten „Klimakläger“ in Deutschland und auch in anderen Ländern keine Zivilverfahren von größerer Leitwirkung gewinnen. Daher ist das sog. „Shell-Urteil“ des Bezirksgerichts Den Haag aus dem Jahr 2021 eine Ausnahme. Das Urteil wurde nun in zweiter Instanz aufgehoben. Aus dieser Entscheidung ergeben sich einige neue Erkenntnisse über die aktuellen Tendenzen der internationalen Rechtsprechung zu Klimaklagen.
Das Verfahren gegen Shell plc
Im April 2020 klagten mehrere Nichtregierungsorganisationen, insbesondere die niederländische Umweltorganisation Milieudefensie, sowie mehrere Tausend Individualkläger im Wege einer Sammelklage gegen den Mineralöl- und Erdgaskonzern Shell vor dem Bezirksgericht (Rechtbank) Den Haag. Die Kläger forderten eine Emissionsreduktion im Einklang mit dem Pariser Weltklimaabkommen bis zum Jahr 2030 um 45 % und auf null bis 2050.
- Mit Urteil vom 26.5.2021 hatte das Bezirksgericht Den Haag entschieden, dass Shell seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um netto 45 % gegenüber dem Stand von 2019 reduzieren müsse. Das erstinstanzliche Gericht leitete diese Pflicht von Unternehmen zur Bekämpfung des Klimawandels aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht aus niederländischem Deliktsrecht (Art. 6:162 Burgerlijk Wetboek) unter Beachtung der UN-Leitprinzipien sowie Art. 2, 8 EMRK und dem sich hieraus ergebenden Recht auf Schutz vor den Folgen eines gefährlichen Klimawandels ab. Shell müsse beim Aufsetzen einer entsprechenden Unternehmenspolitik insbesondere das sich aus dem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ergebende Emissionsreduktionsziel von 45% in Scope 1-3 (also direkte und indirekte Emissionen aus der vor- und nachgelagerter Wertschöpfungskette) im Jahr 2030 gegenüber 2019 beachten. Dieser „Ergebnispflicht“ sei Shell bisher nicht ausreichend nachgekommen.
- Das Berufungsgericht hob das Shell-Urteil am 12.11.2024 auf. Auch das Berufungsgericht bestätigte dabei, dass der Schutz gegen gefährliche Klimaveränderungen ein Menschenrecht sei, welches zumindest mittelbar bei der Auslegung des niederländischen Deliktsrechts zu berücksichtigen sei und daher Unternehmen eine Pflicht zur Ergreifung von geeigneten Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels treffe.
Die Auswahl der geeigneten Maßnahmen liege dabei jedoch grundsätzlich in der Eigenverantwortung des Unternehmens. Dem EU-Recht, insbesondere CS3D und CSRD, könne keine Verpflichtung auf absolute Emissionsreduktion entnommen werden.
Für den deliktischen Sorgfaltsmaßstab des niederländischen Rechts sei es jedoch nicht ausreichend, lediglich die europäischen Anforderungen zu erfüllen. Der deliktische Sorgfaltsmaßstab des niederländischen Rechts könne eine darüberhinausgehende Pflicht zur Reduzierung der Scope 1-3 Emissionen etablieren. Inhalt und Umfang der Pflicht seien im Einzelfall zu bewerten, wobei von Shell als wichtiger Akteur bei fossilen Brennstoffen viel erwartet werden könne. Im Ergebnis könne jedoch auch dem deliktischen Sorgfaltsmaßstab keine Pflicht zur Emissionsreduktion um 45% oder einen anderen konkreten Prozentsatz entnommen werden. Insbesondere gelte die von der Klimawissenschaft vereinbarte Reduktion um 45 % (oder eines anderen Prozentsatzes) nicht individuell für jedes Land und jeden Unternehmensbereich.
Zudem habe sich Shell bezogen auf Scope 1-2 bereits in entsprechender Höhe zur Emissionsreduktion verpflichtet sowie Maßnahmen ergriffen, welche die Kläger nicht ausreichend als unzureichend dargelegt haben, so dass selbst bei Annahme einer Pflicht zur Emissionsreduktion um 45% keine Verletzung drohe.
Bewertung und Fazit
Die Aufhebung des erstinstanzlichen Shell-Urteils relativiert den bisherigen Ansatz für Klimaklagen deutlich; bislang war das Shell-Urteil eine der weitreichendsten Entscheidungen in dieser Hinsicht. Nunmehr stellte das Berufungsgericht in grundlegender Abkehr von der rechtlichen Bewertung durch die erste Instanz fest, dass jedenfalls nach niederländischem Recht keine über europäische Anforderungen hinausgehende deliktische Pflicht bestehe, Maßnahmen zur Emissionsreduktion in bestimmtem Umfang zu ergreifen. Des Weiteren fällt die Entscheidung differenzierter aus, als bei einem Blick auf den Urteilstenor allein angenommen werden könnte: Zwar könne Shell der Höhe nach nicht auf konkrete Emissionsreduktionsziele verpflichtet werden. Dem Grunde nach bejahte das Berufungsgericht die Pflicht nach niederländischem Recht jedoch, CO2-Emissionen durch von Shell zu wählende, geeignete Maßnahmen zu reduzieren. Eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen bei unzureichender Emissionsreduktion schloss das Berufungsgericht folglich nicht allgemein aus.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es ist zu erwarten, dass Revision eingelegt wird.
Für Unternehmen dürften vor diesem Hintergrund die Bestimmung und die Kommunikation der Ziele und Maßnahmen im Rahmen der Emissionsreduktion an Bedeutung gewinnen. Eine spezifische Veranlassung hierzu begründen auch die künftig aufzustellenden Transitionsplänen dar (Art. 22 Abs. 1 CS3D; vgl. zudem die Berichtspflicht über Transitionspläne nach Art. 19a Abs. 1, 2 CSRD). Hierbei gilt es für Unternehmen, auch mit Blick auf Klimaklagen besondere Vorsicht bei der Formulierung von Selbstverpflichtungen auf Ziele und Maßnahmen walten zu lassen und auch die fortlaufende Anpassung der Ziele und Maßnahmen an sich ändernde Rahmenbedingungen sicherzustellen.
Unmittelbare Auswirkungen auf die Frage des Bestehens einer zukunftsbezogenen Pflicht von Unternehmen zur Emissionsreduktion nach deutschem Recht hat die niederländische Entscheidung nicht. Passagen der Urteilsbegründung könnten jedoch (wieder) als Impuls für neue Klimaklagen auch in Deutschland herangezogen werden.