
CDU/CSU und SPD konnten sich am 9. April 2025 auf einen Koalitionsvertrag einigen. Im Abschnitt "Arbeit und Soziales" regeln die Koalitionäre, welche arbeits- und sozialrechtlichen Gesetzgebungsinitiativen in dieser Legislaturperiode zu erwarten sind. Der Koalitionsvertrag konkretisiert im Wesentlichen die Ergebnisse aus dem Sondierungspapier und gibt einen interessanten Ausblick auf die arbeitsrechtlichen Vorhaben.
Die wichtigsten Regelungen im Überblick:
- Orientierung des Mindestlohns an 60 Prozent des Bruttomedianlohns
- Fachkräftesicherung: Einführung einer Work-and-stay-Agentur
- Bürokratieabbau und Digitalisierung
- Kommission zur Sozialstaatsreform
- Bundestariftreuegesetz
- Wöchentliche Höchstarbeitszeit
- Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung
- Steuerbegünstigungen für Arbeitnehmer
- Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie
- Ausnahmen vom Anschlussverbot im Befristungsrecht
- Online-Betriebsratssitzungen, Online-Betriebsversammlungen und Online-Wahlen
- Digitales Zugangsrecht zu den Betrieben für Gewerkschaften
- Stärkung der betrieblichen Altersversorgung
Mindestlohn
Bereits aus dem Sondierungspapier war bekannt, dass sich die Mindestlohnkommission bei der Festsetzung der Höhe des Mindestlohns künftig neben der Tarifentwicklung auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollbeschäftigten orientieren soll. Durch diese Änderung halten die Koalitionsparteien eine Entwicklung der Höhe des Mindestlohns auf EUR 15 im Jahr 2026 für erreichbar, eine zentrale Wahlkampfforderung der SPD.
Fachkräftesicherung
Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen soll erhöht und finanziell unterstützt werden. Dies sei ein entscheidender Faktor der Fachkräftesicherung. Für ausländische Fachkräfte planen die Koalitionäre die Einführung einer „Work-and-stay-Agentur“, einer digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte. Sie soll ein einheitliches Anerkennungsverfahren für Berufs- und Studienabschlüsse innerhalb von acht Wochen durchführen. Arbeitsverbote für Flüchtlinge sollen auf drei Monate reduziert werden, wobei dies nicht für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Dublin-Fälle oder das Asylrecht offenkundig missbrauchende Personen gelten soll.
Bürokratieabbau
Der Koalitionsvertrag bringt erfreulicherweise den Wunsch der Koalitionsparteien nach einem Bürokratieabbau, auch durch digitale Prozesse an mehreren Stellen zum Ausdruck. So sollen bspw. Bürgerinnen und Bürger und Betriebe nach dem Once-Only-Prinzip im Kontakt mit den Sozialversicherungen und Verwaltungen nur einmal ihre jeweiligen Daten eingeben müssen. Diese sollen dann medienbruchfrei von Bund, Ländern und Kommunen genutzt und verarbeitet werden können. Zwischen den Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden soll ein vollständiger Datenaustausch ermöglicht werden. Auch für das geplante Bundestariftreuegesetz sollen Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden. Schwarzarbeitskontrollen sollen bürokratiearm und effektiv ausgestaltet werden.
Sozialleistungen
Umfangreiche Einigungen enthält der Koalitionsvertrag im Bereich der Sozialleistungen. Die Hinzuverdienstgrenzen für Empfänger von Grundsicherung sollen reformiert werden. Gemeinsam mit den Ländern und Kommunen soll eine Kommission zur Sozialstaatsreform eingesetzt werden. Diese soll eine Modernisierung und Entbürokratisierung der Sozialleistungssysteme im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und der Verwaltungen erarbeiten und ihre Ergebnisse bereits innerhalb des vierten Quartals 2025 präsentieren. Ob dieses ambitionierte zeitliche Ziel eingehalten werden kann, bleibt abzuwarten. Die Koalitionsparteien versprechen sich dadurch eine massive Rechtsvereinfachung, einen rascheren Vollzug, erhöhte Transparenz, eine Vereinheitlichung des Einkommensbegriffs und die Zusammenlegung von Sozialleistungen. Das Statusfeststellungsverfahren soll als Reaktion auf das Herrenberg-Urteil des BSG vom 28. Juni 2022 (B 12 R 3/20 R) schneller, rechtssicherer und transparenter ausgestaltet werden. Bis zum Jahr 2031 soll das Rentenniveau durch Steuergelder finanziert bei 48 Prozent abgesichert werden. Neue Selbständige sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren bleibt erhalten.
Tariftreue
Erklärtes Ziel der Koalitionäre ist eine höhere Tarifbindung. Diese soll mit einem Bundestariftreuegesetz erreicht werden. Das Gesetz soll für Vergaben auf Bundesebene ab EUR 50.000 und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach Gründung ab EUR 100.000 gelten. Dies ist eine deutliche Absenkung der von der CDU geforderten Schwelle von EUR 250.000, aber eine Erhöhung gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Auftragsvolumen von EUR 25.000 (so noch im Referentenentwurf des BMAS und BMWK der letzten Legislaturperiode vom 24. Oktober 2024). Zur weiteren Stärkung der Tarifbindung soll zudem die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize attraktiver werden.
Wöchentliche Höchstarbeitszeit
Wie im Sondierungspapier angekündigt, wollen CDU/CSU und SPD künftig endlich auch in Deutschland statt der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einführen, wie es Art. 6 der Richtlinie 2003/88/EG vorsieht. Damit soll die von Beschäftigten und Unternehmen gleichermaßen geforderte Flexibilität bei der täglichen Arbeitszeitgestaltung umgesetzt werden, auch für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Arbeitszeiterfassung
Neu ist dagegen die im Koalitionsvertrag vorgesehene Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung. Bisher steht nach der Rechtsprechung des BAG zwar fest, dass Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer verpflichtet sind. Wie die Arbeitszeiten erfasst werden, können Arbeitgeber bislang aber frei entscheiden. Die klassischen Stundenzettel in Papierform dürften daher bald Geschichte sein. Für kleine und mittlere Unternehmen sollen Übergangsregelungen geschaffen werden. Die Vertrauensarbeitszeit soll ohne Zeiterfassung in Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich bleiben, was immer das konkret heißt.
Steuerbegünstigungen für Arbeitnehmer
Der Koalitionsvertrag sieht verschiedene Steuerbegünstigungen für Arbeitnehmer vor:
Zunächst sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte bzw. an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit von Arbeitnehmern hinausgehen, steuerfrei sein. Zahlen Arbeitgeber Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeit auf Vollzeit, sollen diese Prämien steuerlich begünstigt werden. Wie die Koalitionäre diese Steuerbegünstigungen konkret umsetzen werden, bleibt – insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern – abzuwarten.
Zudem soll Arbeit im Rentenalter attraktiver werden. Für Arbeitnehmer, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben und freiwillig weiterarbeiten, soll das Gehalt bis zu EUR 2.000 im Monat steuerfrei sein.
Entgeltgleichheit
Der Koalitionsvertrag sieht bei der Entgeltgleichheit keine konkreten neuen Vorhaben vor. Ziel sei es, gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern bis zum Jahr 2030 zu verwirklichen. Die bereits in Kraft getretene EU-Entgelttransparenzrichtlinie soll „bürokratiearm“ in nationales Recht umgesetzt werden. Die Koalitionsparteien möchten dafür eine Kommission einsetzen, die bis Ende 2025 Vorschläge zur Umsetzung machen soll. Daran anschließend werde das Gesetzgebungsverfahren unverzüglich eingeleitet. Die Umsetzungsfrist endet bereits am 7. Juni 2026. Angesichts der bereits jetzt erforderlichen Vorbereitungen in den Unternehmen, ist das ein später Zeitpunkt.
Befristungsrecht
Im Arbeitsrecht, insbesondere bei Befristungen, sollen Schriftformerfordernisse abgebaut werden. Arbeitsverhältnisse während eines Studiums sollen vom Anschlussverbot nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ausgenommen werden. Das Anschlussverbot soll zudem für Rentner, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu einem bisherigen Arbeitgeber zurückkehren, nicht länger gelten. Die von der SPD in den Koalitionsverhandlungen geforderte Abschaffung der sachgrundlosen Befristung ist nicht Teil des Koalitionsvertrags geworden.
Mitbestimmung
Das BetrVG soll um Online-Betriebsratssitzungen, Online-Betriebsversammlungen und Online-Wahlen als gleichwertige Alterativen zu Präsenzformaten sowie ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaft zu den Betrieben erweitert werden, welches das BAG (Urteil vom 28.1.2025 – 1 AZR 33/24) nach der geltenden Rechtslage jüngst noch abgelehnt hatte. In diesem Zusammenhang erwähnt der Vertrag den Einsatz von KI und fordert die Qualifizierung der Beschäftigten und „faire“ Regelungen zum Umgang mit Daten im Betrieb. Weitergehende Forderungen der SPD aus den Koalitionsverhandlungen im Hinblick auf die Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung sind nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Das betrifft zum einen die Aufwertung der Betriebsratsbehinderung zum Offizialdelikt, die bereits im zweiten Referentenentwurf eines Bundestariftreuegesetzes des BMAS und BMWK vom 24. Oktober 2024 enthalten war. Zum anderen wurde die Idee einer Erweiterung des Kündigungsschutzes von Initiatoren einer Betriebsratswahl auf außerordentliche Kündigungen nicht aufgenommen.
Betriebliche Altersversorgung
Die betriebliche Altersversorgung soll gestärkt und ihre Verbreitung in kleineren und mittleren Betrieben und für Geringverdiener vorangetrieben werden. Die Koalition verspricht Digitalisierung, Vereinfachung, Transparenz, Entbürokratisierung und höhere Portabilität. Konkrete Überlegungen dazu enthält der Koalitionsvertrag noch nicht.
Fazit
Die Einführung einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit wird zur nötigen Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen beitragen. Zu begrüßen sind zudem die erkennbaren Bestrebungen zum Abbau von Bürokratie und zur Förderung der Digitalisierung, insbesondere in der betrieblichen Mitbestimmung und der Vereinfachung des Sozialleistungssystems. Es bleibt abzuwarten, welche im Koalitionsvertrag enthaltenen Maßnahmen in der Legislaturperiode tatsächlich finanziert und umgesetzt werden können.
