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Hohe Energiepreise belasten die Wirtschaft und die Verbraucher in der Union stark. Den so entstehenden Risiken von Abwanderung bedeutsamer Industrien, Deindustrialisierung und Energiearmut möchte die Europäische Kommission mit ihrem Action Plan for Affordable Energy (deutsch: Aktionsplan für bezahlbare Energie) und dem Clean Industrial Deal (deutsch: Grüner Industrieplan), jeweils mit Veröffentlichungsdatum 26. Februar 2025, begegnen.
Durch günstigere Energie soll der Abstand zu den Strompreisen der Hauptwettbewerber der EU verringert und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts gesichert werden. Die vier Säulen des Plans haben zum Ziel, Energiepreise bereits kurzfristig zu senken, Strukturreformen und Dekarbonisierung voranzutreiben und Energiesysteme zu stärken. Preisschocks sollen in der Zukunft so abgefedert werden. Insgesamt bezweckt der Aktionsplan, den Weg für die Umsetzung des Clean Industrial Deal zu ebnen.
I. Gründe für hohe Energiepreise in der EU
Der Aktionsplan identifiziert drei Hauptfaktoren für die hohen Energiekosten in der EU, namentlich Abhängigkeiten, Ineffizienzen und steigende Systemkosten. Die EU ist von Importen fossiler Energie abhängig, die 90 % dieses Energiebedarfs decken, was eine höhere Preisvolatilität und hohe Lieferkosten bedeutet. Gleichzeitig wird der europäische Energiemarkt dadurch vulnerabler gegenüber äußerem Druck, was sich deutlich in der Ukrainekrise gezeigt hat. Ineffizienzen und die fehlende vollständige Integration des europäischen Stromnetzes sollen laut des Aktionsplans durch Verbesserung der Netzinfrastruktur, Verbundnetze und Integration der Energiesysteme und Systemflexibilität sowie kürzere Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien und Netzprojekte beseitigt werden. Steigende Systemkosten wirken sich als dritter Faktor über Netzentgelte, Steuern und Abgaben direkt auf hohe Energiekosten aus.
II. Vier Säulen des Aktionsplans
Der Aktionsplan benennt vier Säulen, um das Ziel günstigerer Energie zu erreichen: Die Senkung von Energiekosten, Vervollständigung der Energieunion, Vorbereitung auf Energiekrisen und Attraktivitätssteigerung für Investitionen.
1. Senkung der Energiekosten
Der Plan legt für die erste Säule zur Senkung von Energiekosten vier Maßnahmen fest, die Energie in der EU erschwinglicher machen sollen:
Durch effiziente Netzentgelte, die Anreize für höhere Systemeffizienz und die Nutzung von kostengünstigerem, sauberen Strom bieten, sollen die Kosten für den Betrieb des gesamten Netzes dem Aktionsplan nach rasch gesenkt werden. Zudem soll der Bedarf an Netzinvestitionen verringert werden und im Ergebnis der Anteil der Netzentgelte an den Energiepreisen sinken. Dafür wird die Kommission eine Tarifierungsmethode für Netzentgelte vorschlagen, die Anreize für Investition ins Netz und die Nutzung von Flexibilität schafft und gleiche Wettbewerbsbedingungen aufrechterhält. Gegebenenfalls soll hierfür ein Legislativvorschlag unterbreitet werden und/oder die Staaten über Beihilfen mit ihren Staatshaushalten dazu beitragen.
Weiterhin soll die vorgeschlagene Überarbeitung der Energiebesteuerungsrichtlinie (Richtlinie 2003/96/EG) abgeschlossen werden, um die Besteuerung von Energieerzeugnissen mit der Energie- und Klimapolitik der Union abzustimmen. Einige Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze für die Verwendung fossiler Brennstoffe sollen abgeschafft werden. Solche sind beispielsweise in Deutschland im Luft- und Seeverkehr nach § 52 EnergieStG möglich, aber auch im Bereich der Nutzung fossiler Brennstoffe in energieintensiven Industrien nach §§ 54, 55 EnergieStG.
Die Mitgliedstaaten sollen gleichzeitig von den in der Energiebesteuerungsrichtlinie vorgesehenen Steuersenkungsmöglichkeiten für Strom – insbesondere für energieintensive Industrien – Gebrauch machen. Elektrizität soll dadurch deutlich günstiger werden als fossile Energiequellen. In Deutschland wurden bereits mit § 9b StromStG Entlastungen bei der Stromsteuer umgesetzt und 2024 deutlich erweitert.
Die Kommission will darüber hinaus Leitlinien entwickeln, wie Mitgliedstaaten Markthindernisse beseitigen können, die es Verbrauchern erschweren, den Energieversorger zu wechseln und Kosten einzusparen. Die Förderung von Energiegemeinschaften soll Verbrauchern und Gemeinden ermöglichen, erneuerbare Energien zu ihren eigenen Bedingungen zu erzeugen, zu nutzen und zu verkaufen.
Die zweite Maßnahme zielt auf die Senkung der Versorgungskosten. Langfristige Verträge zwischen Versorgern und Abnehmern sollen Verbrauchern und Unternehmen ermöglichen, über lange Zeiträume von günstigen Konditionen zu profitieren. Hierzu soll ein Pilotprojekt für Stromabnahmeverträge entwickelt werden und es sollen bspw. Leitlinien geschaffen werden, um die Kombination von Power Purchase Agreements (PPAs) und Differenzverträgen (CfDs) zu ermöglichen.
Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien sollen deutlich verkürzt werden, wofür dem Aktionsplan zufolge eine Aufstockung personeller und finanzieller Ressourcen bei den Genehmigungsbehörden notwendig ist. Die Kommission will dies zudem durch Leitlinien über innovative Nutzungsformen erneuerbarer Energien sowie von Netzen und Speichern unterstützen. Hierfür sollen auch Legislativvorschläge erfolgen, für die u.a. eine Verkürzung der UVP-Fristen geprüft werden soll. Auch die Straffung von Genehmigungsverfahren für Nukleartechnologien soll evaluiert werden. Die Maßnahme soll sich bspw. auf Genehmigungsdauern von unter 6 Monaten für einfachere Projekte in Beschleunigungsgebieten für erneuerbare Energien oder unter 2 Jahre für komplexe Projekte wie Offshore-Windkraftanlagen in Beschleunigungsgebieten für erneuerbare Energien auswirken.
Die Kommission will außerdem ein Europäisches Netzpaket vorlegen, um den Ausbau, die Modernisierung und die Digitalisierung der Netze voranzutreiben.
Durch den vermehrten Einsatz von Speichern und Nachfragesteuerung soll zudem die Systemflexibilität erhöht werden. Verbesserte Rechtsvorschriften für die Nachfragesteuerung sollen sicherstellen, dass die Flexibilität für Verbraucher finanziell vorteilhaft ist. Verbraucher können z.B. weiter animiert werden, günstigen Strom zu Zeiten zu nutzen, in denen die Nachfrage nach Strom geringer ist. Das erfordert eine verbesserte Implementierung und Umsetzung von Mechanismen, die in der Strombinnenmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/944) vorgesehen sind; beispielsweise dynamische Stromverträge oder die Nutzung intelligenter Messsysteme (sog. Smart Meter). In Deutschland sind diese Vorgaben in § 41a EnWG und § 21 Abs. 1 MsbG verankert.
- Als dritte Maßnahme sollen die Gasmärkte verbessert werden, um faire Preise und dadurch Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Hierfür sieht der Aktionsplan die Einrichtung einer Taskforce vor, um EU-Erdgasmärkte umfassend zu prüfen und sofern erforderlich, Maßnahmen gegen Marktmissbrauch zu treffen. Die Kaufkraft der EU soll zudem genutzt werden, um bessere Konditionen für importiertes Erdgas zu erzielen, wofür die Kommission u.a. die Bündelung der Nachfrage von EU-Unternehmern erreichen will, und auf LNG-Lieferanten zugehen wird.
Die vierte Maßnahme betrifft Energieeffizienz. Durch die Vereinfachung von Zugang zu Kapital und finanzielle Anreize wie einem Garantiesystem sollen Marktakteure unterstützt werden, Energieeffizienzlösungen für Unternehmen anzubieten. Auch Verbrauchern soll vereinfachter Zugang zu effizienteren Geräten und Produkten mit längerer Lebensdauer ermöglicht werden. In diesem Zusammenhang sollen Vorschriften über Energiekennzeichnung und das Ökodesign angepasst werden, um den Verlust von Einsparungen durch nicht-konforme Produkte zu begegnen.
2. Vervollständigung der Energieunion
Die vollständige Integration der Energieunion und die Erreichung der Verbundziele will die Kommission u.a. mithilfe eines „White Paper“, welches unverbindliche Vorschläge für Maßnahmen der EU für bestimmte Bereiche enthält, über eine vertiefte Integration des Elektrizitätsmarkts, einer Task-Force „Energieunion“ und einer Governance-Verordnung hierfür sowie einer Investitionsstrategie für saubere Energie vorantreiben.
3. Attraktivitätssteigerung für Investitionen
Als dritte Säule sieht der Aktionsplan einen dreiseitigen Vertrag für bezahlbare Energie zwischen dem öffentlichen Sektor (inkl. Finanzinstituten), Erzeugern sauberer Energie und der energieverbrauchenden Industrie vor. Durch diesen soll ein günstiges Investitionsklima für den Energiesektor geschaffen werden. Ziel ist, Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit für Energieerzeuger zu bieten, in dem diesen sichere Abnehmer zur Verfügung stehen, sowie zugleich die Attraktivität für die Energieabnehmer zu steigern, indem diese finanziell von einer stabilen Energieversorgung profitieren können.
Dem Energiesektor soll über die den dreiseitigen Vertrag flankierende Unterstützung durch die Kommission, die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Mitgliedstaaten ermöglicht werden, Investitionen zu tätigen und zu wachsen. Hiervon sollen auch Verträge für einzelne Branchen – beispielsweise in den Bereichen Wasserstoff, Batterien, synthetische Brennstoffe, Offshore-Windkraft, Solarenergie und Netze – erfasst sein. Solche sektoralen Verträge können zwischen der öffentlichen Hand und Wirtschaftsakteuren des jeweiligen Sektors geschlossen werden, um Investitionen, den Marktzugang und technische Entwicklungen spezifisch in diesen Sektoren zu fördern. Durch die Schaffung von Nachfragesicherheit sollen zudem Anreize für die Hersteller in den relevanten Lieferketten entstehen, in neue Produktionskapazitäten zu investieren und dadurch niedrigere Preise anbieten zu können. Für die energieintensive Industrie soll durch den Vertrag eine langfristige Transparenz über die Energieversorgung und die Energiepreise geschaffen werden, die ebenfalls zu Investitionen in Produktionsprozesse, beispielsweise in deren Elektrifizierung, führen sollen.
4. Vorbereitung auf Energiekrisen
Mit Legislativvorschlägen für eine Überarbeitung des EU-Rechtsrahmens für die Energieversorgungssicherheit will die Kommission zu verbesserter Verfügbarkeit von Energie zu jeder Zeit beitragen und Versorgungsstresszeiten besser abfedern. Die Energienachfrage zu Spitzennachfragezeiten soll in diesem Zusammenhang gesenkt werden und der grenzüberschreitende Stromhandel in Krisenzeiten maximiert werden, um lokale Preisspitzen abzufedern.
III. Ausblick
Der Aktionsplan der Kommission soll offiziell am 26. Februar 2025 veröffentlicht werden und enthält voraussichtlich auf mehreren Ebenen Maßnahmen, um Energiekosten sowohl kurz- als auch langfristig für Unternehmen und Verbraucher zu senken. Das umfasst auch Legislativvorhaben in verschiedenen Bereichen, weshalb eine höhere Regulierungsdichte im Bereich des Energierechts im weitesten Sinne zu erwarten ist. Ob sich die beabsichtigten Erleichterungen für Energieerzeuger und Preissenkungen für die Wirtschaft und die Verbraucher einstellen werden und wie die Pläne der Europäischen Kommission konkret umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
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