Zusammenfassung
- Energiepolitische Grundsatzentscheidungen, die Auslandsinvestitionen im Energiesektor beeinträchtigen oder gar rückwirkend entwerten, müssen sich an den Maßstäben des verfassungs- und völkerrechtlichen Investitionsschutzes messen lassen.
- Rechtsschutz für betroffene Investoren gewährleisten in erster Linie die staatlichen Gerichte einschließlich der jeweiligen Verfassungsgerichte. Ausländischen Akteuren, die durch einen bi- oder multilateralen völkerrechtlichen Vertrag geschützt sind, steht zudem Rechtsschutz vor dem vertraglich vorgesehenen Schiedsgericht offen.
- Die nationale und die internationale Rechtsordnung sind ineinander verschränkt – wie beispielsweise durch den Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes und aufgrund der Praxis internationaler Schiedsgerichte, nicht ohne Not Widersprüche zwischen Verfassungs- und Völkerrecht zu kreieren.
- Ein double-dip wird regelmäßig vermieden, d.h. ein ausländisches Unternehmen kann nicht Entschädigung vor nationalen Gerichten und zusätzlich Entschädigung auf völkerrechtlicher Ebene vor Schiedsgerichten geltend machen. Zumeist muss sich ein ausländischer Investor jedoch entscheiden, ob er Entschädigung vor einem staatlichen Gericht oder einem völkerrechtlichen Schiedsgericht geltend machen will (fork in the road).
I. Hintergrund und Ausgangslage
Die Energiepolitik der letzten Jahre in Europa war geprägt durch zahlreiche drastische Veränderungen. Dies gilt nicht nur für die Energiewende in Deutschland und den damit verbundenen forcierten Ausstieg aus der Kernenergie. Auch die erneuerbaren Energien sind zunehmend von dieser Entwicklung betroffen. Mit dem Inkrafttreten des deutschen Windenergie-auf-See-Gesetzes zum 1. Januar diesen Jahres hat der Gesetzgeber nun auch die Ausbauziele für den Bereich Offshore-Wind herabgesetzt und zugleich einzelne Cluster, mithin einzelne Bereiche der deutschen Wirtschaftszone, als künftige Standorte für Ausschreibungen von neuen Projekten ausgenommen und damit bereits getätigte Projektinvestitionen in den betroffenen Bereichen vollständig entwertet.
Vergleichbare Entwicklungen gibt es in weiteren europäischen Staaten im Bereich der Solarenergie. Insbesondere in Spanien, der Tschechischen Republik, Italien und Bulgarien wurden die Subventions- bzw. Vergütungszusagen für Solarprojekte drastisch gekürzt und teilweise sogar mit Rückwirkung zurückgenommen. So beschränkte die spanische Regierung bereits 2010 rückwirkend die Förderung, die staatlich subventionierte Einspeisevergütungen von 30 Ct/kWh über eine Laufzeit von
mindestens 25 Jahren vorgesehen hatte. Es sollten nur noch Anlagen gefördert werden, die vor 2008 in Betrieb genommen worden waren. Gleichzeitig wurde der Gesamtumfang der förderungsfähigen Kilowattstunden gedeckelt und eine Netzdurchleitungsgebühr erhoben (zum Verfahrensstand bereits: Markert / von der Groeben, Steigen die Erfolgsaussichten für Investitionsschiedsklagen von Energieunternehmen gegen Spanien?, Gleiss Lutz Energy News #29/2016 vom 17. November
2016). In der Tschechischen Republik wurde nicht nur die Solarförderung für neue Projekte ab 2014 eingestellt, sondern auch rückwirkend für bestehende Projekte eine Solarsteuer eingeführt und damit der ursprünglich für 20 Jahre garantierte Einspeisetarif nachträglich faktisch abgesenkt. Italien beschloss 2014 ebenfalls eine rückwirkende Kürzung der Einspeisevergütung, die optional entweder die Streckung der Einspeisevergütung von 20 auf 24 Jahre oder eine pauschale Kürzung der Vergütung für die Laufzeit von 20 Jahren vorsah. Bereits 2012 führte Bulgarien eine Netzsteuer ein, mit der eine rückwirkende Kürzung der Einspeisevergütung für Solaranlagen bezweckt wurde.
Von diesen gesetzgeberischen Änderungen der Rahmenbedingungen waren in den einzelnen Jurisdiktionen zahlreiche Energieunternehmen in erheblichem Umfang betroffen. Vielfach suchten diese gegenüber den teilweise drastischen Änderungen der Energiepolitik Rechtsschutz vor den Verfassungsgerichten, ausländische Investoren auch teilweise vor internationalen Schiedsgerichten. Im Wesentlichen betraf dies verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Eigentums sowie rechtsstaatliche Gewährleistungen hinsichtlich der Rechts- und Investitionssicherheit – insbesondere die Grundsätze des
Vertrauensschutzes und das grundsätzliche Verbot rückwirkender staatlicher Eingriffe.
II. Rechtsschutz von Energieunternehmen gegen solche staatliche Maßnahmen
Gegen staatliche Maßnahmen, die Eigentumspositionen entziehen oder jedenfalls entwerten, schutzwürdiges Vertrauen enttäuschen und Investitionsentscheidungen die Grundlage entziehen, steht in erster Linie Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten offen. Regelmäßig berührt dies verfassungsrechtliche Fragen des Grundrechtsschutzes, namentlich die Schutzgewährleistung
des Eigentums und der beruflichen Betätigung, für die neben den Fachgerichten im Allgemeinen das jeweilige nationale Verfassungsgericht die Letztentscheidungskompetenz innehat. Insbesondere für private Unternehmen steht dieser Rechtsweg regelmäßig offen, um ihre Interessen und Rechtspositionen nach rechtsstaatlichen Verfahren zu verteidigen. Für inländische Unternehmen innerhalb der jeweiligen Jurisdiktion ist dies zumeist die einzige Rechtsschutzmöglichkeit.
Für ausländische Unternehmen sind Rechtsschutzoptionen oftmals nicht auf den nationalstaatlichen Rechtsweg und die entsprechende Gerichtsbarkeit bis hin zum Verfassungsgericht beschränkt. In vielen Fällen bestehen bi- oder multilaterale völkerrechtliche Verträge, die ausländischen Unternehmen einen spezifischen Investitionsschutz gewähren. Verfahrensrechtlich kann dieser zumeist vor den explizit völkervertraglich vorgesehenen Schiedsgerichten geltend gemacht und durchgesetzt werden. Dies bedeutet für ausländische Unternehmen die Verdopplung der Rechtsschutzoptionen: Neben den nationalstaatlichen Gerichten steht diesen – unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende völkerrechtlich-vertragliche Vereinbarung Anwendung findet – die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als weitere Alternative offen.
III. Das Spannungsfeld von Verfassungsrecht und Völkerrecht
Dieser Befund wirkt zunächst befremdlich. „Einheimischen“ Akteuren steht lediglich der nationalstaatlich vorgesehene Rechtsweg offen, wohingegen ausländische Akteure in vielen Fällen eine zusätzliche Rechtsschutzoption vor internationalen Schiedsgerichten wahrnehmen können, sofern ein entsprechendes völkerrechtliches Investitionsschutzabkommen Anwendung findet.
Es drängt sich die Frage auf: Warum hat nicht das Verfassungsgericht des jeweiligen Nationalstaats das letzte Wort, wenn es um die Auslegung des nationalen Rechts geht? Hintergrund ist die andersgelagerte Perspektive, auf die sich ausländische Investoren berufen können. Entsprechende völkerrechtliche Verträge begründen Verpflichtungen des jeweiligen Staates gegenüber einem anderen Staat aufgrund dieser Vereinbarung, die zugleich Schutzwirkung für die jeweiligen ausländischen Investoren entfaltet. Nach Art. 27 der Wiener Vertragsrechtskonvention sowie nach den allgemeinen Grundsätzen des
Völkergewohnheitsrechts darf sich ein Staat nicht auf seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften berufen, um die Nichterfüllung eines völkerrechtlichen Vertrages zu rechtfertigen. Dies gilt auch für die Auslegung des nationalen Rechts anhand der Maßstäbe des Verfassungsrechts, die nicht den Inhalt eines völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens und die damit eingegangenen Verpflichtungen außer Kraft setzen kann. Kurzum: Gewährleistet ein völkerrechtliches Investitionsschutzabkommen einen bestimmten Schutzstandard für ausländische Investoren, kann dieser auch weiterreichenden Rechtschutz verbürgen als die jeweiligen nationalstaatlichen Grundrechtsgewährleistungen des Verfassungsrechts. Ausländischen Investoren steht damit nicht nur mit den Schiedsgerichten eine weitere Verfahrensart offen, sondern sie können sich unter gewissen Voraussetzungen auch auf weiterreichende materielle Schutzgewährleistungen nach dem jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag berufen.
Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Schließlich ergeben sich aus den völkerrechtlichen Gewährleistungen oftmals nur gewisse Mindeststandards, die im Allgemeinen hinter dem nationalen Verfassungsrecht und den dadurch gewährleisteten vermeintlich höheren Schutzstandards zurückfallen. Diese Bewertung charakterisiert das Verhältnis der beiden Ebenen jedoch nur unvollständig. Schließlich herrschen in den einzelnen Staaten sehr unterschiedliche grundrechtliche Schutzniveaus. Und selbst in vermeintlich hochentwickelten Rechtsstaaten mit einer ausdifferenzierten Verfassungsgerichtsbarkeit,
die elementare Grundrechtsverbürgungen gewährleisten, ergeben sich immer wieder Konflikte gegenüber strengeren Anforderungen des Völkerrechts. Dies trifft namentlich auch für die Bundesrepublik Deutschland zu, die nicht zuletzt durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – wie im Übrigen letztlich alle Konventionsstaaten – wiederholt zur Einhaltung der höheren menschenrechtlichen Standards aufgefordert wurde, als dies das Bundesverfassungsgericht durch das Grundgesetz gewährleistet.
Ausländische Akteure scheinen daher erheblich begünstigt zu sein. Dies gilt jedenfalls insoweit, als deutsche Unternehmen und Investoren gegenüber der Bundesrepublik Deutschland keine Möglichkeit haben, sich auf Gewährleistungen bi- oder multilateraler Investitionsschutzabkommen zu berufen. Allerdings bestehen für ausländische Akteure jedoch im Gegenzug in vielen Fällen nur eingeschränkte prozessuale und materielle Rechte auf nationaler Ebene, die hinter den Schutzgewährleistungen für deutsche Staatsangehörige oder Unternehmen zurückbleiben. Beispielhaft genannt seien an dieser Stelle die Grundrechte nach dem Grundgesetz, die nur teilweise sog. „Jedermanns-Rechte“ enthalten, gewisse Grundrechtsverbürgungen sind jedoch nach ihrem Wortlaut nur Deutschen vorbehalten (entsprechender Grundrechtsschutz wird in diesen Fällen für Ausländer über die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, wobei der Schutzumfang regelmäßig hinter dem sog. „Deutschen-Grundrecht“ zurückbleibt). Schließlich erfasst der Anwendungsbereich von Art. 19 Abs. 3 GG, demzufolge die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind, nach seinem Wortlaut ausländische Unternehmen nicht unmittelbar. Ausländische juristische Personen können sich daher im Allgemeinen nicht auf materielle Grundrechte nach dem Grundgesetz berufen. Gewisse Ausnahmen hiervon bestehen lediglich für die sog. Prozessgrundrechte, die ein faires Verfahren gewährleisten, sowie generell für ausländische Unternehmen und natürliche Personen aus der Europäischen Union, für die ein spezielles unionsrechtliches Diskriminierungsverbot gilt.
IV. Was bedeutet dies für laufende Verfahren auf deutscher und völkerrechtlicher Ebene?
Ausländische Akteure, die von diesen einschneidenden staatlichen Maßnahmen im Energiebereich unmittelbar betroffen sind, suchen Rechtsschutz teilweise parallel vor nationalstaatlichen Gerichten als auch vor internationalen Schiedsgerichten – nach unterschiedlichen Maßstäben.
In völkerrechtlichen Investitionsschutzverfahren wendet das jeweilige Schiedsgericht völkerrechtliche Maßstäbe an – wie nach dem Energy Charter Treaty oder ähnlichen bi- oder multilateralen Abkommen. Diese sichern Investoren regelmäßig eine gerechte und billige Behandlung (fair and equitable treatment) zu. Danach ist es einem Staat untersagt, seinen Rechtsrahmen überraschend und willkürlich, sowie dergestalt zu verändern, dass berechtigte Erwartungen der Investoren (legitimate expectations) verletzt werden. Verletzt der Staat seine Pflicht zur gerechten und billigen Behandlung, ist er dem Investor
zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Hingegen nicht primär anhand der Maßstäbe des jeweiligen nationalen Rechts.
Auf nationaler Ebene obliegt die abschließende Beurteilung solcher energiepolitischer Grundsatzentscheidungen regelmäßig den Verfassungsgerichten. Maßstab sind dann die jeweiligen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des grundrechtlichen Vertrauens- und Investitionsschutzes und der Rechtssicherheit.
Es besteht jedoch keine Gefahr eines sogenannten double-dip. Ausländische Investoren können sich nicht zugleich vor nationalen Gerichten und vor Schiedsgerichten gegen staatliche Maßnahmen und Beeinträchtigungen ihrer Rechtspositionen wenden, um auf beiden Ebenen eine Entschädigung durchzusetzen. Eine materielle Kompensation erfolgt in jedem Fall nur einmal. Noch weitergehend: In vielen Fällen muss sich der ausländische Investor sogar im Vorfeld, vor der Einleitung eines Verfahrens, entscheiden, ob er auf der jeweiligen national staatlichen Ebene oder auf völkerrechtlicher Ebene Rechtsschutz suchen und ein entsprechendes Verfahren betreiben will (fork in the road).
Gleiss Lutz Kommentar
Die fortschreitenden internationalen Wirtschaftsbeziehungen erzeugen Spannungsfelder im Verhältnis zwischen nationalem Verfassungsrecht und Völkerrecht. Dabei stehen die beiden Ebenen nicht beziehungslos nebeneinander. Dies belegt nicht zuletzt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes geprägt hat. Die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlicher Normen geschieht daher stets im Lichte einschlägiger völkerrechtlicher Vereinbarungen und in dem grundsätzlichen Bestreben, Widersprüche zwischen diesen beiden Ebenen zu vermeiden. In ähnlicher Weise sind auch die Schiedsgerichte gehalten, Widersprüche zwischen den einschlägigen völkerrechtlichen Gewährleistungen und dem jeweiligen Verfassungsrecht nicht aufzuwerfen, soweit dies nicht zwingend geboten scheint. Trotz grundlegender Unterschiede dieser Rechtsregime im Detail besteht damit eine allgemeine Tendenz zur Kohärenz.
Diese Entwicklung wird sich wohl mit dem Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention fortsetzen. Zumal die Europäische Menschenrechtskonvention seit jeher eines der wesentlichen Rechtserkenntnisverfahren für die Unionsgrundrechte darstellt und damit jedenfalls auf europäischer Ebene eine gewisse Kohärenzwirkung entfaltet. Noch nicht vollständig geklärt ist dabei allerdings, in welchem Verhältnis zukünftig die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte und des Gerichtshofes der Europäischen Union im Hinblick auf diese Grundrechte-Rechtsprechung stehen werden. Einem „Auslegungsmonopol“ des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist der Gerichtshof der Europäischen Union jedenfalls ausdrücklich entgegengetreten.
Vergleichbare Entwicklungen sind über die Europäische Union hinaus zwar nicht auszumachen. Im Lichte der öffentlichen Diskussionen über die angestrebten transatlantischen Handelsabkommen besteht jedoch zumindest eine faktische Veranlassung für eine vergleichbare Entwicklung.
Zitiervorschlag: Wilske/Ruttloff, Investitions- und Vertrauensschutz im Energiesektor: Spannungsverhältnis zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht?, Gleiss Lutz Energy News #5/2017 vom 20. Februar 2017