In der Woche vom 8. Mai 2023 ist es dann auch in Deutschland soweit: Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss Anfang der Woche nahm der Bundestag den Einigungsvorschlag zum Hinweisgeberschutzgesetz („HinSchG“) am Donnerstag an. Am Freitag, 12. Mai 2023, stimmte auch der Bundesrat dem HinSchG zu. Der weitüberwiegende Teil des HinSchG soll bereits einen Monat nach Verkündung in Kraft treten, d. h. sobald wie Mitte Juni 2023.
Was bisher geschah ...
Nach dem Scheitern im Bundesrat Anfang Februar, war die Verabschiedung des HinSchG erneut für Ende März 2023 vorgesehen. Der Bundestag hat die Entscheidung jedoch kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt. Der von der Bundesregierung angerufene Vermittlungsausschuss führte in der Sitzung vom 9. Mai 2023 einen Konsens zwischen Bundestag und Bundesrat herbei. Dann ging es schnell: Bundestag und Bundesrat stimmten in ihren Sitzungen am 11. und 12. Mai 2023 dem Einigungsvorschlag zu. Die Verabschiedung des HinSchG war längst überfällig, da die Umsetzungsfrist der Europäischen Whistleblowing Richtlinie (2019/1937, „WBRL“) bereits seit Dezember 2021 abgelaufen ist und Deutschland aufgrund des vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren täglich rund EUR 62.000 Vertragsstrafe zahlen muss.
… und wie es zukünftig um den Hinweisgeberschutz in Deutschland bestellt ist.
Das nunmehr verabschiedete HinSchG greift aus Unternehmenssicht überwiegend die Regelungen des Hinweisgeberschutzgesetzes auf, das bereits im Dezember 2022 vom Bundestag beschlossenen worden war und dann an der Zustimmung des Bundesrates scheiterte (Beiträge vom 16. Dezember 2022 und 10. Februar 2023). Die wesentlichen Neuerungen betreffen insbesondere die Möglichkeit der anonymen Meldungen, die Beschränkung auf den beruflichen Kontext sowie reduzierte Bußgelder bei Verstößen gegen das HinSchG.
- Keine Pflicht zur Möglichkeit anonymer Meldungen
Die Pflicht zur Entgegennahme anonymer Meldungen (Beitrag vom 16. Dezember 2022) ist nicht mehr Teil des HinSchG. Sofern anonyme Meldungen eingehen, sieht das HinSchG nunmehr vor, dass diese bearbeitet werden „sollten“ – eine Pflicht besteht somit nicht. Damit greift das HinSchG die Kritik aus dem Mittelstand auf und fällt nunmehr auf die ursprüngliche Regelung des Regierungsentwurfs aus Sommer 2022 zurück (Beitrag vom 3. August 2022). Derweil wird die Entgegennahme anonymer Meldungen in der Compliance-Praxis grundsätzlich begrüßt, da sie nachweislich die potentielle Hemmschwelle für Hinweisgeber abbaut und die Speak-Up-Kultur im Unternehmen fördert. Für Geschäftsleiter kann sich eine Pflicht, anonymen Meldungen nachzugehen, derweil schon aus den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Pflichten ergeben. - Konkretisierung des Anwendungsbereichs
Das HinSchG konkretisiert nunmehr die Begriffsbestimmung der „Informationen über Verstöße“. Fortan müssen diese einen Konnex zum Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der der Hinweisgeber beruflich Berührungspunkte hatte, aufweisen. Damit konkretisiert der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich, wobei unklar ist, ob hiermit der Anwendungsbereich hinter den europäischen Vorgaben zurückbleibt. - Abschwächung von Bußgeldtatbeständen, Schadensersatz und Schutz vor Repressalien
Der Höchstbetrag für Bußgelder, die bei Verstößen gegen das HinSchG verhängt werden können, hat sich auf EUR 50.000 halbiert. Zudem gewährt das HinSchG dem Hinweisgeber nunmehr keine eigene gesetzliche Regelung für den Ersatz von Schäden, die keine Vermögensschäden sind. Die spät im Gesetzgebungsverfahren eingeführte Geldentschädigung für immaterielle Schäden (wie etwa Mobbing oder Stalking) wurde wieder gestrichen. Ob der Ausschluss von immateriellen Schäden den europäischen Vorgaben einer vollständigen Widergutmachung ausreichend Rechnung trägt, bleibt abzuwarten. Zudem wurde auch die Regelung zur Beweislastumkehr beim Schutz vor Repressalien angepasst. Die Vermutung, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung oder Offenlegung ist, soll nur dann bestehen, wenn die hinweisgebende Person dies auch geltend macht. - Dokumentation
Zwar muss der Beschäftigungsgeber die Dokumentation weiterhin drei Jahre nach Abschluss des Verfahrens löschen. Zukünftig kann die Dokumentation jedoch länger aufbewahrt werden, um die Anforderungen nach diesem Gesetz oder nach anderen Rechtsvorschriften zu erfüllen, solange dies erforderlich und verhältnismäßig ist. Trotz dieser Öffnung stehen Unternehmen weiterhin vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Löschfristen (etwa auch die des LkSG) miteinander in Einklang zu bringen.
Nachdem das HinSchG im Frühjahr 2023 zunächst (peinlich) gescheitert war, zählt Deutschland zeitnah auch endlich zu denjenigen 20 Mitgliedstaaten, die die WBRL bereits umgesetzt haben. Langsamer sind nur noch Tschechien, Estland, Luxemburg, Polen, die Slowakei und Ungarn, wo jedoch Entwürfe zu Umsetzungsgesetzen vorliegen.
Mit der Verabschiedung des HinSchG besteht unmittelbarer und kurzfristiger Handlungsbedarf für Unternehmen – sprechen Sie uns bei Fragen zu den Vorgaben des HinSchG gerne jederzeit an.