Patentrecht

EPG-Report 02|25

Rechtsprechung des Einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court)

Das Einheitliche Patentgericht (EPG) hat sich rasch als beliebter Gerichtsstand in Europa etabliert. Der EPG-Report von Gleiss Lutz berichtet regelmäßig über diejenige EPG-Rechtsprechung, die für die Herausbildung des neuen einheitlichen Patentrechts und Patentprozessrechts in Europa am bedeutsamsten ist.

Das EPG hat seinen ersten Jahresbericht veröffentlicht, dessen Statistiken bestätigen, dass das EPG eine Erfolgsstory ist, und der für 2025 ein verbessertes CMS ankündigt. Im Berichtszeitraum hat die 2. Kammer des Berufungsgerichts einmal mehr für Furore gesorgt. 

Unser EPG-Report 02|25 behandelt folgende Themen:

Zuständigkeit des EPG auch für die Zeit vor Inkrafttreten des EPGÜ

Die Lokalkammer München hat klargestellt, dass die Zuständigkeit des EPG den gesamten mit einer Verletzungsklage geltend gemachten Zeitraum umfasst, also auch Benutzungshandlungen vor dem Inkrafttreten des EPGÜ und vor dem Rücktritt von einem etwaig erklärten Opt-Out (Anordnung vom 10. Februar 2025 – UPC_CFI_342/2024). Die Zuständigkeit des EPG lebe mit Rücknahme eines Opt-Out wieder auf und reiche dann zeitlich unbeschränkt in die Vergangenheit zurück, Art. 32 Abs. 1 a) EPGÜ, Art. 2g), Art. 3c) EPGÜ. Die Lokalkammer lässt ausdrücklich offen, welches Recht auf Sachverhalte anzuwenden ist, die vor dem Inkrafttreten des EPGÜ bzw. während des Zeitraums des Opt-outs stattgefunden haben. Zuständigkeit des EPG und vom EPG anzuwendendes Recht seien verschiedene Aspekte, die getrennt voneinander zu beurteilen seien (wenn in der Sache, und nicht nur – wie hier – über den Einspruch entschieden wird).

 

Umfassende Auskunft auch im einstweiligen Rechtsschutz

Das Berufungsgericht hat entschieden, dass das EPG auch im einstweiligen Rechtsschutz die Erteilung von Auskünften nach Art. 67 EPGÜ anordnen kann, vorausgesetzt, der Antragsteller hat ein dringendes Interesse an der Auskunft und die Anordnung der Auskunftserteilung ist verhältnismäßig (Anordnung vom 14. Februar 2025 – UPC_CoA_382/2024).

Das dringende Interesse und die Verhältnismäßigkeit bejaht das Berufungsgericht in Bezug auf Auskünfte zu (i) Ursprung und Vertriebswegen der verletzenden Erzeugnisse, (ii) den Mengen der gelieferten, erhaltenen und bestellten verletzenden Erzeugnisse und (iii) der Identität aller an der Herstellung oder dem Vertrieb der verletzenden Erzeugnisse beteiligten dritten Personen, weil der Antragsteller ein Interesse habe, weitere Patentverletzungen zu verhindern. Dieses Interesse dürfte bei jedem Antragsteller vorliegen; eine weitergehende Substantiierung verlangt das Berufungsgericht nicht. Für die Mitteilung von Preisinformationen zu den verletzenden Produkten bestehe hingegen kein dringendes Interesse, weil diese Informationen nur für die Berechnung des Schadensersatzes im Hauptsacheverfahren von Relevanz seien.

Nach deutscher Rechtstradition ist der Auskunftsanspruch nur unter besonderen Umständen im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbar, nämlich im Falle einer offensichtlichen Rechtsverletzung (§ 140b Abs. 7 PatG). Das hat einen guten Grund. Eine Auskunftserteilung kann – wenn sie einmal erfolgt ist – nicht mehr rückgängig gemacht und auch monetär kaum kompensiert werden. Im summarischen Verfahren, das nur auf eine einstweilige Regelung gerichtet ist, ist Vorsicht geboten bei der Anordnung von Maßnahmen mit endgültigem Charakter (Stichwort: Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Das Berufungsgericht geht auf diese Problematik nicht ein.

 

Auslegung von Funktionsangaben

Das Berufungsgericht hat die Auslegungsgrundsätze, die das Berufungsgericht in der Entscheidung NanoString/10x Genomics vom 26. Februar 2024 (UPC_CoA_335/2023) aufgestellt hat, bestätigt (Anordnung vom 14. Februar 2025 – UPC_CoA_382/2024). Zugleich gibt das Berufungsgericht Hinweise zur Auslegung von Funktionsangaben:

Es gelte der allgemeine Auslegungsgrundsatz, dass „means-plus-function“-Merkmale („means for…“) so zu verstehen seien, dass jedes Mittel umfasst sei, das geeignet ist, die Funktion des Merkmals zu erfüllen. Im entschiedenen Fall ging es um ein „Basisteil“, das „dafür konfiguriert“ sein sollte, „durch ein Klebepflaster auf die Hautoberfläche […] geklebt zu werden“ („a base portion configured to be adhered to the skin surface […] by an adhesive patch“). Das Berufungsgericht interpretierte das Merkmal als „means-plus-function“ und meinte, der Begriff „configured to“ sei im Sinne eines bloßen „suitable for“ und nicht im Sinne des engeren „adapted for“ auszulegen. Die Abgrenzung wird vom Berufungsgericht nicht weiter erläutert. Das Berufungsgericht scheint jedes Mittel genügen lassen, das geeignet ist, die spezifizierte Funktion zu erfüllen. Eine besondere Anpassung des Mittels im Hinblick auf die funktionale Eignung scheint das Berufungsgericht nicht für erforderlich zu halten. Denn die Beklagte hatte auf die Prüfungsrichtlinien des EPA hingewiesen, nach denen bei computer-implementierten Erfindungen die Formulierung „means for…“ im Sinne eines „adapted to…“ auszulegen ist, was so zu verstehen ist, dass ein Mittel nicht nur geeignet ist, die Funktionen zu erfüllen, sondern eigens dafür konzipiert wurde (T 410/96).

 

Androhung drakonischer Zwangsgelder durch das Berufungsgericht

Das Berufungsgericht hat dem Antragsgegner in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Zwangsgeld von „EUR 10.000 für jeden Fall der Verletzung oder Nichtbeachtung der Anordnung(en), plus EUR 100.000 für jeden Tag […], den die Verletzung oder Nichtbeachtung andauert“ angedroht (Anordnung vom 14. Februar 2025 – UPC_CoA_382/2024). Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert:

Zum einen bezieht sich die Zwangsgeldandrohung auch auf die etwaige Nichtbeachtung der Pflicht zur Erteilung von Auskünften (u.a. zur Identität aller an der Herstellung oder dem Vertrieb der verletzenden Erzeugnisse beteiligten dritten Personen) und die Vorlage einer „angemessene Dokumentation“ („appropriate documentation“) zu diesen Auskünften. Die undifferenzierte Zwangsgeldandrohung hat zur Folge, dass der Auskunftsschuldner für jeden Tag der Nichtbeachtung der Pflicht zur Auskunftserteilung – sei es, weil die Identität einer an dem Vertrieb beteiligten Person fahrlässig nicht mitgeteilt wird, sei es, weil das Gericht nach weiteren Monaten des Rechtsstreits feststellt, dass die Dokumentation nicht „angemessen“ („appropriate“) war – EUR 100,000 wird zahlen müssen. Dem Auskunftsschuldner drohen also drakonischen Strafen für minimale Verfehlungen.

Zum anderen führt das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen aus, dass nur die Androhung eines Zwangsgeldes von EUR 10.000 für jedes Produkt, welches die Anordnung verletzt, oder (also alternativ) nach Wahl des Antragstellers, EUR 100.000 für jeden Tag, den die Verletzung andauert, angemessen sei. Der Tenor, der die EUR 100.000 pro Tag explizit zusätzlich anordnet – und zwar auch in Bezug auf die Nichtbefolgung der Auskunftspflicht –, ist von den Urteilsgründen nicht getragen. Diese Entscheidung bestätigt den sich verdichtenden Eindruck, dass die zweite Kammer des EPG-Berufungsgerichts eher zum Säbel als zum Florett greift.
 

Kostendeckelung bei mehreren Parteien

Die Nordisch-Baltische Regionalkammer ist der Ansicht, dass die erstattungsfähigen Kosten der Vertretung im Fall von Beklagten- oder Klägermehrheiten für alle Beklagten bzw. für alle Kläger auf die jeweilige Obergrenze insgesamt beschränkt sind (Entscheidung vom 17. Februar 2025 – UPC_CFI_527/2024; zu den Obergrenzen s. Anhang zum Beschluss des Verwaltungsrats vom 24. April 2023): Für die Klägerseite „lohnt“ es sich also, mehrere Beklagte in einem Verfahren in Anspruch zu nehmen. Es bleibt abzuwarten, ob das Berufungsgericht diese Auffassung bestätigen wird, die prinzipiell zu einer Benachteiligung der Beklagtenseite führen kann.

 

Unzulässige Erweiterung – nicht der „Goldstandard“ des EPA

Das Berufungsgericht scheint in Bezug auf die Frage der unzulässigen Erweiterung einen großzügigeren Maßstab anzulegen als die Beschwerdekammern des EPA. Zum Offenbarungsgehalt zähle nicht nur, was die Fachperson zum Prioritätszeitpunkt mit ihrem allgemeinen Fachwissen der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen in der eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig ableiten würde, sondern auch implizit offenbarte Gegenstände, d.h. „Gegenstände, die eine klare und eindeutige Konsequenz dessen sind, was ausdrücklich genannt ist“ (Anordnung vom 14. Februar 2025 – UPC_CoA_382/2024). Bei Anwendung dieses wenig präzise formulierten Maßstabs verneinte das Berufungsgericht die von der Lokalkammer angenommene unzulässige Zwischenverallgemeinerung, obwohl es ebenso wie die Lokalkammer das Vorhandensein des weggelassenen Teilmerkmals – eine Versiegung der Kontakte – als erfindungswesentlich ansah und nur die in der Offenbarungsstelle erwähnte Art und Weise der Versiegelung (ein elastomeres oder elastisches Material) nicht als erfindungswesentlich erachtete. Im Hinblick auf die Umstände des beurteilten Falls spricht dieses Ergebnis dafür, dass das Berufungsgericht den “Goldstandard” des EPA eher nicht anzuwenden scheint. Sollte sich die großzügige Handhabung der unzulässigen Erweiterung durch das EPG-Berufungsgericht bestätigen, ist dies zukünftig bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Einspruch gegen ein Europäisches Patent eingelegt werden soll.

 

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