Gesellschaftsrecht

Deutscher Corporate Governance Kodex 2022

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex („Regierungskommission“) hat am 17. Mai 2022 die neue Fassung des neuen Deutschen Corporate Governance Kodex („DCGK 2022“) vorgelegt. Der DCGK 2022 wurde dem Bundesministerium der Justiz zur Prüfung übermittelt und vorab auf der Website der Regierungskommission veröffentlicht. Der DCGK 2022 wird mit der Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger in Kraft treten.

 

Nachhaltigkeit als Schwerpunkt

Wie sich bereits im Januar 2022 im Entwurf zum DCGK 2022 abzeichnete, bleibt Kern der Kodexüberarbeitung, dass die Bedeutung von Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung (Environmental Social Governance, kurz „ESG“) stärker betont wird. Börsennotierte Unternehmen sollen in ihrer Unternehmensstrategie und Unternehmensplanung auch soziale und ökologische Nachhaltigkeit berücksichtigen. Die Verantwortung von Vorständen und Aufsichtsräten insbesondere für Nachhaltigkeit und Soziales wird dadurch weiter verstärkt. Die Kodexbegründung erläutert, dass sich die Unternehmen bei der Auslegung der Nachhaltigkeitsbegriffe an den 17 Zielen der UN für nachhaltige Entwicklung (UN Sustainable Development Goals (SDG) to transform our world)1 orientieren können.

Neben der Betonung von ESG enthält der DCGK 2022 Anpassungen, die auf das zweite Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) sowie das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) zurückzuführen sind. Hier sind insbesondere neue Empfehlungen zum internen Kontrollsystem und Risikomanagementsystem, zum Prüfungsausschuss sowie zur Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer zu nennen.

 

Die neuen Regelungen im Einzelnen

Mit Inkrafttreten des DCGK 2022 ergeben sich gegenüber der bislang geltenden Fassung vom 16. Dezember 2019 folgende wesentliche Änderungen:

  • Sozial- und Umweltfaktoren in der Unternehmensleitung: Der ESG-Schwerpunkt der Kodexüberarbeitung findet sich gleich im zweiten Absatz der Präambel, wonach Vorstand und Aufsichtsrat Sozial- und Umweltfaktoren „im Rahmen des Unternehmensinteresses“ berücksichtigen:

„Sozial- und Umweltfaktoren beeinflussen den Unternehmenserfolg und die Tätigkeiten des Unternehmens haben Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Vorstand und Aufsichtsrat berücksichtigen dies bei der Führung und Überwachung im Rahmen des Unternehmensinteresses.“

Außerdem kommt der Schwerpunkt ganz wesentlich in der neuen Empfehlung A.1 zum Ausdruck:

Der Vorstand soll die mit den Sozial- und Umweltfaktoren verbundenen Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit systematisch identifizieren und bewerten. In der Unternehmensstrategie sollen neben den langfristigen wirtschaftlichen Zielen auch ökologische und soziale Ziele angemessen berücksichtigt werden. Die Unternehmensplanung soll entsprechende finanzielle und nachhaltigkeitsbezogene Ziele umfassen.“

  • Nachhaltigkeitsbezug der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats: Des Weiteren zeigt sich der ESG-Schwerpunkt der Kodexüberarbeitung auch bei nur den Aufsichtsrat betreffenden Empfehlungen: Zwar enthält die finale Fassung nicht mehr die dezidierten Empfehlungen zur Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats zu Nachhaltigkeitsthemen, wie sie noch in der Konsultationsfassung zum DCGK 2022 (dort noch Empfehlung A.6) enthalten waren. Der DCGK 2022 stellt aber im Rahmen einer Ergänzung des Grundsatzes 6 allgemein fest, dass die Überwachung und Beratung durch den Aufsichtsrat auch Nachhaltigkeitsfragen umfassen. Zudem ist aus der Konsultationsfassung die Ergänzung in Empfehlung C.1 Satz 3 erhalten geblieben, wonach Aufsichtsräte künftig auch Expertise zu den für das betreffende Unternehmen bedeutsamen Nachhaltigkeitsfragen haben sollen.
  • Qualifikationsmatrix für den Aufsichtsrat: Neu hinzugekommen ist in der finalen Fassung des DCGK 2022, dass der Stand der Umsetzung der konkreten Ziele für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und des Kompetenzprofils in einer Qualifikationsmatrix in der Erklärung zur Unternehmensführung offengelegt werden soll (Empfehlung C.1 Satz 5).
  • Internes Kontrollsystem und Risikomanagementsystem: Grundsatz 4 zur Angemessenheit und Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems wurde um deren interne Überwachung ergänzt:

Die Angemessenheit und Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems setzt deren interne Überwachung voraus.“

Diese interne Überwachung ist aus Sicht der Regierungskommission Aufgabe der Internen Revision (vgl. Kodexbegründung zu A.5). Die Kodexbegründung weist darauf hin, dass freiwillig durchgeführte externe Prüfungen z.B. nach IDW PS 980, 981 und 982 dazu geeignet seien, die Stellungnahmen zur Angemessenheit und Wirksamkeit der Systeme zu untermauern. Der Vorstand würde damit auch den Prüfungsausschuss in die Lage versetzen, die von ihm geforderte Beurteilung vorzunehmen, sodass es „von Zeit zu Zeit externer Überprüfungen bedürfe“ (vgl. Kodexbegründung zu A.5).

Nach der neuen Empfehlung A.3 sollen das interne Kontrollsystem und das Risikomanagementsystem künftig auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele abdecken:

Das interne Kontrollsystem und das Risikomanagementsystem sollen, soweit nicht bereits gesetzlich geboten, auch nachhaltigkeitsbezogene Ziele abdecken. Dies soll die Prozesse und Systeme zur Erfassung und Verarbeitung nachhaltigkeitsbezogener Daten mit einschließen.“

Nach einer weiteren neuen Empfehlung A.5 sollen das interne Kontrollsystem und das Risikomanagementsystem schließlich im Lagebericht beschrieben werden:

Im Lagebericht sollen die wesentlichen Merkmale des gesamten internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems beschrieben werden und soll zur Angemessenheit und Wirksamkeit dieser Systeme Stellung genommen werden.“

  • Compliance Management System: Die bisherige Empfehlung A.2 zum Compliance Management System wurde gestrichen, allerdings nicht ersatzlos, wie noch in der Konsultationsfassung vorgesehen. Vielmehr wurde dafür nun Grundsatz 5 ergänzt:

Das interne Kontrollsystem und das Risikomanagementsystem umfassen auch ein an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtetes Compliance Management System.“

Im Konsultationsverfahren war die Streichung zu Recht kritisiert worden. Angesichts der großen rechtlichen und praktischen Bedeutung von Compliance Management Systemen hätte sie ein falsches Signal gesetzt.

  • Mindestbeteiligung der Geschlechter: Grundsatz 9 wurde an die seit dem zweiten Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) bestehende Rechtslage angepasst und lautet nun:

„Der Aufsichtsrat gewährleistet die gesetzlich geregelte Mindestbeteiligung der Geschlechter oder legt im Rahmen gesetzlicher Vorgaben Zielgrößen für den Anteil von Frauen im Vorstand fest.“

  • Einrichtung des Prüfungsausschusses und Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer:

Die bisherige Empfehlung D.3 zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses entfällt. In Grundsatz 14 wird dafür nun ergänzend festgestellt, dass ein Prüfungsausschuss einzurichten ist. Hintergrund ist der durch das FISG neu eingeführte § 107 Abs. 4 Satz 1 AktG, wonach der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft einen Prüfungsausschuss einzurichten hat. Außerdem wird die bisherige Empfehlung D.11, nach der der Prüfungsausschuss regelmäßig die Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung vornehmen soll, durch eine neue Empfehlung D.10 ersetzt:

Der Prüfungsausschuss soll mit dem Abschlussprüfer die Einschätzung des Prüfungsrisikos, die Prüfungsstrategie und Prüfungsplanung sowie die Prüfungsergebnisse diskutieren. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll sich regelmäßig mit dem Abschlussprüfer über den Fortgang der Prüfung austauschen und dem Ausschuss hierüber berichten. Der Prüfungsausschuss soll regelmäßig mit dem Abschlussprüfer auch ohne Vorstand beraten.“

Im Vergleich zur Konsultationsfassung entfallen ist die Empfehlung, dass sich der Vorsitzende des Prüfungsausschusses regelmäßig (i) mit dem Finanzvorstand treffen und (ii) an Diskussionen zwischen Management und Abschlussprüfer über kritische Prüfungssachverhalte teilnehmen und dem Ausschuss darüber berichten soll. Auch sieht die finale Kodexfassung keine Empfehlung mehr vor, dass der Prüfungsausschuss auch externe Prüfungen des internen Revisionssystems veranlassen soll. Die – zu Recht kritisierte – Empfehlung der Konsultationsfassung, dass der Prüfungsausschuss mit dem Abschlussprüfer auch ohne den Vorstand tagen soll, wurde in Empfehlung D.10 der neuen Fassung (lediglich) insoweit modifiziert, als aus dem „tagen“ ein „beraten“ wurde. Inhaltlich ergänzt die Empfehlung D.10 den durch das FISG neu eingeführten § 109 Abs. 1 Satz 3 AktG, wonach der Vorstand an einer Sitzung des Aufsichtsrats nicht teilnimmt, wenn der Abschlussprüfer als Sachverständiger zugezogen wird, es sei denn, der Aufsichtsrat oder der Ausschuss erachtet seine Teilnahme für erforderlich.

  • Qualifikation der Finanzexperten im Prüfungsausschuss:

Weiter enthält der DCGK 2022 den neuen Grundsatz 15 zur Qualifikation der Mitglieder des Prüfungsausschusses:

Mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses muss über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und mindestens ein weiteres Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen.“

Das spiegelt die mit dem FISG eingeführte Vorgabe zur Mitgliedschaft von mindestens zwei sog. Finanzexperten im Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss wider (§ 100 Abs. 5, § 107 Abs. 4 Satz 3 AktG). Die dem Grundsatz 15 nachfolgende, weitgehend ebenfalls neue Empfehlung D.3 sieht vor, dass zu den Kenntnissen und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und interner Kontroll- und Risikomanagementsysteme sowie den Kenntnissen und Erfahrungen in der Abschlussprüfung auch Kenntnisse zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung gehören. Der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll ferner zumindest auf einem der Gebiete Rechnungslegung oder Abschlussprüfung sachverständig sein. Die Erklärung zur Unternehmensführung soll die betreffenden Mitglieder des Prüfungsausschusses nennen und nähere Angaben zu ihrem Sachverstand enthalten. Schließlich soll – dies bleibt aus der bisherigen Empfehlung D.3 erhalten – der Aufsichtsratsvorsitzende nicht den Vorsitz im Prüfungsausschuss innehaben.

  • Bericht über Form der Aufsichtsratssitzungen: Nach der neuen Fassung der Empfehlung D.7 soll im Bericht des Aufsichtsrats fortan zusätzlich angegeben werden, wie viele Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse in Präsenz oder als Video- oder Telefonkonferenzen durchgeführt wurden. Diese Ergänzung war in der Konsultationsfassung noch nicht enthalten.

 

Gleiss Lutz kommentiert

Abgesehen von den überwiegend gesetzesreferierenden Anpassungen, die auf Grund des zweiten Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG II) sowie des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) erforderlich waren, liegt der Schwerpunkt der Änderungen des DCGK 2022 klar im Bereich der Nachhaltigkeit. Auf die im Konsultationsverfahren teilweise geäußerte Kritik an dem Stellenwert, den der Kodex diesen Themen einräumt, hat die Regierungskommission in der finalen Fassung des DCGK 2022 nur punktuell mit sprachlichen Nachbesserungen reagiert. Das ist insofern nachvollziehbar, als die Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten für die Tätigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat ständig steigt. Insgesamt betrachtet bestärkt der DCGK 2022 diese zunehmende Bedeutung und bedient damit ein Anliegen vieler institutioneller Investoren.

Den Adressaten des DCGK 2022 empfehlen wir, die Änderungen frühzeitig zu prüfen, um für die Abgabe der nächsten Entsprechenserklärung gewappnet zu sein. Wird insbesondere den neu hinzugekommenen Empfehlungen bislang nicht ohnehin schon entsprochen, können ggf. notwendige interne Prozesse unmittelbar angestoßen und bis zur Abgabe der nächsten Entsprechenserklärung bereits umgesetzt werden. Der Vorstand hat insbesondere seine Unternehmensstrategie mit Blick auf Empfehlung A.1 und sein internes Kontrollsystem und Risikomanagementsystem mit Blick auf Empfehlung A.3 zu überprüfen. Für den Aufsichtsrat sind vor allem Empfehlungen C.1 Satz 3 und D.3 zur Qualifikation von Mitgliedern des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses sowie Empfehlung D.7 zu den Sitzungen des Aufsichtsrats relevant. Auch die neuerdings in C.1 Satz 5 empfohlene Qualifikationsmatrix muss für die Erklärung zur Unternehmensführung erarbeitet werden, wenn keine Abweichung erklärt werden soll.

  


1(1) Keine Armut, (2) Kein Hunger, (3) Gesundheit und Wohlergehen, (4) Hochwertige Bildung, (5) Geschlechtergleichheit, (6) Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, (7) Bezahlbare und saubere Energie, (8) Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, (9) Industrie, Innovation und Infrastruktur, (10) Weniger Ungleichheiten, (11) Nachhaltige Städte und Gemeinden, (12) Nachhaltige(r) Konsum und Produktion, (13) Maßnahmen zum Klimaschutz, (14) Leben unter Wasser, (15) Leben an Land, (16) Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen, (17) Partnerschaften zur Erreichung der Ziele. Siehe dazu: https://sdgs.un.org/goals

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