Eine Papierfabrik aus Bergisch Gladbach hat es jüngst getroffen: Nach 192 Jahren hat das Traditionsunternehmen am 30. April 2021 seinen Betrieb eingestellt. Am selben Tag endete die Frist zur Abgabe von Emissionszertifikaten. Bedauerlicherweise kein Zufall, denn es fehlte dem Unternehmen am Compliance-Stichtag an den finanziellen Mitteln, sich die Zertifikate rechtzeitig zu beschaffen. Es drohten daher Bußgelder in Höhe von bis zu 3 Millionen Euro. Die Investoren sprangen ab.
1. 17 Jahre Emissionshandel
Ein Blick in die Compliance-Übersicht der Europäischen Kommission zeigt: Nicht nur die Papierfabrik hatte erhebliche Schwierigkeiten mit der fristgerechten Abgabe der erforderlichen Anzahl an Emissionszertifikaten im Rahmen des Europäischen Emissionshandels („EU-ETS“). Auch andere Unternehmen kamen ihren Verpflichtungen zur Abgabe der Zertifikate am jährlichen Stichtag Ende April 2021 nicht oder nur unzureichend nach. Und das, obwohl bei Nichteinhaltung der Frist eine Sanktion in Höhe von 107,71 Euro pro Tonne CO2 (bezogen auf das Berichtsjahr 2020) droht, für deren Durchsetzung die Deutsche Emissionshandelsstelle („DEHSt“) zuständig ist.
Doch woran liegt die zunehmende Non-Compliance der Unternehmen? Schließlich wird der Emissionshandel seit seiner Implementierung im Jahr 2005 als zentrales Instrument der europäischen Klimapolitik zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen in den Mitgliedsstaaten umgesetzt.
Der Emissionshandel beruht auf dem Prinzip des sogenannten „Cap and Trade“. Dabei wird zunächst eine Emissionshöchstgrenze festgelegt, die das maßgebende Steuerungsmittel zur Beeinflussung der Emissionswerte ist. Ist die Emissionsobergrenze bestimmt, werden anschließend bis zur Höhe dieser Grenze Emissionsberechtigungen an die dem Handel unterworfenen, emittierenden Unternehmen (bspw. solche des Energiesektors oder produzierende Stahl-, Kohle- und Zementbetriebe) ausgegeben bzw. können von diesen ersteigert werden. Es gilt nun die im Grundsatz einfache Regel: Die Betriebe dürfen Emissionen nur in einem solchen Umfang verursachen, wie sie auf der Grundlage der Zertifikate dazu berechtigt sind. Übersteigt der CO2-Verbrauch eines Unternehmens die ihm nach den vorhandenen Zertifikaten zur Verfügung stehende Menge, so muss der Betreiber weitere Zertifikate bis zur Deckung seines tatsächlichen Verbrauchs erwerben. Hält ein Unternehmen hingegen mehr Zertifikate, als von diesem tatsächlich benötigt werden (bspw., weil emissionsmindernde Maßnahmen umgesetzt wurden), können diese am Markt veräußert werden.
2. Dynamische Preisentwicklung
Was aber nun passiert, wenn die Preise für die Zertifikate wie in den vergangenen Monaten in die Höhe schießen und Rekordwerte wie zuletzt Mitte Mai 2021 von über 50 Euro pro 100 Tonnen CO2 erreichen, hat sich bereits am letzten Stichtag im April 2021 gezeigt: Die Zahl der Unternehmen, die die notwendige Anzahl an Zertifikaten nicht vorlegen (können), steigt. Zum Vergleich: Bis Dezember letzten Jahres lag der Preis im Schnitt konstant unter 30 Euro pro 100 Tonnen CO2. Die Preissteigerung dürfte unter anderem auf die deutlich strengeren Klimaziele der EU, wonach der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 % statt 40 % im Vergleich zu 1990 reduziert werden soll, und die jährlich fortschreitende Verknappung der an den Markt ausgegebenen Zertifikate zurückzuführen sein. Diese Umstände und die künftig nur schwierig kalkulierbaren Preisentwicklungen stellen die betroffenen Betreiber emittierender Anlagen vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Ziel des Emissionshandels ist es, Anreize dafür zu schaffen, dass die Anlagenbetreiber ihren CO2-Ausstoß insgesamt verringern. Insofern ist der Preisanstieg durchaus politisch gewollt. Die betroffenen Unternehmen sind somit gehalten, weiter dafür Sorge zu tragen, dass sie über die entsprechende Anzahl an Zertifikaten am Stichtag verfügen und dies in ihrer Finanzplanung hinreichend berücksichtigen. Insoweit sind auch wesentliche Kapazitätsänderungen bei den Anlagen im Auge zu behalten; denn diese wirken sich in Abhängigkeit von Zeitpunkt und Umfang der Änderung auf die Menge an kostenlos zugeteilten Berechtigungen aus.
3. Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement
Vor allem für Unternehmen energieintensiver Industriebereiche rücken damit die finanziellen Verpflichtungen, die sich aus dem EU-Emissionshandelssystem ergeben, zunehmend in den Fokus. Eine vorausschauende Unternehmensleitung muss deshalb stets auch die zu erwartenden – zum Teil erheblichen – Zahlungspflichten aufgrund des Erwerbs von CO2-Zertifikaten bzw. der Verhängung etwaiger Bußgelder im Blick haben.
Da die sich aus dem EU-Emissionshandelssystem ergebenden Zahlungsverpflichtungen geeignet sind, die Solvenz der betroffenen Unternehmen zu beeinflussen, gewinnt die Pflicht der Geschäftsleiter, die Finanz- und Liquiditätssituation des von ihnen geführten Unternehmens fortlaufend zu überwachen, besondere Relevanz. Die Geschäftsleiter haben Liquiditätsvorsorge zu betreiben und müssen Zahlungsverpflichtungen aufgrund des EU-Emissionshandelssystems, mit denen jährlich zum Stichtag Ende April zu rechnen ist, in der Finanzplanung berücksichtigen.
Die Anforderungen an die Intensität der Überwachung und Vorsorge durch die Geschäftsleiter steigen, je mehr sich die Anzeichen für das Bestehen einer Unternehmenskrise verdichten. Bei der Verpflichtung, herannahende finanzielle Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und diesen rechtzeitig durch geeignete Maßnahmen zu begegnen, handelt es sich um eine Hauptpflicht der Geschäftsleiter, deren Verletzung zu persönlicher Haftung führen kann. Besteht gar das Risiko, dass das betroffene Unternehmen in seinem Fortbestand gefährdet wird, so haben die Geschäftsleiter die finanzielle Lage des Unternehmens sorgfältig zu prüfen. Mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz („StaRUG“) hat der Gesetzgeber zum 1. Januar 2021 die Geschäftsleiterpflichten in Bezug auf die Krisenfrüherkennung und das Krisenmanagement besonders hervorgehoben (§ 1 StaRUG).
Mit der Aufgabe, die finanzielle Lage des Unternehmens kontinuierlich zu überwachen, korrespondiert außerdem die Pflicht der Geschäftsleiter, bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) bzw. Überschuldung (§ 19 InsO) gegebenenfalls einen Insolvenzantrag zu stellen. Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit dem EU-Emissionshandelssystem (entweder wegen des Erwerbs zusätzlicher CO2-Zertifikate oder aufgrund der Verhängung eines Bußgelds) können insofern nicht nur zur Zahlungsunfähigkeit führen, vielmehr sind sie auch im Rahmen der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose, die zur Ermittlung einer Überschuldung vorzunehmen ist, von Bedeutung: Eine positive Fortführungsprognose – d.h. die Feststellung, dass die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist – setzt eine Finanzplanung voraus, nach der davon auszugehen ist, dass das Unternehmen (auch) seinen Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit dem EU-Emissionshandelssystem zum Stichtag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird nachkommen können.
Falls die Geschäftsleitung an der mittel- bis langfristigen finanziellen Stärke des Unternehmens zweifelt, muss sie frühzeitig einen „Notfallplan“ ausarbeiten: Dieser kann etwa in der Vorbereitung eines präventiven Restrukturierungsverfahrens nach Maßgabe des StaRUG bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung für den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung bestehen. Entscheidend ist in jedem Fall ein frühzeitiges Handeln, um so auf etwaige tatsächliche Gegebenheiten innerhalb des (in der Regel knappen) zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmens adäquat reagieren zu können. Durch konsequente Krisen Compliance lassen sich persönliche Haftungsrisiken für die Geschäftsleiter vermeiden Es empfiehlt daher sich, möglichst rechtzeitig – d. h. am besten noch bevor die finanziellen Probleme akut werden und eine Insolvenz droht – restrukturierungserfahrene Berater hinzuzuziehen.
4. Sanktionen im System des ETS
Frühzeitig gilt es auch auf (drohende) Bußgelder zu reagieren; bestenfalls noch bevor ein solches verhängt wird. Wird dennoch ein Bußgeld durch die DEHSt gegenüber dem Unternehmen festgesetzt, etwa aufgrund einer verspäteten Abgabe der Zertifikate oder einer fehlerhaften Berichterstattung, so sollte der Bescheid rechtzeitig auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Ergibt die Prüfung, dass der Bescheid fehlerhaft erging, so sind die entsprechenden Maßnahmen zur Aufhebung des Bescheids zu ergreifen – und zwar bevor der Bescheid in Bestandskraft erwächst und keine Möglichkeit der Abwendung der Zahlungspflicht mehr besteht.
Dass es sich lohnt, sich mit einem Bußgeldbescheid näher zu beschäftigen, zeigt unter anderem das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau aus dem Jahr 2019 (13 OWi 9/19), das Anfang dieses Jahres vom Oberlandesgericht Naumburg (1 Ws 41/20) bestätigt wurde: Dem verhandelten Ordnungswidrigkeitenverfahren lag ein Verstoß gegen die Berichtspflicht gemäß § 5 TEHG zu Grunde. Das Verfahren endete mit einem Freispruch, da es letztlich an einem nachweisbaren Verschulden fehlte. Daher sollte man sich vor dem Hintergrund möglicher Sanktionen und Zahlungspflichten stets auch mit einschlägiger Rechtsprechung auf nationaler – sowie auf internationaler Ebene – auseinandersetzen, um sicherzustellen, dass keine Zahlungen auf möglicherweise unberechtigt verhängte Bußgelder oder Zahlungsansprüche geleistet werden.
5. Fazit
Das EU-Emissionshandelssystem stellt Unternehmen aus energieintensiven Industriezweigen teilweise vor erhebliche finanzielle Herausforderungen – sei es wegen des mit dem Erwerb von Emissionszertifikaten verbundenen finanziellen Aufwands oder aufgrund verhängter Bußgelder im Falle einer Non-Compliance. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Pflicht der Geschäftsleiter, die Finanz- und Liquiditätssituation des Unternehmens fortlaufend zu überwachen, besondere Bedeutung. Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit dem Handel von EU-Emissionszertifikaten bzw. aufgrund von Bußgeldern müssen im Rahmen einer Finanzplanung berücksichtigt werden. Stellt sich heraus, dass das Unternehmen aufgrund der bestehenden Zahlungsverpflichtungen möglicherweise in seinem Fortbestand gefährdet ist, haben die Geschäftsleiter rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten; gegebenenfalls ist ein „Notfallplan“ auszuarbeiten, der dem Unternehmen einen geordneten Gang in ein präventives Restrukturierungsverfahren oder ein in Eigenverwaltung geführtes Insolvenzverfahren ermöglicht.