Energie & Infrastruktur

Modernisierung des Energiechartavertrags beschlossen

Was können Investoren von der Reform erwarten und was müssen sie wissen?

In einer lang erwarteten Entscheidung hat die Energiecharta-Konferenz am 3. Dezember 2024 der Annahme der im Jahr 2022 finalisierten Modernisierung des Energiechartavertrags von 1994 zugestimmt. Die Reformbemühungen kommen damit zu einem Abschluss und der Energiechartavertrag wird, wie bereits vor dem Rücktritt Deutschlands und weiterer europäischer Staaten von dem Vertrag vorgesehen, modernisiert. Die Änderungen betreffen insbesondere die Bestimmungen zum Investitionsschutz und zur Streitbeilegung. So sind nun unter anderem Mechanismen zur summarischen Abweisung unbegründeter Ansprüche, die Anwendung der UNCITRAL-Regeln zur Transparenz in Investitionsschiedsverfahren und die Möglichkeit für Staaten, von Investoren Sicherheitsleistung für Verfahrenskosten zu fordern, vorgesehen. Auch wird den verbleibenden Vertragsstaaten die Möglichkeit eröffnet, den Investitionsschutz für fossile Brennstoffe auszuschließen.

Zusammenfassung

  • Energiecharta-Konferenz beschließt Modernisierung des Energiechartavertrags.
  • Umsetzung der im Jahr 2022 finalisierten Änderungen.
  • Vorläufige Anwendung ab dem 3. September 2025.
  • Investitionsstrukturierung kann im Einzelfall deutschen Investoren Investitionsschutz unter dem modernisierten Energiechartavertrag oder anderen Investitionsschutzverträgen verschaffen.

Energiecharta-Konferenz beschließt Modernisierung des Energiechartavertrags

Die Energiecharta-Konferenz hat am 3. Dezember 2024 für eine Modernisierung des Energiechartavertrags gestimmt (siehe hier die Entscheidung vom 3. Dezember 2024 und die Pressemitteilung vom 3. Dezember 2024). Damit wird erstmals der seit 1994 bestehende Vertrag modernisiert.

Mit der nun beschlossenen Modernisierung findet der fast sieben Jahre andauernde Reformprozess ein Ende. Die Diskussionen über eine mögliche Aktualisierung des Energiechartavertrags begannen bereits 2017. Es bedurfte 15 Verhandlungsrunden, bevor die Vertragsstaaten im Juni 2022 eine grundsätzliche Einigung über die Reform erzielten (siehe dazu die Informationen des Energiechartasekretariats zum Modernisierungsvorhaben). Aufgrund des zunehmenden Widerstands gegen den Vertrag, vor allem in einigen EU-Mitgliedsstaaten, kündigten mehrere europäische Staaten ihren Austritt an, da sie den Vertrag als unvereinbar mit nachhaltiger und klimafreundlicher Entwicklung ansahen. Zu diesen Staaten gehören Frankreich, Deutschland, Polen, Luxemburg, Slowenien, Portugal, Spanien und das Vereinigte Königreich (siehe hierzu unseren Beitrag vom 11. Juli 2024, unseren Beitrag vom 1. August 2023 und unseren Beitrag vom 20. April 2023).

Die Energiecharta-Konferenz sollte ursprünglich im November 2022 über die Reformen abstimmen, aber die Abstimmung wurde um zwei Jahre verschoben, nachdem die Europäische Union und die EU-Mitgliedsaaten keine Einigung darüber erzielen konnten, ob die Reformen unterstützt werden sollten. Der Weg zu der Modernisierung des Energiechartavertrags wurde letztlich durch einen politischen Kompromiss innerhalb der Europäische Union ermöglicht: die Europäische Union trat vom Energiechartavertrag zurück, während es im Energiechartavertrag verbleibenden EU-Mitgliedstaaten freistand, die Modernisierung zu genehmigen oder nicht zu widersprechen (siehe Pressemitteilung des Europäischen Rates vom 27. Juni 2024).

Die nun beschlossenen Änderungen werden ab dem 3. September 2025 vorläufig angewendet, wobei die Vertragsparteien bis zum 3. März 2025 entscheiden können, ob sie von der vorläufigen Anwendbarkeit absehen wollen. Vollständig tritt der modernisierte Energiechartavertrag 90 Tage nach der Ratifizierung durch mindestens drei Viertel der Vertragsparteien in Kraft. Nachdem der Modernisierungsprozess selbst über sieben Jahre dauerte, bleibt so bis zur vorläufigen Anwendbarkeit möglicherweise weniger als ein Jahr.

Wesentliche Änderungen der Modernisierung

Eine der wichtigsten Neuerungen ist der sogenannte Flexibilitätsmechanismus, der es den Vertragsstaaten erlaubt, den Investitionsschutz für fossile Brennstoffe auszuschließen. Diese Neuerung geht unmittelbar auf während des Reformprozesses aufgekommene Kritik am Energiechartavertrag zurück, der Energiechartavertrag schütze auch oder vor allem Investitionen in fossile Brennstoffe. Die Möglichkeit Investitionen in fossile Brennstoffe vom Schutzbereich des Energiechartavertrags auszunehmen, könnte (künftige) Investitionen in fossile Energieträger stark beeinflussen und zeigt, dass viele Staaten auf nachhaltigere Energiequellen und erneuerbare Energien umsteigen wollen.

Der Flexibilitätsmechanismus bedeutet zum einen, dass der jeweilige Vertragsstaat nur ein eingeschränktes Angebot auf Durchführung eines Investor-Staat-Schiedsverfahren abgeben kann, das Investoren ausnimmt, die in solche Energieinvestments, die in Annex NI des Energiechartavertrags gelistet sind, investiert haben (siehe den neuen Artikel 26(3)(d)). Hiervon haben bislang die Schweiz und die Türkei Gebrauch gemacht.

Zum anderen kann unter dem Flexibilitätsmechanismus ein Vertragsstaat den Investitionsschutz davon abhängig machen, ob der Heimatstaat des Investors den Investitionsschutz für fossile Energieträger nach Annex NI ausgeschlossen hat (siehe den neuen Artikel 16a). Davon hat bislang nur Japan Gebrauch gemacht. 

Es ist zu befürchten, dass eine Nutzung dieser zwei Ausschlussmöglichkeiten zu einem uneinheitlichen Schutzniveau des Energiechartavertrags führt und ein Flickenteppich entsteht.

Der modernisierte Energiechartavertrag ändert auch die an Investoren und Investitionen gestellten Anforderungen, um in den Schutzbereich des Energiechartavertrags zu gelangen. Es bestehen nun Anforderungen an die Kapitalbindung.  Ansprüche von Staatsangehörigen des Gastlandes sind nun grundsätzlich ausgeschlossen.

Zudem wird klargestellt, dass Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüche künftig nicht mehr als Investitionen betrachtet werden. In der Vergangenheit war es mitunter möglich, die Nichterfüllung einer Gerichtsentscheidung oder eines Schiedsspruchs selbst als Verstoß gegen einen Investitionsschutz anzusehen. Dieser Praxis will der geänderte Energiechartavertrag einen Riegel vorschieben.

Änderungen für Investitionsschiedsverfahren unter dem modernisierten Energiechartavertrag

Die Vertragsstaaten des Energiechartavertrags haben wichtige Änderungen für Investitionsschiedsverfahren vorgenommen, um auf Kritik aus Teilen der Öffentlichkeit und einigen EU-Mitgliedsstaaten zu reagieren. Eine wichtige Änderung ist, dass Investitionsstreitigkeiten innerhalb der EU (intra-EU) nach dem neuen Artikel 24(3) ausdrücklich ausgeschlossen sind. Damit reagiert die Modernisierung auf die viel kritisierte Komstroy-Entscheidung des EuGH, wonach die Bestimmungen des Energiechartavertrags zu Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht auf intra-EU-Sachverhalte anwendbar sein sollen (siehe hierzu unseren Beitrag vom 11. Juli 2024). Für den modernisierten Energiechartavertrag ist nun klargestellt, dass intra-EU Investor-Staat-Schiedsverfahren nicht vorgesehen sind. Damit haben sich die EU-Mitgliedstaaten durchgesetzt und schließen endgültig ein bislang bestehendes, effizientes Instrument des Rechtsschutzes für Investoren aus. Mangels alternativem und gleich effektivem Rechtsschutz besteht die Gefahr von Rechtsschutzlücken (siehe hierzu unseren Beitrag vom 11. Juli 2024).

Außerdem werden die UNCITRAL-Regeln zur Transparenz in Investitionsschiedsverfahren nach dem Energiechartavertrag eingeführt. Mehr Transparenz soll die Schiedsverfahren offener und nachvollziehbarer gestalten. Neu sind auch Mechanismen zur schnellen Abweisung offensichtlich unbegründeter oder schikanöser Klagen. Staaten können Investoren nun auffordern, eine Sicherheitsleistung für die Verfahrenskosten zu hinterlegen. Zudem müssen Investoren offenlegen, wenn ihre Klagen von Dritten (etwa durch Prozessfinanzierer) finanziert werden.

Überprüfung bestehender und geplanter Investitionen

Deutsche und andere Investoren, die wegen des Rücktritts ihres Heimatstaats oder aus anderen Gründen nun nicht mehr unter den Schutzbereich des Energiechartavertrags fallen (siehe dazu auch unseren Beitrag vom 20. April 2023 und unseren Beitrag vom 11. Juli 2024), stehen dem allerdings nicht unbedingt schutzlos gegenüber. Bestehende und geplante Investitionen sollten dahingehend überprüft werden, ob je nach Investition ein hinreichender Investitionsschutz besteht. Gerade für den Energiebereich zeigen Erfahrung und erfolgreiche Nutzung von Investitionsschiedsverfahren, dass staatliche Regulierung oftmals Anlass zur Überprüfung der getroffenen Entscheidungen bietet.

Zunächst sollte geprüft werden, ob Investitionen nach dem Austritt Deutschlands und anderer EU-Mitgliedsstaaten noch durch bilaterale Investitionsschutzabkommen geschützt sind. Je nach Abkommen kann der Schutz unterschiedlich sein.

Wenn der gewünschte Schutz nicht mehr besteht, kann eine Umstrukturierung der Investition in Betracht gezogen werden. Dies kann durch Drittstaaten erfolgen, deren Investoren noch geschützt sind.

Dabei kann eine direkte (Re-)Strukturierung beispielsweise durch eine juristische Person innerhalb der Unternehmensstruktur des Investors erfolgen, die in einem Drittstaat gegründet ist und auf die die Kontrolle über die Investition übergeleitet wird. Eine indirekte, aber möglicherweise ebenso effektive Form der (Re-)Strukturierung kann etwa dadurch erfolgen, dass die Investition selbst durch eine Zweckgesellschaft geführt oder von der Zweckgesellschaft getätigt wird, die durch eine in einem Drittland gegründeten Einheit gehalten wird. Natürlich sind solche (Re-)Strukturierungsmaßnahmen nicht nur aus Investitionsschutzperspektive, sondern auch unter gesellschafts- und steuerrechtlichen Aspekten zu evaluieren.

Diese Praxis wird im Rahmen des Investitionsschutzes von manchen als „Treaty Shopping“ bezeichnet. Sie wird allerdings grundsätzlich als legitim angesehen, wenn Zeitpunkt und Zweck der Umstrukturierung nicht missbräuchlich sind (siehe Mobil and others v. Venezuela, Decision on Jurisdiction, 10 June 2010, Paragraph 204). Für den Fall, dass die Umstrukturierungsbemühungen ausschließlich darauf abzielen, ohne legitimen wirtschaftlichen oder geschäftlichen Zweck Zugang zum internationalen Investitionsschutz zu erhalten oder wenn ein Streit bereits „absehbar“ ist, haben Schiedsgerichte Investoren den Schutz durch Investitionsschutzabkommen schon bislang regelmäßig verweigert (siehe hierzu Philip Morris v. Australia, Award on Jurisdiction and Admissibility, 17 December 2015, Paragraph 554).

Letztendlich wird es vom Einzelfall und dem jeweiligen Investitionsschutzabkommen abhängen, ob ein Investor den gewünschten Investitionsschutz in Anspruch nehmen kann. Allerdings zeigt die Spruchpraxis der Schiedsgerichte, dass Investoren, jedenfalls bevor ein Streit absehbar ist, proaktiv ihre Investitionsstruktur für bestehende und zukünftige Investitionen auf den gewünschten Investitionsschutz hin überprüfen und gegebenenfalls anpassen können.

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