Gesellschaftsrecht

Virtuelle HV – Änderungen des AktG wegen COVID-19

Am 23. März 2020 hat das Bundeskabinett ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie auf den Weg gebracht (hier abrufbar). Mit einer kurzfristigen Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat ist zu rechnen. Die geplanten Änderungen im AktG sollen zeitlich begrenzt für 2020 die Durchführung von virtuellen Hauptversammlungen für alle Aktiengesellschaften ermöglichen. Vorstand und Aufsichtsrat können die physische Präsenz der Aktionäre ausschließen. Die gesetzliche Frist für die Abhaltung der ordentlichen Hauptversammlung wird von 8 auf 12 Monate verlängert. Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn sind in 2020 auch ohne satzungsmäßige Ermächtigung möglich. Die Regelungen gelten auch für die KGaA und – mit einer Einschränkung – für die SE.

Eröffnung von Online-Teilnahmemöglichkeiten auch ohne Satzungsgrundlage

Der Vorstand kann mit Zustimmung des Aufsichtsrats für Hauptversammlungen in 2020 auch ohne Ermächtigung in der Satzung die Online-Teilnahme, die (schriftliche oder elektronische) Briefwahl und die Bild- und Tonübertragung für Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder nach § 118 AktG anordnen. In diesem Fall ist die Anfechtbarkeit von Beschlüssen wegen technischer Störungen eingeschränkt auf Fälle, in denen „der Gesellschaft Vorsatz nachzuweisen“ ist.

Virtuelle Hauptversammlungen ohne physische Präsenz der Aktionäre

Für die Praxis besonders wichtig ist die neue Ermächtigung des Vorstands, mit Zustimmung des Aufsichtsrats die physische Präsenz der Aktionäre und Aktionärsvertreter auszuschließen. Allerdings setzt ein solcher Ausschluss voraus, dass

  1. die gesamte Hauptversammlung mit Generaldebatte und Abstimmung in Bild und Ton übertragen wird,
  2. die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist,
  3. den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird,
  4. den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird.

Beim Fragerecht der Aktionäre in der virtuellen Hauptversammlung ohne physische Präsenz sind für die Gesellschaften wesentliche Erleichterungen geplant. Abweichend von § 131 AktG „entscheidet der Vorstand nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet“. Nach der Entwurfsbegründung muss die Verwaltung nicht alle Fragen beantworten, sondern darf zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Es soll zulässig sein, Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen zu bevorzugen. Der Vorstand kann zudem vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung elektronisch einzureichen sind. Nach der Entwurfsbegründung kann er die Fragemöglichkeit auf angemeldete Aktionäre beschränken.

Anfechtbar sind Beschlüsse einer virtuellen Hauptversammlung wegen technischer Störungen wie bei der Online-Teilnahme nur, wenn der Gesellschaft Vorsatz nachzuweisen ist. Auch die Anfechtbarkeit wegen Verletzung des Auskunftsrechts ist auf Fälle beschränkt, in denen nachweisbar ist, dass der Vorstand sein Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet, vorsätzlich pflichtwidrig ausgeübt hat.

Trotz der Erleichterungen für die Durchführung von Hauptversammlungen ohne physische Teilnahme von Aktionären und Aktionärsvertretern bleibt es beim Konzept der Hauptversammlung an einem Versammlungsort mit Anwesenheit des Versammlungsleiters und (vorbehaltlich der erweiterten Erleichterungen) der Verwaltungsmitglieder nach § 118 Abs. 3 AktG sowie Beurkundung durch einen am Versammlungsort anwesenden Notar.

Verkürzung der Einberufungsfrist und Erleichterung des Record Date-Nachweises

Eine weitere Erleichterung kommt mit der Verkürzung der Einberufungsfrist für die Hauptversammlung: Statt „mindestens dreißig Tage“ (§ 123 Abs. 1 Satz 1 AktG) ist die Versammlung nunmehr „spätestens am 21. Tag“ vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Zugleich wird der Nachweisstichtag (Record Date) bei Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften vom Beginn des 21. auf den Beginn des zwölften Tages und die Frist für seinen Zugang bei der Gesellschaft von „mindestens sechs Tage“ (§ 123 Abs. 4 Satz 2 AktG) auf „spätestens am vierten Tag“ vor der Versammlung verschoben. Eine entsprechende Verkürzung der Anmeldefrist (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG) ist hingegen nicht vorgesehen.

Zulassung von Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn auch ohne Satzungsgrundlage

Einige Sorge bereitet aus Gesellschafts- und Investorensicht die Tatsache, dass eine Verschiebung der Hauptversammlung eine verzögerte Dividendenausschüttung zur Folge hat. Eine Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn nach Ende des Geschäftsjahres bedarf bislang einer Satzungsermächtigung (§ 59 Abs. 1 AktG). Dieses Erfordernis wird für 2020 aufgehoben, so dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats über eine solche Abschlagszahlung entscheiden kann. Die Beschränkungen des § 59 Abs. 2 AktG bleiben jedoch unverändert.

Verlängerung der Frist für die Abhaltung der ordentlichen Hauptversammlung

Vervollständigt wird das Maßnahmenpaket durch die Verlängerung der Frist für die Abhaltung der ordentlichen Hauptversammlung in 2020 von acht (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AktG) auf zwölf Monate. Diese Fristverlängerung gilt nicht für die SE. Insoweit fehlt dem deutschen Gesetzgeber die Regelungskompetenz für eine Abweichung von Art. 54 Abs. 1 Satz 1 SE-VO.

Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats, Beschlussfassung ohne Sitzung

Sämtliche dem Vorstand zugewiesenen Entscheidungen über die Nutzung der neuen Möglichkeiten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsratsbeschluss kann abweichend von § 108 Abs. 4 AktG ungeachtet der Regelungen in Satzung oder Geschäftsordnung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Weise gefasst werden.

Inkrafttreten und zeitliche Geltung

Bundestag und Bundesrat werden sich mit dem Vorhaben zeitnah befassen. Änderungen am Gesetzestext sind daher nicht auszuschließen. Die Sonderregelungen könnten noch im März in Kraft treten. Sie gelten einstweilen bis Ende 2020. Der Gesetzentwurf enthält jedoch eine Verordnungsermächtigung an das BMJV, wonach ihre Geltung bis höchstens 31. Dezember 2021 verlängert werden kann, „wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus in Deutschland geboten erscheint.“

Fazit

Unternehmen sollten prüfen, ob die virtuelle Hauptversammlung für 2020 eine realistische Option ist, und mit ihren Dienstleistern abstimmen, ob die benötigte Infrastruktur bereitgestellt werden kann. Sofern zur ordentlichen Hauptversammlung bereits eingeladen wurde oder die Einladung unmittelbar bevorsteht, gilt nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Vorstand die einberufene Hauptversammlung zum Schutz der Aktionäre und Verwaltungsmitglieder absagen darf und ggf. nach neuen Regeln eine normale oder virtuelle Hauptversammlung mit verkürzter Einberufungsfrist zu einem späteren Zeitpunkt einberufen kann. Ebenso ist die Möglichkeit einer Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn zu prüfen.

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