Energie & Infrastruktur

Energiepreiskrise – Überblick über aktuelle Streitigkeiten

Eine Kombination verschiedener Faktoren ließ seit 2022 eine besonders konfliktgeneigte Lage im Energiesektor erwarten, insbesondere der Preisverfall infolge der Corona-Pandemie und der darauffolgende Engpass in der Öl- und Gasversorgung aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Vor diesem Hintergrund prognostizierten viele einen deutlichen Anstieg gerichtlicher Preisanpassungsstreitigkeiten. Diese Erwartung hat sich bislang jedenfalls unter Zugrundelegung veröffentlichter Gerichtsentscheidungen nicht erfüllt.

Einfluss gestiegener Energiekosten auf bestehende Vertragsverhältnisse

Es gibt bislang nur wenige veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, die sich mit der einseitigen Anpassung oder Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (§§ 313, 314 BGB) wegen erhöhter Energiekosten befassen. Diesen Entscheidungen ist unabhängig vom konkreten Vertragstyp gemein, dass sie einseitige Preisanpassungen oder Kündigungen ablehnen.

Haben die Parteien einen Energielieferungsvertrag mit einer Mindestvertragslaufzeit und einer Preisgarantie geschlossen, berechtigen gestiegene Beschaffungskosten den Energieversorger grundsätzlich nicht zu einer außerordentlichen Kündigung des Vertrags. Die gestiegenen Beschaffungskosten liegen im Risikobereich des Energieversorgers. Soweit sich ein Risiko verwirklicht, das nach der vertraglichen Risikoverteilung von der die Kündigung begehrenden Partei zu tragen ist, kommt eine Kündigung nach §§ 313 Abs. 3, 314 BGB nicht in Betracht. Das gilt auch hinsichtlich des Beschaffungsrisikos des Energieversorgers. So entschied das Landgericht Offenburg in einem Rechtsstreit zwischen einem kunststoffverarbeitenden Betrieb und einem Energieversorger, dass der Energieversorger den Energieliefervertrag mit seinem gewerblichen Kunden trotz erheblich gestiegener Energiepreise fortsetzen müsse. Die Parteien hatten einen Energielieferungsvertrag mit einer Mindestlaufzeit von 24 Monaten und einer Preisgarantie für den bezogenen Strom geschlossen. Das Gericht lehnte ein außerordentliches Kündigungsrecht des Energieversorgers ab, da die gestiegenen Beschaffungskosten in dessen Risikobereich lägen (LG Offenburg, Beschluss v. 26. September 2022 – 5 O 19/22 KfH). 

Auch das Landgericht Düsseldorf entschied, dass die Kündigung von Stromlieferverträgen durch einen Energieversorger aufgrund gestiegener Energiepreise unwirksam sei. Das klagende Energieversorgungsunternehmen verlangte von dem beklagten „Energie-Discounter“ Aufwendungsersatz für die an bestimmte Kunden des Beklagten als Ersatzversorger gelieferten Strommengen. Vorab hatte der Beklagte die Stromlieferverträge mit ihren Letztverbrauchern wegen einer „nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen außerordentlich gekündigt. Das Gericht stellte fest, die fristlosen Kündigungen des Beklagten seien nicht gerechtfertigt gewesen, da die Preissteigerungen in seinem Risikobereich lägen. Da der Beklagte somit weiterhin zur Belieferung ihrer Kunden verpflichtet gewesen sei, habe die Klägerin mit der Ersatzversorgung jedenfalls auch ein Geschäft des Beklagten erbracht. Das Gericht wies die Klage dennoch ab, da die Klägerin ihren Aufwendungsersatzanspruch (§§ 670, 683, 679 BGB) der Höhe nach nicht schlüssig dargelegt habe (LG Düsseldorf, Urteil v. 1. März 2023 – 14d O 3/22).

Ebenfalls unwirksam sind einseitige Preisanpassungen, die während der Laufzeit einer Preisgarantie vorgenommen werden. Auf eine Störung der Geschäftsgrundlage kann sich der Energieversorger jedenfalls dann nicht berufen, wenn sich – wie üblicherweise – gerade das ihn treffende Beschaffungsrisiko verwirklicht. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Risiken einer Vertragsstörung anlässlich der Strom- und Gaskrise erkannt und spezialgesetzlich geregelt hat. Spezielle Gesetzesänderungen im Energierecht lassen nach Auffassung der bisherigen Rechtsprechung insgesamt den gesetzgeberischen Willen erkennen, den Versorgungsunternehmen bei Preissteigerungen im Gas- und Strommarkt nur unter bestimmten engen Voraussetzungen ein einseitiges Preisanpassungsrecht zu gewähren. Insbesondere durch die Einführung eines Preisänderungsrechts zugunsten des Versorgungsunternehmens in § 24 EnSiG sei deutlich geworden, dass Preisanpassungen nur für den Gasmarkt, jedoch nicht für den Strommarkt, und im Übrigen auch nur in einem durch die Bundesnetzagentur festzustellenden Krisennotfall in Betracht kommen. Jenseits dessen scheide ein Rückgriff auf § 313 BGB in der Regel aus. So entschied etwa das OLG Düsseldorf in einer Auseinandersetzung zwischen einem Verbraucherschutzverein und einem Energieversorgungsunternehmen (OLG Düsseldorf, Urteil v. 23. März 2023 – I-20 U 318/22). In einem vom AG München ebenfalls so entschiedenen Fall hatten die Parteien einen Energielieferungsvertrag mit einer Preisgarantie für den bezogenen Strom geschlossen. Einer Preisanpassung müsse der Verbraucher nicht zustimmen. Das Gericht verurteilte daher das beklagte Energieversorgungsunternehmen zur Rückzahlung des bereits eingezogenen Mehrbetrags (AG München, Urteil v. 27. Oktober 2023 – 173 C 13388/23).

Die wirtschaftlichen Folgen von Kriegen, Krisen und Katastrophen, die das Vermögen einer Partei betreffen (z.B. angestiegene Rohstoffpreise und Energiekosten infolge des Ukraine-Kriegs), berechtigen nach Auffassung der Gerichte auch im Rahmen anderer Vertragsverhältnisse grundsätzlich nicht zu einseitigen Anpassungen. Das LG Köln entschied einen Fall, in dem sich die Parteien eines Gewerbemietvertrags über eine Mietanpassung stritten. Die Klägerin vermietete der Beklagten Gewerbeflächen, die diese als Bäckereibetrieb nutzte. Aufgrund erheblicher Umsatzrückgänge sowie angestiegener Rohstoffpreise und Energiekosten infolge des Ukrainekriegs reduzierte die Beklagte die Nettokaltmiete einseitig. Das Gericht war der Auffassung, die Risiken der Gewinnerwartung lägen typischerweise beim Mieter, sodass eine Anpassung der Miete daher nicht gerechtfertigt sei (LG Köln, Urteil v. 16. April 2024 – 14 O 89/23).

Fortentwicklung der Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln 

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser restriktiven Rechtsprechung sind in der Energielieferpraxis Preisanpassungsklauseln von zentraler Bedeutung, da sie es Energieversorgungsunternehmen gesichert ermöglichen, auf Kostenänderungen zu reagieren und eigene Beschaffungsrisken zu reduzieren. Im Bereich der Fernwärmeversorgung sind dabei die Regelungen der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) zu beachten, sofern ein Fernwärmeversorgungsunternehmen für den Anschluss an die Fernwärmeversorgung und die Versorgung mit Fernwärme Vertragsmuster oder Vertragsbedingungen verwendet, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind (etwa BGH, Urteil v. 19. Juli 2017 - VIII ZR 268/15). Die Novelle der AVBFernwärmeV, deren Entwurf das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Juli 2024 vorgestellt hat, sah grundlegende Anpassungen der Regeln für Preisänderungsklauseln vor. Das Novellierungsverfahren ist durch den Bruch der Ampel-Koalition gescheitert. Die Preisanpassungsklauseln sind daher auch in Zukunft an den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV zu messen. 

Hiernach müssen Preisanpassungsklauseln sowohl die Kostenentwicklung bei der Erzeugung und Bereitstellung von Fernwärme als auch die Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen. Dem Fernversorgungsunternehmen wird zwar bei der Formulierung ein gewisser Gestaltungsspielraum zugestanden. Ein zentrales Thema in der Rechtsprechung bleibt aber in diesem Zusammenhang das Transparenzgebot: Dieses bestimmt, dass in einer Preisanpassungsklausel die maßgeblichen Berechnungsfaktoren vollständig und in verständlicher Form ausgewiesen werden müssen. Diese Regelung verlangt nach der Rechtsprechung, dass der Kunde den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerungen aus der Formulierung der Klausel erkennen und die Berechtigung einer vom Klauselverwender vorgenommenen Erhöhung an der zu Preisänderungen ermächtigenden Klausel selbst messen kann (BGH, Urteil v. 27. September 2023 – VIII ZR 263/22).

Stützt das Energieversorgungsunternehmen Preiserhöhungen auf eine Preisanpassungsklausel, die den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV nicht entspricht, steht dem Verbraucher ein Rückforderungsanspruch zu. Nach der bereits seit einigen Jahren geltenden sog. Dreijahreslösung des BGH kann der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nur geltend machen, wenn er sie innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (BGH, Urteil v. 24. September 2014 - VIII ZR 350/13). Jüngst hat der BGH diese Dreijahreslösung fortentwickelt. Ein vom Kunden erklärter (frühzeitiger) Widerspruch, der nicht innerhalb eines Zeitraums von (weiteren) drei Jahren zu einer Änderung der Preisgestaltung führt und aus dem auch der Kunde innerhalb dieses Zeitraums keine Rechte gegenüber dem Versorger herleitet, verliert seine Wirkung (BGH, Urteil v. 25. September 2024 – VIII ZR 165/21).

Im Jahr 2022 hat sich der BGH mit der Frage der einseitigen Änderungen von Preisanpassungsklauseln im Bereich der Fernwärmeversorgung befasst. Um den mit § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV verfolgten Regelungszweck zu verwirklichen, sei das Fernwärmversorgungsunternehmen berechtigt und – soweit das Kundeninteresse dies erfordert – verpflichtet, eine Preisänderungsklausel auch während eines laufenden Versorgungsverhältnisses einseitig mit Wirkung für die Zukunft anzupassen, wenn und soweit dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass diese nunmehr oder weiterhin den Anforderungen des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV entspricht (BGH, Urteil v. 26. Januar 2022 – VIII ZR 175/19).

Fazit 

Obwohl der erwartete Anstieg streitiger Preisanpassungsstreitigkeiten bislang ausgeblieben ist, sind Unternehmen unverändert gut damit beraten, ihre vertraglichen Regelungen daraufhin zu prüfen, ob und wenn ja welche Preisanpassungsmechanismen möglich sind. Das Augenmerk sollte insbesondere auf der transparenten und nachvollziehbaren Formulierung etwaiger Preisanpassungsklauseln liegen.

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