Energie & Infrastruktur

Droht eine Klagewelle um Preisanpassungsklauseln in langfristigen Energielieferverträgen zwischen Unternehmen?

Die jüngsten Preissteigerungen an den Großhandelsmärkten für Strom und Gas – bedingt durch den Ukraine-Krieg – haben auf breiter Front zu Preiserhöhungen in bestehenden Energielieferverträgen geführt. Es ist wenig überraschend, dass diese Entwicklung bereits zu Rechtsstreitigkeiten geführt hat: Die ersten Klagen im B2C-Bereich zur Vereinbarkeit von Preisanpassungen und abgegebenen Preisgarantien wurden von den Landgerichten bereits entschieden. 

Auch im unternehmerischen Bereich ist verstärkt mit Streitigkeiten über die Zulässigkeit vertraglich vereinbarter Preisanpassungen zu rechnen: So stehen bei langfristigen Gaslieferverträgen insbesondere diejenigen Lieferanten unter wirtschaftlichem Druck, die mit ihren Kunden noch die – früher verbreitete – Kopplung an die Preise für Heizöl vereinbart haben. Denn zuletzt sind die Importpreise für Heizöl deutlich hinter den Erzeugerpreisen für Erdgas zurückgeblieben. Auch dürfte im Strombereich das stark gestiegene Preisniveau vielfach einen Anreiz geben, die Wirksamkeit der Preisklauseln durch ein (Schieds-)Gericht überprüfen zu lassen. Betroffen sein können beispielsweise Verträge über (virtuelle) Kraftwerksscheiben oder die Power Purchase Agreements (PPAs), die zur langfristigen Vermarktung von regenerativen Stromerzeugungsanlagen abgeschlossen werden.

Ansatzpunkte für eine rechtliche Beanstandung können insbesondere die Vorgaben des Preisklauselgesetzes (PrKG) und – im Fall von vorformulierten Preisklauseln – des AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) sein. Preisanpassungsklauseln gehören seit Beginn der Energieliberalisierung zu den streitträchtigsten Elementen von Energielieferverträgen. Der BGH hat sich seit 2008 in rund 20 Entscheidungen mit der Thematik im Bereich der Gas- und Stromversorgung befassen müssen. Dennoch sind viele praxisrelevante Fragen bis heute offen.

 

Grundformen der Preisanpassungsklauseln

Die Möglichkeiten der rechtlichen Angreifbarkeit hängen von der Art der Preisanpassungsklausel ab. Grundsätzlich sind auf § 315 BGB basierende Preisvorbehaltsklauseln und indexierte Preisgleitklauseln zu unterscheiden:

Bei den Preisvorbehaltsklauseln (auch als Leistungsvorbehaltsklauseln bezeichnet) behält sich der Lieferant eine einseitige Preisänderung nach billigem Ermessen vor. Diese Klauseln regeln typischerweise in allgemeiner Form den Anlass, die Voraussetzungen und den Umfang der Preisanpassung, nicht aber die konkreten Kostenfaktoren.

Preisgleitklauseln sind hingegen häufig als mathematische Formeln der Preisfaktoren ausgestaltet und führen in regelmäßigen Abständen zu einer automatischen Preisanpassung. Die Formel beinhaltet neben Festwerten auch Indexbestandteile: Diese beziehen sich etwa auf die Import- oder Börsenpreise von Energieträgern und Energieprodukten, die Preise für CO2-Zertifikate oder die Entwicklung von Löhnen und Gehälter. Bei Stromlieferverträgen waren beispielsweise vor der Liberalisierung der Energiemärkte sog. Kohle-Lohn-Klauseln weit verbreitet, während heute häufig auf die Notierungen der Energiebörsen Bezug genommen wird.

Zu unterscheiden sind zwei unterschiedliche Formen der Preisgleitklauseln:

  • Bei der Kostenelementeklausel werden Kostensteigerungen oder -senkungen für die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung weitergegeben.
  • Bei der Spannungsklausel wird auf einen sonstigen Referenzpreis abgestellt, der – unabhängig von der Kostenentwicklung – als Wertmesser für eine bestimmte Wertrelation zwischen Leistung und Gegenleistung dient (etwa der Preis für Heizöl als Wertmesser für die Erdgasbelieferung).

Üblicherweise werden Änderungen bei den Kosten für hoheitlich bedingte Preisänderungen (Steuern, Umlagen oder Abgaben) sowie der Netzentgelte im Rahmen einer gesonderten Preisanpassungsklausel an den Kunden im Verhältnis 1:1 weitergeben.

 

Vereinbarkeit mit dem Preisklauselgesetz

Das PrKG beschränkt die Möglichkeit von Preisanpassungsregelungen zur Vermeidung von Inflationsspiralen im Interesse der Geldwertstabilität. Das PrKG normiert ein grundsätzliches Verbot von Wertsicherungsklauseln mit Bereichsausnahmen: Nach dem – sowohl für Individualvereinbarungen als auch vorformulierte Klauseln geltenden – Preisklauselverbot darf der Betrag von Geldschulden nicht unmittelbar und selbsttätig durch den Preis oder Wert von anderen Gütern oder Leistungen bestimmt werden, die mit den vereinbarten Gütern oder Leistungen nicht vergleichbar sind (§ 1 Abs. 1 PrKG). Ausgenommen von dem Preisklauselverbot sind die folgenden bei Energielieferverträgen üblichen Gestaltungen:

  • Leistungsvorbehaltsklauseln, bei denen dem Bestimmungsberechtigten bei der Anpassung nach Billigkeitsgrundsätzen ein Ermessenspielraum verbleibt (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 PrKG);
  • Spannungsklauseln, bei denen die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKG) sowie
  • Kostenelementeklauseln, soweit die in Ansatz gebrachten Preis- oder Wertentwicklungen die Selbstkosten des Gläubigers bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 PrKG).

Preisanpassungsklauseln, die gegen das Preisklauselverbot verstoßen, sind unwirksam. Allerdings tritt die Unwirksamkeit der Preisklausel erst mit der gerichtlichen Feststellung ein (§ 8 PrKG), die vorherigen Rechtswirkungen der Preisklausel bleiben unberührt.

Damit können die Parteien eines Energieliefervertrages die Unwirksamkeit einer Preisanpassungsklausel wegen Verstoßes gegen das Preisklauselverbot geltend machen, sofern kein Ausnahmetatbestand eingreift:

  • Der Vorbehalt eines Leistungsbestimmungsrechts des Energielieferanten gemäß § 315 BGB für einen Strom- oder Gaspreis ist allerdings gemäß PrKG regelmäßig unproblematisch, weil hier ein Entscheidungsspielraum nach billigen Ermessen besteht. Zweifel an der preisrechtlichen Wirksamkeit können vor allem dann aufkommen, wenn die Klausel nicht klarstellt, dass Preisanpassungen „nach billigem Ermessen“ erfolgen müssen und dass § 315 BGB Anwendung findet.
  • Bei der Verwendung von Spannungsklauseln ist die Gleichartigkeit/Vergleichbarkeit des Referenzguts im Einzelfall besonders festzustellen. Für die Zulässigkeit der Kopplung des Gaspreises an die Entwicklung des Preises für leichtes Heizöl fehlt es noch an einer höchstrichterlichen Klärung. Während die Literatur die Vergleichbarkeit wegen einer unterstellten Substituierbarkeit beider Energieträger überwiegend bejaht, ist die obergerichtliche Rechtsprechung uneinheitlich. Die unterschiedliche Entwicklung der Heizöl- und Erdgaspreise in jüngster Zeit dürfte die juristische Diskussion neu entfachen.
  • Bei Kostenelementeklauseln stellt sich die Frage, ob die referenzierten Kosten tatsächlich bei der vertraglich geschuldeten Leistung anfallen: Nach Ansicht des OLG München soll dieses Erfordernis nicht erfüllt sein, sofern der Strompreis an die Entwicklung des durchschnittlichen Importkohlepreises gekoppelt wird, aber vertraglich nicht die Lieferung von Strom aus einem Steinkohlekraftwerk vereinbart ist.

 

AGB-rechtliche Zulässigkeit

Die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht erfolgt grundsätzlich unabhängig von der Prüfung des Preisklauselverbots. Auch eine nach dem PrKG zulässige Gestaltung hindert wegen der unterschiedlichen Gesetzeszwecke des PrKG (währungspolitische Ziele) und den §§ 305 ff. BGB (Schutz des Vertragspartners vor unangemessener Benachteiligung) eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle nach § 309 Nr. 1 BGB oder § 307 Abs.1 Satz 1 BGB nicht. Umgekehrt kann eine Klausel, die zwar das PrKG verletzt, aber deren Unwirksamkeit noch nicht gerichtlich gemäß § 8 PrKG festgestellt wurde, einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhalten.

Bei Preisvorbehaltsklauseln sind der Anlass, die Voraussetzungen und der Umfang der Preisanpassung in der Klausel ausreichend konkret anzugeben. Welche praktischen Anforderungen insoweit im unternehmerischen Rechtsverkehr bestehen, ist höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärt. Die kautelarische Praxis hat sich in der Vergangenheit häufig mit der Wiedergabe der Regelungen der Grundversorgungsverordnungen (§ 5 Abs. 2 GasGVV/StromGVV) beholfen, deren Leitbildfunkton allerdings im B2B-Bereich zweifelhaft ist. Im Strombereich gibt es seit dem Urteil des BGH vom 25.11.2015 einen „sicheren Weg“ im Hinblick auf die dort gebilligte Preisvorbehaltsklausel für Privatkunden, die sich regelmäßig unproblematisch auf gewerbliche Stromkunden übertragen lässt.

Insbesondere bei älteren Verträgen ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Rechtsprechung Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel gibt.

Preisgleitklauseln unterliegen hinsichtlich der künftigen Preisentwicklung als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle nach AGB-Recht. Der Ausgangspreis ist hingegen gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht kontrollfähig, selbst wenn er vertraglich durch eine Formel lediglich bestimmbar geregelt wird. Im Übrigen ist zu differenzieren:

  • Bei der Vereinbarung von Spannungsklauseln haben die Energielieferanten und ihre Kunden nach AGB-Recht einen weiten Spielraum: Zwar hält der BGH bei Verträgen mit Verbrauchern die Prognose für erforderlich, dass sich der Marktpreis für die geschuldete Leistung typischerweise ähnlich wie der Marktpreis für das Referenzgut entwickelt. Eine derartige Prognose soll nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im unternehmerischen Bereich aber nicht erforderlich sein: Ob beispielsweise die Bindung des Gaspreises an den Marktpreis für leichtes Heizöl als Referenzgut sachgerecht und akzeptabel erscheint, unterliege allein der kaufmännischen Beurteilung und Entscheidung des Kunden.

Eine erfolgversprechendere Einwendung gegen die Preisanpassung aufgrund einer Spannungsklausel dürfte in der Regel das Preisklauselverbot (siehe oben) bieten.

  • Eine Kostenelementeklausel mit einem transparenten, nachvollziehbaren und automatisch wirkenden Mechanismus, der die wesentlichen Kostenfaktoren abdeckt, verstößt im B2B-Bereich im Regelfall nicht gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Allerdings darf eine solche Preisklausel dem Lieferanten auch im unternehmerischen Verkehr nicht die Möglichkeit geben, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Unzulässig ist daher eine Klausel, die es dem Lieferanten ermöglicht, eine begrenzt wirkende Kostensteigerung auf unveränderte Preisbestandteile anzuwenden – also etwa bei einer bloßen Steigerung der Brennstoffkosten auch den Preisanteil für Investitionskosten entsprechend anzuheben. Preisanpassungsklauseln müssen zudem die „Spiegelbildlichkeit der Anpassung“ bei steigenden und sinkenden Preisen sicherstellen. Die Formel darf keine Preiserhöhung bei der Steigerung eines Kostenfaktors vorsehen und wesentliche Kostensenkungen in anderen Bereichen außer Acht lassen.

Zu prüfen ist daher, ob die Preisformel in der Lage ist, wesentliche Kostenänderungen zutreffend abzubilden.

Gegen die Kombination einer Preisgleitklausel mit einer gesonderten Preisanpassungsregelung zur Weiterreichung der durch die öffentliche Hand verursachten Preisänderungen bestehen jedenfalls im unternehmerischen Geschäftsverkehr keine Bedenken.

 

Zulässigkeit der individuellen Preisanpassung

Auch bei Wirksamkeit der Preisanpassungsklausel kann der Kunde die individuelle Preiserhöhung gerichtlich überprüfen lassen:

  • Bei Kostenvorbehaltsklauseln muss die Preisanpassung sowohl den vertraglichen (formellen und materiellen) Vorgaben als auch dem billigen Ermessen i.S.v. § 315 BGB entsprechen. Der Lieferant kann seine Preisanpassung insbesondere mit gestiegenen Bezugskosten begründen. Hierfür ist er darlegungs- und beweisbelastet, ohne dass er allerdings die Kalkulation seines Gesamtpreises offenlegen muss.
  • Bei Preisgleitkauseln muss der Lieferant lediglich die zur Anwendung der Preisformel benötigten Indexbestandteile belegen und ggf. nachweisen.

 

Fazit

Preisanpassungsklauseln lassen sich in verschiedenen Konstellationen auf Grundlage des PrKG und des AGB-Rechts rechtlich angreifen, auch im unternehmerischen Bereich. Eine juristische Überprüfung kann sich gerade bei älteren Verträgen lohnen. Für den Abschluss von Neuverträge gilt: Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in den letzten Jahren eine Reihe von Fragen zur Zulässigkeit von Preisanpassungsklauseln geklärt, so dass sich rechtssichere Verträge entwerfen lassen.

Rechtspolitisch bleibt die Situation unbefriedigend, weil die rechtlichen Vorgaben für Preisanpassungen nach wie vor übermäßig komplex sind und den betroffenen Unternehmen in vielen Fällen die Rechtssicherheit fehlt. Insgesamt wäre es daher wünschenswert, diese Rechtsmaterie zu vereinfachen. Eine Abschaffung des – schon bei seinem Inkrafttreten umstrittenen – PrKG wäre ein erster Schritt. Das Gesetz ist ein Unikum im Euroraum, die praktische Auswirkung auf die Geldwertstabilität dürfte zu vernachlässigen sein.

Ob aktuell eine Klagewelle im B2B-Bereich droht, lässt sich momentan nur schwer abschätzen. Viele langfristige Energielieferverträge wurden in den letzten Jahren durch eine kurzfristigere, marktnahe Beschaffung ersetzt, bei der Preisanpassungsklauseln zumeist eine geringere Bedeutung zukommt. Entscheidend wird die Zahl der aktiven langfristigen Energielieferverträge sein, die noch nicht an die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung angepasst sind.

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