I. Einführung
Im November 2021 hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung („OECD“) - aufgrund der jüngsten internationalen Ereignisse weitgehend unbemerkt - die Empfehlung des Rates zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr („Empfehlung von 2021“) angenommen. Die OECD ist eine internationale Organisation, in der sich Regierungen aus aller Welt zusammengeschlossen haben und die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Lösungen für soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu erarbeiten. Seit ihrer Gründung im Jahr 1961 hat die OECD rund 460 Rechtsinstrumente entwickelt, die großteils zu internationalen Standards geworden sind. OECD-Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend, stellen jedoch ein politisches Bekenntnis zu den darin enthaltenen Grundsätzen dar und setzen nicht selten einen gewissen Standard für die nationale Gesetzgebung.
Das OECD-Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung hat eine lange Tradition: Es trat im Februar 1999 in Kraft und verpflichtet die Vertragsparteien, die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr zu verfolgen und zu sanktionieren. Die OECD-Arbeitsgruppe für Bestechungsfragen überwacht die Umsetzung des Übereinkommens durch die OECD-Mitgliedstaaten.
Im Jahr 2009 nahm die OECD die Empfehlung zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger („Empfehlung von 2009“) an, die sich insbesondere auf die „Angebotsseite“ der Bestechung konzentrierte und wichtige Empfehlungen zur Prävention, Aufdeckung und Untersuchung von Auslandsbestechungsfällen enthielt. Mehr als ein Jahrzehnt später und nach einer umfassenden Überprüfung der Auswirkungen und aktuellen Herausforderungen im Bereich der Korruptionsbekämpfung hat die OECD die Empfehlung von 2021 angenommen, die nun die Empfehlung von 2009 ersetzt. Sie richtet sich an die OECD-Mitgliedsländer und andere Länder, die dem OECD-Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung beigetreten sind. Die Empfehlung von 2021 aktualisiert und erweitert die Empfehlung von 2009 und unterstreicht die Bedeutung einer kontinuierlichen Durchsetzung der Maßnahmen zur Bestechungsbekämpfung.
Im Folgenden haben wir die wichtigsten Elemente der Empfehlung von 2021 zusammengefasst, um Unternehmen zu ermutigen, die Empfehlung von 2021 bei der Bewertung ihrer Verfahren zur Bestechungsbekämpfung zu berücksichtigen.
II. Wesentliche Elemente der Empfehlung von 2021
Während sich die Empfehlung von 2009 auf die „Angebotsseite“ der Bestechung konzentrierte, d.h. Unternehmen, die Bestechungsgelder zahlen, konzentriert sich die Empfehlung von 2021 u.a. auf die „Empfängerseite“, d.h. Unternehmen, die Bestechungsgelder fordern und annehmen, sowie auf die internationale Zusammenarbeit, den Abschluss von Vergleichen, sogenannten non-trial resolutions, in Fällen von Auslandsbestechung und Anreize für die Antikorruptions-Compliance in Unternehmen sowie den Schutz von Hinweisgebern.
1. Bekämpfung der Anstiftung zur Bestechung
Die Empfehlung von 2021 enthält einen neuen Abschnitt über die Anstiftung zur Bestechung durch ausländische Amtsträger. Sie betont die Notwendigkeit, die jeweiligen Amtsträger hinsichtlich des Einforderns (und der Annahme) von Bestechungsgeldern stärker zu sensibilisieren. Sie empfiehlt den Mitgliedsländern unter anderem, das Bewusstsein für die Risiken der Anstiftung zur Bestechung zu schärfen und die im Ausland tätigen Amtsträger entsprechend zu schulen. Der Abschnitt über die Anstiftung zur Bestechung erwähnt insbesondere kleinere Beschleunigungszahlungen (faciliation payments) und empfiehlt den Mitgliedsländern, ihre Politik und ihr Konzept für kleinere Beschleunigungszahlungen zu überprüfen. Es wird vor allem empfohlen, Unternehmen anzuhalten, Beschleunigungszahlungen zu verbieten oder zu unterbinden, da diese in den Ländern, in denen sie geleistet werden, in der Regel illegal sind.
Das Einfordern und Annehmen von Bestechungsgeldern durch (ausländische) Amtsträger, einschließlich europäischer Amtsträger, wird strafrechtlich verfolgt und sanktioniert (§§ 332, 334, 335a StGB). Der deutsche Gesetzgeber ist sich also der Korruptionsrisiken im Zusammenhang mit öffentlichen Institutionen bewusst, und wir erwarten diesbezüglich keine Gesetzesänderungen.
2. Sanktionen und Einziehung
Die Empfehlung von 2021 legt den Mitgliedstaaten nahe, die Bestechungsgelder und die Erträge aus der Bestechung einzuziehen und einzufrieren. In Deutschland entspricht dies bereits der bestehenden Gesetzeslage. Die Empfehlung von 2021 geht jedoch noch weiter und empfiehlt, abgeschlossene Fälle von Bestechungen ausländischer Amtsträger zu veröffentlichen, einschließlich der wichtigsten Fakten, der sanktionierten natürlichen oder juristischen Personen, der Sanktionen und der Grundlage dieser Sanktionen („naming and shaming“).
Des Weiteren heißt es in der Empfehlung von 2021, dass gutes unternehmerisches Verhalten von den Mitgliedstaaten gefördert und belohnt werden sollte. Als mögliche mildernde Umstände werden ausdrücklich die freiwillige, rechtzeitige und vollständige Offenlegung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden und die uneingeschränkte Kooperation, die Übernahme von Verantwortung sowie rechtzeitige und angemessene Abhilfemaßnahmen genannt.
Die Empfehlung von 2021 zielt darauf ab, die Anstiftung zur Bestechung so risikoreich wie möglich zu machen, einschließlich des öffentlichen „naming and shaming“, das bereits in anderen Bereichen eingeführt wurde (z.B. Insiderhandel, vgl. Veröffentlichungen der BaFin). Auch wenn das Ziel der Empfehlung von 2021 zu begrüßen ist, würde das öffentliche „naming and shaming“ zu einer weiteren Sanktion führen, die - im Gegensatz zu „herkömmlichen“ Sanktionen - nicht angemessen zugemessen werden kann und in einem Großteil der Fälle über das Ziel hinausschießen könnte. Naming and Shaming sollte somit abgelehnt werden.
3. Vergleiche
Die Empfehlung von 2021 rät zudem, sogenannte non-trial resolutions, gemeinhin als Vergleiche bezeichnet, die häufig zu schnelleren Ergebnissen führen, weiter auszubauen. Diese Vergleiche beruhen auf einer zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und einer Strafverfolgungs- oder anderen Behörde ausgehandelten Vereinbarung, die den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Verfahrens, der Transparenz und der Rechenschaftspflicht entspricht. Derartige Vergleiche könnten eine globale Wirkung entfalten und Unternehmen dazu bewegen, ihnen zuzustimmen, insbesondere um Verfahren und Sanktionen in mehr als einer Jurisdiktion zu vermeiden (Doppelbestrafung, s.u.).
Verfahrensrechtliche Instrumentarien wie Non-Prosecution Agreements (NPAs) oder Deferred Prosecution Agreements (DPAs) stehen den deutschen Behörden bisher nicht zur Verfügung. Es besteht gleichwohl ein praktischer Bedarf an Vergleichsoptionen. So werden Bußgelder und Einziehungssanordnungen in der Praxis häufig mit den Ermittlungsbehörden ausgehandelt. Im Zuge eines solchen „Settlements“ verzichten die betroffenen Unternehmen häufig auf mögliche Rechtsmittel.
4. Abzugsfähigkeit
Die Empfehlung von 2021 betont ferner, dass Bestechungsgelder an ausländische Amtsträger nicht steuerlich abzugsfähig sein sollten - eine Regelung, die in Deutschland bereits vor vielen Jahren eingeführt wurde. Wenn Unternehmen in der Vergangenheit erfolgte Bestechungszahlungen feststellen, ist ihre Geschäftsführung regelmäßig verpflichtet, Steuererklärungen zu korrigieren (§ 153 AO) und so in der Vergangenheit erfolgte rechtswidrige Zahlungen offenzulegen.
5. Internationale Zusammenarbeit
Der neu eingeführte Abschnitt über die internationale Zusammenarbeit geht Hand in Hand mit dem Abschnitt über Vergleiche. Die Mitgliedstaaten arbeiten bei der Ermittlung und Verfolgung von Bestechung und Korruption international zusammen, indem sie z.B. Informationen austauschen, Vereinbarungen über die gegenseitige internationale Rechtshilfe treffen und sogar eine Zusammenarbeit mit Ländern in Betracht ziehen, die dem OECD-Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung nicht beigetreten sind. Die Empfehlung von 2021 ermutigt die Mitgliedstaaten zu einem proaktiven Ansatz bei ihren Bestrebungen um internationale Zusammenarbeit und weist ausdrücklich auf das Risiko der Doppelbestrafung in multijurisdiktionalen Fällen hin. In der Praxis arbeiten die Ermittlungsbehörden zunehmend international zusammen (zumindest in bedeutenden Fällen). Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen zur Vermeidung der Doppelbestrafung im internationalen Kontext derzeit unzureichend.
In Bezug auf den Datenschutz und die internationale Zusammenarbeit heißt es in der Empfehlung von 2021, dass die Datenschutzgesetze die Effektivität der internationalen Zusammenarbeit hinsichtlich der Compliance nicht „unangemessen behindern“ sollten.
6. Meldung von Verdachtsfällen der Bestechung ausländischer Amtsträger
Mit einer ähnlichen Zielsetzung wie die EU-Whistleblower-Richtlinie unterstreicht die Empfehlung von 2021 die Bedeutung des Schutzes von Hinweisgebern, da diese oft eine wesentliche Rolle bei der Aufdeckung von Auslandsbestechungen spielen. Sie empfiehlt den Mitgliedsländern, Verfahren einzuführen, die eine vertrauliche und anonyme Meldung ermöglichen, einschließlich eines rechtlichen Rahmens zum Schutz der Hinweisgeber und zur Verhinderung von Vergeltungsmaßnahmen ihnen gegenüber. Der deutsche Gesetzgeber wird höchstwahrscheinlich noch in diesem Jahr ein nationales Gesetz erlassen, das den Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie entspricht. Wir gehen davon aus, dass das deutsche Gesetz ein Verfahren zur Meldung aller Arten von Gesetzesverstößen, einschließlich Bestechung und Korruption, - auch, aber nicht nur in Fällen unter Beteiligung von (ausländischen) Amtsträgern - enthalten wird.
7. Rechnungslegung und externe Rechnungsprüfung sowie interne Kontrollen, Ethik und Compliance
Neben angemessenen Anforderungen im Bereich der Rechnungslegung, wie z.B. die unabhängige externe Rechnungsprüfung, werden die Mitgliedstaaten in der Empfehlung von 2021 angehalten, Unternehmen darin zu bestärken, angemessene interne Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung insgesamt und insbesondere mit Blick auf die Verhinderung und Aufdeckung der Bestechung ausländischer Amtsträger zu ergreifen und öffentlich bekanntzumachen. Dies gilt auch für Wirtschafts- und Berufsverbände.
Die Mitgliedstaaten sollten Anreize für die Einführung derartiger interner Kontrollen schaffen, indem sie solche Maßnahmen bei der Gewährung öffentlicher Vorteile sowie als mildernden Umstand bei Sanktionen zur Bekämpfung von Auslandsbestechung und damit zusammenhängenden Straftaten berücksichtigen. Zudem können entsprechende Kontrollsysteme oft ein relevanter Faktor bei der Festlegung von Geldbußen sein.
8. Öffentliche Vorteile, einschließlich öffentlicher Beschaffung
Die Mitgliedstaaten sollten in Erwägung ziehen, Unternehmen, die ausländische Amtsträger bestochen haben, vom Wettbewerb um öffentliche Aufträge oder andere öffentliche Vorteile auszuschließen ("Blacklisting"). Informationen über solche Straftaten sollten den zuständigen Regierungsbehörden zur Verfügung stehen. Derartige vergaberechtlich relevante Register gibt es bereits heute in Deutschland.
9. Aktualisierung des OECD-Leitfadens Good Practice Guidance on Internal Controls, Ethics and Compliance
Die OECD hat auch ihren Leitfaden Good Practice Guidance on Internal Control, Ethics and Compliance („Leitfaden“) aktualisiert, der als Anhang II in die Empfehlung von 2021 aufgenommen wurde. Der Leitfaden richtet sich an Unternehmen und behandelt bewährte Verfahren für eine wirksame interne Compliance. Er unterstreicht die Notwendigkeit, das Compliance-Programm an die Gegebenheiten des Unternehmens anzupassen, z.B. das Geschäftsmodell, die Vertriebsorganisation und die länderspezifischen Risiken, sowie auch die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überwachung und Neubewertung. Zu den bewährten Verfahren gehören beispielsweise ein eindeutiges internes Bekenntnis zu einer Compliance-Kultur, die Autonomie der Compliance-Beauftragten, eine risikobasierte Due-Diligence-Prüfung von Akquisitionszielen und Geschäftspartnern sowie eine regelmäßige Überwachung - alles Praktiken, die bereits heute regelmäßig zu einer angemessenen Compliance-Kultur zählen.
III. Schlussfolgerung/Stellungnahme
Mit der Empfehlung von 2021 hat die OECD ihren Willen bekräftigt, Bestechung und Korruption weltweit zu bekämpfen und die Durchsetzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Auslandsbestechung zu verstärken. Die OECD verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, indem sie sich direkt an Mitgliedsstaaten und Unternehmen wendet. Es ist unwahrscheinlich, dass Deutschland seine Gesetze und Praktiken aufgrund der Empfehlung von 2021 ändern muss. Gleichwohl erwarten wir, dass die Empfehlung von 2021 den Ton im Hinblick auf internationale Compliance-Standards setzen wird. In einem zunehmend digitalisierten Umfeld treten Korruptionsrisiken in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf und schaffen immer neue Herausforderungen. Die Empfehlung von 2021 hat diesen Trend insgesamt erkannt. Ob die empfohlenen Maßnahmen tatsächlich zu einem spürbaren Rückgang der Korruption führen werden, bleibt jedoch abzuwarten.