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U.S.-Berufungsgericht schützt Angeklagte vor Selbstbelastung durch im Ausland erzwungene Aussagen – zu den Auswirkungen auf Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen

​Der 5. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, das „Fifth Amendment", schützt Angeklagte in den USA davor, sich im Strafprozess selbst belasten zu müssen. Am 19. Juli 2017 entschied der United States Court of Appeals for the Second Circuit (No. 16-898 (2d Cir 2017)), dass das Fifth Amendment es auch verbietet, eine durch ausländische Behörden erzwungene Aussage in US-amerikanischen Strafverfahren zu verwenden. Die Entscheidung stärkt die Rechte von Angeklagten und gewährleistet einen umfassenden Schutz der Selbstbelastungsfreiheit. Sie wirkt sich zudem auf grenzüberschreitende Wirtschaftsstrafverfahren aus, in denen gegen Unternehmen ermittelt wird.

Sachverhalt

Im Zuge der Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Manipulationsskandal um den LIBOR-Zins wurden die später in den USA angeklagten Bankmitarbeiter Anthony Allen und Anthony Conti von der britischen Finanzaufsichtsbehörde („UK Financial Conduct Authority") unter Androhung von Freiheitsstrafen zu Aussagen gezwungen. Aufgrund der durch die erzwungenen Aussagen gewonnenen Erkenntnisse leitete die britische Aufsichtsbehörde ein Verfahren gegen einen Kollegen der Angeklagten ein. Diesem offenbarte die Aufsichtsbehörde sämtliche relevanten Beweise, einschließlich der erzwungenen Aussagen von Allen und Conti. Dieser Kollege sah sich die Aussagen an, kommentierte sie und fertigte Notizen an. Aufgrund eines Strafprozesses gegen ihn in den USA setzte die britische Behörde das Verfahren gegen ihn aus. Er bekannte sich im amerikanischen Prozess schuldig und kooperierte im Anschluss mit dem Department of Justice.

Das US-Gericht verurteilte die Angeklagten Allen und Conti wegen mittäterschaftlichen Bankbetruges sowie wegen „wire fraud" jeweils zu Freiheitsstrafen. Die Aussage ihres Kollegen war nahezu die einzige Informationsquelle im Prozess. Allen und Conti legten gegen das Urteil Berufung ein und rügten u. a. die Verletzung ihrer Rechte aus dem Fifth Amendment durch die Anklagebehörde, indem diese die erzwungenen Aussagen (mittelbar) durch Verwertung der Aussage ihres Kollegen im Prozess verwendet hatte.

Entscheidung des U.S. Court of Appeals for the Second Circuit

Das Berufungsgericht entschied, dass eine erzwungene Aussage – unabhängig davon, ob der Zwang durch einen ausländischen Staat oder innerhalb der USA ausgeübt wurde – im Prozess nicht verwendet werden darf. Das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung schütze auch Angeklagte in den USA, die gegenüber einer ausländischen Behörde unter Zwang ausgesagt haben. Das gelte ferner in Fällen, in denen die Aussage nach dem Recht des Staates, in dem die Aussage erzwungen wurde, rechtmäßig zustande gekommen sei. Das Gericht sah sowohl hinsichtlich der Anklage als auch des Prozesses in der Verwertung der Aussagen von Allen und Conti eine Verletzung des Verbots des Zwangs zur Selbstbelastung und hob das Urteil auf.

Nach Ansicht des Gerichts könnten weder die Gefahr, dass ausländische Regierungen die Strafverfolgung in den USA versehentlich behindern, noch die Erschwerung staatsübergreifender Ermittlungen es rechtfertigen, den fundamentalen und absoluten Schutz des Fifth Amendment aufzuheben.

Im Hinblick auf Beweise, die aus einer erzwungenen Aussage abgeleitet werden können, d. h. insbesondere Aussagen von Zeugen, denen die erzwungene Aussage zugänglich gemacht wurde, greife überdies die in Kastigar vs. United States (406 U.S. 441 (1972)) entwickelte Beweislastregel. Danach muss die Anklagebehörde darlegen, dass Beweise, die im Prozess gegen einen Angeklagten verwendet werden sollen, aus einer legitimen – von der erzwungenen Aussage unabhängigen – Quelle stammen und insbesondere nicht durch die ihnen zuvor offenbarte erzwungene Aussage geändert oder sonst beeinflusst worden sind. Es ist dabei nicht ausreichend, wenn der Zeuge allgemein bestreitet, durch die ihm offenbarte Aussage beeinflusst worden zu sein. Im vorliegenden Fall ist es der Anklagebehörde nicht gelungen, diese Hürde zu überwinden und zu zeigen, dass die Aussage des Kollegen im Prozess gegen Allen und Conti nicht durch die vorherige Durchsicht der erzwungenen Aussagen beeinflusst worden ist.

Das Gericht sieht mögliche Ausnahmen von diesem Beweisverwertungsverbot für im Ausland erzwungene Aussagen, wenn eine feindliche Regierung versucht, durch erzwungene Aussagen gezielt die Strafverfolgung in den USA zu sabotieren. Zudem sei Voraussetzung des Verwertungsverbotes, dass dem Angeklagten im ausländischen Staat, hätte er die Aussage verweigert, tatsächlich und glaubwürdig Konsequenzen, insbesondere in Form einer Freiheitsstrafe, gedroht hätten.

Auswirkungen der Entscheidung / Empfehlung

Die Entscheidung ist für internationale Wirtschaftsstrafverfahren, insbesondere gegen Unternehmen, bedeutend. Gerade in Fällen, in denen es parallel zu Ermittlungsverfahren in verschiedenen Ländern und der Beteiligung einer Vielzahl von Behörden kommt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass unter den vorstehend erläuterten Voraussetzungen ein Beweisverwertungsverbot in einem amerikanischen Strafprozess greift.

Insgesamt ist in Zukunft zu berücksichtigen, dass Aussagen, die gegenüber Behörden oder Gerichten gemacht werden müssen, nicht ohne Weiteres in einem US-amerikanischen Strafprozess verwendet werden dürfen. Im Einzelfall kann das anders sein, wenn die fraglichen Informationen aus einer unabhängigen Quelle stammen und nicht durch die erzwungene Aussage beeinflusst worden sind.

Personen, die vor Gericht aussagen müssen oder vor sonstigen Behörden zu einer Aussage verpflichtet sind, ist im Hinblick auf die in der Entscheidung aufgestellten Grundsätze zu empfehlen, am Ende einer Befragung oder Vernehmung ausdrücklich klarzustellen (und gegebenenfalls zu Protokoll zu geben), dass die Aussage nur aufgrund der im Falle einer Weigerung drohenden Sanktionen und damit unfreiwillig zustande gekommen ist.

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