Am 16. Dezember 2024 hat die Europäische Union das 15. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Dabei wurde auch eine Regelung zum Schutz von EU-Unternehmen vor russischen Gerichtsentscheidungen eingeführt. Gerichten in EU-Mitgliedstaaten ist es nun untersagt, Entscheidungen russischer Gerichte zu vollstrecken, die im Zusammenhang mit Artikel 248 der russischen Zivilprozessordnung (Arbitrazhprozessordnung) ergangen sind.
Auf dieser Vorschrift basierend haben russische Gerichte in letzter Zeit bei Konflikten zwischen russischen und EU-Unternehmen ihre ausschließliche Zuständigkeit beansprucht, selbst wenn die Parteien in Schieds- oder Gerichtsstandvereinbarungen die Zuständigkeit ausländischer (Schieds-)Gerichte vereinbart hatten. Diese Zuständigkeit russischer Gerichte wird mit Untersagungsverfügungen gegen nicht-russische Parteien flankiert, ausländische (Schieds-)Gerichtsverfahren nicht führen zu dürfen (sog. anti-suit oder anti-arbitration injunctions). Zuwiderhandlungen werden mit hohen Geldstrafen bedroht.
Die EU möchte diesem Vorgehen nun entgegentreten und schafft eine Regelung, mit der deutsche und andere EU-Unternehmen vor der Vollstreckung russischer Urteile in der EU geschützt werden sollen.
Zusammenfassung
- Das 15. Sanktionspaket der EU verbietet die Vollstreckung von Urteilen, bei denen russische Gerichte ihre Zuständigkeit mit Verweis auf Art. 248 der russischen Zivilprozessordnung begründet haben.
- Durch das 15. Sanktionspaket der EU werden EU-Unternehmen nicht grundsätzlich davor geschützt, dass russische Gerichtsurteile außerhalb der EU oder russische Schiedssprüche innerhalb oder außerhalb der EU vollstreckt werden.
- Wie sich EU-Unternehmen vor der Vollstreckung russischer (Schieds-)Urteile schützen können, hängt außerhalb des Anwendungsfeldes von Art. 248 der russischen Zivilprozessordnung vom Einzelfall ab. Bei einem sich abzeichnenden Konflikt mit Russlandbezug sollte frühzeitig bedacht werden, wie der Vollstreckung eines russischen (Schieds-)Urteils vorgebeugt werden kann.
EU-Sanktionen
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hat sich die Situation von Unternehmen mit Hauptsitz in einem EU-Mitgliedstaat („EU-Unternehmen“) vor russischen Gerichten derart verschlechtert, dass die EU sich nun im Rahmen des 15. Sanktionspakets gegen Russland gezwungen sah, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das nun verabschiedete Sanktionspaket reiht sich in die bislang seit der russischen Annexion der Krim ergriffenen Sanktionen der EU ein (siehe hierzu unsere regelmäßigen Updates, beispielsweise zuletzt zum 12. Sanktionspaket, 13. Sanktionspaket und 14. Sanktionspaket). Neben den hier besprochenen Regelungen zum Schutz vor der Vollstreckung russischer Gerichtsentscheidungen in der EU enthält das 15. Sanktionspaket weitere Präzisierungen und Nachjustierungen bestehender sowie teils neue Sanktionen (Beitrag vom 18. Dezember 2024).
Schutzbedürftigkeit europäischer Unternehmen
EU-Sanktionen werden durch Russland naturgemäß nicht anerkannt. Deshalb hat Russland ein Interesse daran, dass russische Gerichte über sanktionsrelevante Sachverhalte entscheiden. Als Reaktion auf die wegen der Annexion der Krim getroffenen EU-Sanktionen führte Russland bereits 2020 Artikel 248 der russischen Zivilprozessordnung (Arbitrazhprozessordnung, „APO“) ein. Artikel 248 APO soll nicht-russischen Parteien selbst bei abweichenden Parteivereinbarungen die Möglichkeit nehmen, ihre Wirtschaftsstreitigkeiten, insbesondere solche zu sanktionsrelevanten Sachverhalten, mit russischen Parteien vor ausländischen (Schieds-)Gerichten auszutragen. Dazu können russische Gerichte auf Antrag sogenannte anti-suit oder anti-arbitration injunctions erlassen, wonach ausländische Parteien es zu unterlassen haben, ihren Rechtsstreit vor einem ausländischen (Schieds-)Gericht anhängig zu machen oder fortzuführen. Für den Fall der Zuwiderhandlung können russische Parteien ein direkt an sie zu zahlendes Zwangsgeld bis zur Höhe der Streitsumme des zu unterbindenden Verfahrens beantragen.
Diese Gerichtsentscheidungen bringen EU-Unternehmen in eine missliche Lage, da sie in Russland zu Leistungen verurteilt werden können, deren Erfüllung ihnen nach EU-Recht und Sanktionsregime verboten ist. Bei Verstoß gegen die Sanktionen drohen hohe Bußgelder und für die handelnden Personen ggf. sogar straf- oder ordnungsrechtliche Maßnahmen. Gleichzeitig können EU-Unternehmen ihrerseits Ansprüche gegenüber russischen (ehemaligen) Vertragspartnern nicht im Ausland geltend machen oder eingeleitete Verfahren fortführen, ohne zu riskieren, in Russland zu Zwangsgeldern verurteilt zu werden. Auch wenn solche Zwangsgeldverurteilungen vor allem in Vermögen in Russland vollstreckt werden dürften, so ist jedenfalls theoretisch auch eine Vollstreckung in anderen Ländern außerhalb der EU nicht auszuschließen.
Der Schutzschirm des 15. Sanktionspakets
Abhilfe soll Art. 11 c Abs. 1 der VO 833/2014 schaffen, der es als Teil des 15. Sanktionspakets Gerichten innerhalb der EU verbietet, Urteile zu vollstrecken, in denen die Zuständigkeit russischer Gerichte über oder in Zusammenhang mit Art. 248 APO begründet wurde. Damit möchte die EU die Durchsetzung russischer Gerichtsentscheidungen unterbinden, in denen sich russische Gerichte für zuständig erklärt haben, obwohl nach einer Parteivereinbarung oder nach internationalem Zivilprozessrecht ein ausländisches (Schieds-)Gericht zuständig gewesen wäre.
Wo und wie droht die Vollstreckung russischer Gerichtsentscheidungen?
Andere russische Gerichtsentscheidungen, die nicht im Zusammenhang mit Art. 248 APO stehen, sind grundsätzlich weiterhin in der EU anerkennungsfähig. Dabei bestimmt jeder EU-Staat anhand seiner Regelungen zur Anerkennung ausländischer Urteile (oder völkerrechtlicher Abkommen), ob er russische Urteile anerkennt. In Deutschland gilt, dass russische Gerichtsentscheidungen durch deutsche Gerichte grundsätzlich nicht anerkannt werden, weil die dafür erforderliche Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist.
Nichtsdestotrotz droht EU-Unternehmen die Vollstreckung russischer Gerichtsentscheidungen, insbesondere auch solcher, die auf Art. 248 APO basieren, weiterhin in Russland selbst und außerhalb der EU („Drittstaaten“). Der effektivste Schutz gegen eine Vollstreckung ist selbstredend, am möglichen Vollstreckungsort keine Vermögenswerte zu haben, in die vollstreckt werden könnte. Im globalen Markt dürfte es für international agierende EU-Unternehmen häufig ausgeschlossen sein, Vermögen aus allen potenziellen Drittstaaten abzuziehen, in denen ein russisches Unternehmen ein Vollstreckungsverfahren einleiten könnte. Der dadurch entstehende finanzielle Schaden dürfte auf Dauer deutlich größer sein als der Schaden, der mit der Vollstreckung einhergeht. Durch entsprechende Vorsorge bei der Vertragsgestaltung oder der Unternehmensstrukturierung kann das Risiko möglicher Vollstreckungsverfahren in verschiedenen Jurisdiktionen im Einzelfall begrenzt werden.
Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen
In unserer Praxis häufig anzutreffen und problematischer sind Fälle, in denen Parteien eine Schiedsvereinbarung mit einem Schiedsort in Russland geschlossen haben. Abhängig von der Schiedsinstitution und damit einhergehend der Besetzung des Schiedsgerichts kann das dazu führen, dass ein Schiedsgericht gebildet wird, das EU-Sanktionen nicht anerkennt und daher ein EU-Unternehmen unter Missachtung der Sanktionen zu einer Leistung verurteilt. Anders als russische staatliche Gerichtsurteile sind solche Schiedssprüche nahezu weltweit vollstreckbar. Nach der Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards von 1958 („New York Convention“) haben sich die 172 Vertragsstaaten, darunter Deutschland, verpflichtet, ausländische Schiedssprüche anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären.
Nach der New York Convention darf die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs nur in Ausnahmefällen versagt werden; unter anderem dann, wenn die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs einen Verstoß gegen den ordre public (öffentliche Ordnung) darstellen würde. In Deutschland und anderen EU-Staaten dürfte die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs, der EU-Sanktionen missachtet, klar gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Der Grundgedanke der Regelung des 15. Sanktionspakets, russische Urteile in der EU nicht anzuerkennen, wenn sie EU-Sanktionen missachten, ist ein weiterer Anhaltspunkt dafür, dass auch Schiedssprüche, die EU-Sanktionen missachten, gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. In Drittstaaten, die möglicherweise selbst keine Sanktionen gegen Russland erlassen haben, könnte das wieder anders beurteilt werden.
In jedem Fall sind Schiedsparteien gut beraten, ihre Strategie bereits im Schiedsverfahren darauf auszurichten, sich etwaige Einwände gegen die spätere Vollstreckung des Schiedsspruchs zu erhalten. Dies beginnt bereits damit, möglichst einfach nachvollziehbar für das russische Schiedsgericht (aber auch für ein EU-Vollstreckungsgericht) darzulegen, dass die streitgegenständlichen Leistungen, Waren, etc. tatsächlich von den umfangreichen und nicht immer sehr transparenten EU-Sanktionslisten erfasst sind. Hier kann eine Behördenentscheidung wie etwa ein Ausfuhrverbot hilfreich sein, was aber angesichts der Überlastung der Behörden nur schwer zu bekommen ist. Neben dem ordre public-Einwand können außerdem auch andere Versagungsgründe greifen, wenn etwa im Schiedsverfahren Verfahrensfehler unterlaufen und trotz rechtzeitiger Verfahrensrüge nicht behoben werden. Weiter kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegen, wenn sich ein Schiedsgericht mit dem substantiierten Vortrag und Einwand, eine bestimmte Leistung hätte wegen der Sanktionen nicht erbracht werden können, überhaupt nicht auseinandersetzt.
Zusammenfassung und Ausblick
Es bleibt schwierig für EU-Unternehmen, die in Wirtschaftsstreitigkeiten mit russischen Unternehmen verwickelt sind. Die EU hat mit dem 15. Sanktionspaket gegen Russland Maßnahmen ergriffen, um EU-Unternehmen vor der Vollstreckung russischer Gerichtsurteile zu schützen, die Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen unterlaufen und letztlich wirtschaftliche Sanktionen der EU umgehen wollen. Dieser Schutz hilft EU-Unternehmen zwar innerhalb der EU, vermag es aber nicht vor möglichen Vollstreckungen in vorhandenes Vermögen in Russland oder Drittstaaten zu schützen. Vor der Vollstreckung russischer Schiedssprüche schützt auch das 15. Sanktionspaket nicht, bietet aber weitere Anhaltspunkte dafür, dass die russische Nicht-Anerkennung der EU-Sanktionen als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung in der EU zu werten ist.
Insgesamt hat die EU nun einen Schutzmechanismus etabliert, der eine deutliche Verbesserung der Rechtsstellung von EU-Unternehmen bedeutet, aber angesichts der komplexen internationalen Regelungswerke und der stets zu beachtenden Einzelfallumstände keinen vollständig wirksamen Schutz für alle betroffenen EU-Unternehmen bieten kann. Es ist deshalb weiterhin wichtig, nicht nur die Entwicklungen der russischen Gesetzgebung und Rechtsprechung genau zu beobachten, sondern auch die diesbezügliche Rechtsentwicklung in Nicht-EU-Drittstaaten. Bei einem sich abzeichnenden Rechtsstreit mit Russland-Bezug bleibt es unerlässlich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wo das (Schieds-)Urteil vollstreckt werden soll und eine Strategie zu entwickeln, um Vermögenswerte dem Zugriff russischer Unternehmen in der Vollstreckung zu entziehen.