Konfliktberatung, Prozessführung und Schiedsverfahren

Justizstandort-Stärkungsgesetz – Einführung von Commercial Courts und Englisch als Gerichtssprache

Der Bundestag hat am 4. Juli 2024 das Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist es, den Justizstandort Deutschland für (internationale) Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver zu machen, da ein Großteil solcher Streitigkeiten inzwischen vor Schiedsgerichten oder vor ausländischen Gerichten ausgetragen wird. 

Im Gesetzgebungsverfahren wurden Anmerkungen verschiedener Interessengruppen berücksichtigt, u.a. auch die der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS). Die Beratung des Bundesrats über den verabschiedeten Gesetzesentwurf steht noch aus und wird nach der Sommerpause stattfinden.

Das Justizstandort-Stärkungsgesetz ist ein begrüßenswerter erster Schritt zu einem moderneren und interessengerechteren Verfahren vor den deutschen staatlichen Gerichten. Schiedsverfahren bleiben jedoch eine wichtige Alternative zu staatlichen Gerichtsverfahren und sollten nicht als Konkurrenz betrachtet werden. Um den Justizstandort Deutschland für (internationale) Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver zu machen, sollten die Änderungen des Verfahrensrechts zudem durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. 

Im Folgenden stellen wir die vom Bundestag verabschiedeten Neuerungen im Überblick vor:

1. Neuer spezieller Spruchkörper – der „Commercial Court”

Die Bundesländer werden durch § 119b Abs. 1 GVG n.F. ermächtigt, mit den sog. Commercial Courts spezielle Spruchkörper bei den Oberlandesgerichten einzurichten, die erstinstanzlich über bestimmte Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert ab EUR 500.000 entscheiden können. Sachlich zuständig sind die Commercial Courts für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (mit Ausnahme von solchen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts sowie über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen sowie Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats. Die Länder können die Zuständigkeit auf bestimmte Sachgebiete beschränken sowie auf Sachgebiete erstrecken, in denen die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts oder ein sonstiger ausschließlicher Gerichtsstand vorgesehen ist. Haben Länder mehrere Oberlandesgerichte, können sie auch bestimmen, welche davon einen Commercial Court erhalten sollen. In Nordrhein-Westphalen ist beispielsweise Düsseldorf als Standort vorgesehen. Mehrere Länder können auch vereinbaren, einen gemeinsamen Commercial Court einzurichten, der länderübergreifend zuständig ist.

Hiermit wird das wohl wichtigste Ziel des Justizstandort-Stärkungsgesetzes – eine größere Spezialisierung der Gerichte und Konzentration fachlicher Expertise im Bereich von Wirtschaftsstreitigkeiten – umgesetzt. Auch wenn ein vollständiger Verzicht auf die Streitwertgrenze wünschenswert gewesen wäre, ist es begrüßenswert, dass die Streitwertgrenze im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens von EUR 1 Mio. auf EUR 500.000 herabgesetzt wurde. Damit können die Commercial Courts gerade am Anfang die erforderliche Expertise und Erfahrung aufbauen. Nachdem der Zuständigkeitsbereich der Commercial Courts im Referentenentwurf noch auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern beschränkt war, wurde dieser im Laufe des Gesetzgebungsverfahren aufgrund entsprechender Kritik erfreulicherweise weiter gefasst. 

Die Zuständigkeit der Commercial Courts wird nach § 119b Abs. 2 GVG n.F. durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien begründet, wobei auch eine rügelose Einlassung möglich sein soll. 

Soll der Commercial Court erstinstanzlich entscheiden, muss der Kläger dies unter Darlegung der entsprechenden Parteivereinbarung in der Klageschrift beantragen (§ 610 Abs. 2 ZPO n.F.). Fehlt eine Vereinbarung, kann er das Verfahren beim Landgericht anhängig machen und in der Klageschrift die Verweisung an den Commercial Court beantragen. Das Landgericht kann das Verfahren an den Commercial Court verweisen, wenn der Beklagte dem innerhalb der Klageerwiderungsfrist ausdrücklich zustimmt (§ 611 ZPO n.F.).

Im Verfahren selbst gelten die Vorschriften zum landgerichtlichen Verfahren mit Ausnahme der Vorschriften zum Einzelrichter. Das bedeutet, dass der gesamte Senat entscheiden muss (§ 610 Abs. 1 ZPO n.F.), was sicherlich zur Qualität der Entscheidungen beitragen wird.

Entscheiden sich die Parteien trotz sachlicher Zuständigkeit des Commercial Court für ein Verfahren vor dem Landgericht, sollen die Länder dem Commercial Court die Zuständigkeit für die Berufung und Beschwerde gegen die Entscheidung zuweisen können (§ 119b Abs. 4 GVG n.F.). 

Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Commercial Court ist die Revision. Die Revision gegen Urteile im ersten Rechtszug bedarf keiner Zulassung (§ 614 ZPO n.F.). Die damit vorgesehene Verkürzung des Instanzenzugs geht deutlich über das hinaus, was bislang bei den in einigen Bundesländern eingeführten speziellen, teilweise auch als Commercial Court bezeichneten, Kammern für Wirtschaftsstreitigkeiten an den Landgerichten möglich ist.

2. Englisch als Gerichtssprache

Darüber hinaus werden die Länder ermächtigt, bei Rechtsstreitigkeiten in den in § 119b Abs. 1 GVG n.F. genannten Sachgebieten Verfahren in englischer Sprache zu ermöglichen (§ 184a GVG n.F.). Das Gesetz begründet die Möglichkeit einer englischen Verhandlung und Entscheidung an ausgewählten Gerichten, und zwar 

  • den sogenannten „Commercial Chambers“ (d.h. den von den Ländern ausgewählten Kammern der Landgerichte),
  • den für Berufung und Beschwerde gegen Commercial Chamber-Entscheidungen zuständigen Senaten der Oberlandesgerichte und
  • den Commercial Courts.

Voraussetzung ist, dass die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend Englisch als Gerichtssprache vereinbaren oder der Beklagte die Sprachwahl nicht bis zum Ende der Klageerwiderungsfrist rügt. Bei entsprechender Vereinbarung oder fehlendem Widerspruch soll sogar bilingual verhandelt werden können (§ 184a Abs. 3 S. 2 GVG n.F.).

Auch hier wurde der Anwendungsbereich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erweitert und die Beschränkung auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern aufgehoben. Neben den Rechtsstreitigkeiten, die die in § 119b Abs. 1 GVG n.F. genannten Sachgebiete betreffen, sollen nach dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts künftig auch die in § 1062 Abs. 1 ZPO bezeichneten Verfahren in schiedsgerichtlichen Angelegenheiten in englischer Sprache geführt werden können (Beitrag vom 5. Juli 2024).

Die Einleitung eines englischsprachigen Verfahrens erfolgt durch Einreichung einer englischsprachigen Klageschrift, wobei ggf. die Sprachwahl-Vereinbarung dargelegt werden soll (§ 606 ZPO n.F.). Sofern erforderlich, kann in jedem Stadium des Verfahrens ein Dolmetscher oder Übersetzer hinzugezogen werden. Englischsprachige Urkunden müssen nicht übersetzt werden, deutschsprachige nur auf Antrag. 

Die Entscheidung in englischsprachigen Verfahren ergeht ebenfalls grundsätzlich in englischer Sprache. Auf Antrag einer Partei ist eine vollstreckbare gerichtliche Entscheidung in die deutsche Sprache zu übersetzen, wobei die Übersetzung nicht den Tatbestand und die Entscheidungsgründe umfassen muss. Im Falle einer Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidung hat das Gericht die Übersetzung in die deutsche Sprache zu veranlassen und beide Sprachfassungen zu veröffentlichen (§ 608 ZPO n.F.).

Rechtsmittelschriften gegen Entscheidungen in englischsprachigen Verfahren sind ebenfalls grundsätzlich in Englisch einzureichen (§ 609 Abs. 1 ZPO n.F.). Beim Bundesgerichtshof gilt das nur, wenn das vorangegangene Berufungs- oder Beschwerdeverfahren in englischer Sprache geführt wurde, der Rechtmittelführer das Führen des Verfahrens in englischer Sprache beantragt hat und der Bundesgerichtshof dem Antrag stattgegeben hat (§ 609 Abs. 2 ZPO n.F.).

Die Möglichkeit, das Gerichtsverfahren vollständig in englischer Sprache zu führen, ist als Signal für eine Internationalisierung der staatlichen Justiz zu begrüßen. Allerdings erscheint die Einführung von Englisch als Gerichtssprache von untergeordneter praktischer Relevanz. Dass der Bedarf hierfür in der Praxis nicht sehr groß sein dürfte, zeigt sich u.a. daran, dass bei den entsprechend eingerichteten Kammern am Landgericht Stuttgart, Mannheim oder Frankfurt bislang kaum Verfahren in englischer Sprache geführt wurden. Das Verfahren darf ohnehin nur von in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten geführt werden. Da zudem die englische Rechtssprache durch das englische bzw. amerikanische Recht geprägt ist, werden sich bei der Führung eines deutschen Gerichtsverfahrens in englischer Sprache zwangsläufig Ungenauigkeiten ergeben, die zu einem Verlust an Qualität führen können. Dagegen sollte es im Regelfall selbstverständlich sein, dass das Gericht englische Urkunden verstehen kann und auch einen Parteivertreter oder Zeugen ohne Dolmetscher auf Englisch anhören kann.

3. Verfahrensneuerungen

Schließlich sieht das Justizstandort-Stärkungsgesetz weitere Änderungen des Verfahrensrechts vor, die sich vor allem an der bewährten Praxis in Schiedsverfahren orientieren.

Vor dem Commercial Court: Organisationstermin und Wortprotokoll

Nach dem Vorbild einer Case-Management-Konferenz im Schiedsverfahren soll der Commercial Court im ersten Rechtszug und die Commercial Chamber mit den Parteien so früh wie möglich in einem Organisationstermin die Organisation und den Ablauf des Verfahrens klären (§ 612 ZPO n.F.). Nach § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO war den Gerichten ein entsprechendes Vorgehen bereits vorher möglich, mit § 612 ZPO n.F. soll es für den Commercial Court jedoch verpflichtend werden. Dies ermöglicht sowohl dem Gericht als auch den Parteien eine effiziente Verfahrensführung und ggf. frühzeitige Weichenstellungen für das Verfahren. 

Darüber hinaus wird auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Protokoll als live mitlesbares oder einfaches Wortlautprotokoll geführt (§ 613 ZPO n.F.). 

Vor allen Gerichten: Geheimhaltung

Zudem enthält das Gesetz eine Regelung zum Geheimnisschutz, die alle Gerichte (d.h. nicht nur Commercial Courts oder andere englischsprachige Spruchkörper) betrifft. 

Gemäß § 273a ZPO n.F. werden alle Spruchkörper in die Lage versetzt, auf Antrag Geschäftsgeheimnisse als geheimhaltungsbedürftig einzustufen. In der Folge gelten die §§ 16 bis 20 des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes entsprechend. Wie in Geschäftsgeheimnisstreitsachen trifft dann sämtliche Verfahrensbeteiligte ab Anhängigkeit der Klage die Pflicht, als geheimhaltungs-bedürftig eingestufte Informationen vertraulich zu behandeln und außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nicht zu nutzen oder offenzulegen, sofern sie nicht auch außerhalb des Verfahrens Kenntnis von ihnen erlangt haben. Diese Pflicht gilt grundsätzlich auch nach dem Verfahren fort. 

Bei Zuwiderhandlung kann das Gericht ein Ordnungsgeld bis zu EUR 100.000 oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festsetzen und sofort vollstrecken. Daneben ist es dem Gericht möglich, auf Antrag den Zugang zu Verfahrensunterlagen und -informationen auf eine bestimmte Anzahl von zuverlässigen Personen zu beschränken und im Übrigen, insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung, die Öffentlichkeit auszuschließen.

4. Fazit

Mit Inkrafttreten des Justizstandort-Stärkungsgesetzes könnte die Attraktivität der staatlichen Gerichte für Wirtschaftsstreitigkeiten steigen. Den Bundesländern werden durch den Bundesgesetzgeber erstmalig flexible und bedarfsgerechte Optionen an die Hand gegeben. Nun wird es maßgeblich darauf ankommen, ob und ggf. wie die einzelnen Bundesländer von den neu entstandenen Möglichkeiten Gebrauch machen werden. Zu begrüßen wäre es vor allem, wenn die Bundesländer sich hinsichtlich der Einrichtung von Commercial Courts umfassend abstimmen würden. Denn es wäre beispielsweise sinnvoll, wenn es nur wenige Commercial Courts pro Spezialgebiet mit länderübergreifender Zuständigkeit geben würde, damit diese eine möglichst hohe Spezialisierung und entsprechende Reputation entwickeln können. Ob dies angesichts der Verteilung der Zuständigkeit auf die Bundesländer realistisch ist, bleibt abzuwarten.

Um den Justizstandort Deutschland auch für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver zu machen, ist zudem nicht allein das Verfahrensrecht in den Blick zu nehmen, sondern auch das materielle Recht. Insbesondere die AGB-Kontrolle im Rechtsverkehr zwischen Unternehmen ist wohl ebenfalls ein wesentlicher Grund, warum Parteien sich gegen die Wahl deutschen materiellen Rechts und als Folge gegen einen deutschen Gerichtsstand entscheiden. Hier sollte der Gesetzgeber im nächsten Schritt ansetzen, um den Deutschland als Rechts- und damit als Wirtschaftsstandort international zu stärken.

Weiterleiten