Compliance & Investigations

BGH berücksichtigt Effizienz des Compliance Management Systems bei der Bußgeldbemessung

Der Bundesgerichtshof hat in einem beachtenswerten Urteil vom 9. Mai 2017 (Az.: 1 StR 265/17) entschieden, dass die Effizienz des Compliance Management Systems eines Unternehmens im Rahmen der Bußgeldbemessung nach § 30 OWiG zu berücksichtigen ist.   Der zugrundeliegende Fall   Nach den Feststellungen des erstinstanzlich befassten Landgerichts München I war der Angeklagte leitender Angestellter und Prokurist der Nebenbeteiligten, ein Unternehmen der deutschen Rüstungsindustrie. Mit Vertrag vom 5. Juli 2001 verkaufte die Nebenbeteiligte 24 Panzerhaubitzen für rund EUR 188 Mio. an den griechischen Staat. Für dieses Geschäft setzte die Nebenbeteiligte unter Koordination durch den Angeklagten zwei Vertriebsmittler ein.   Der Vertriebsmittler B. wurde eigens für dieses Rüstungsgeschäft gegründet und sollte eine erfolgsabhängige Vergütung in Höhe von 3% erhalten. Nach den Feststellungen des Landgerichts lag dem Rüstungsgeschäft eine Bestechungsabrede zwischen dem Unternehmen und dem griechischen Verteidigungsminister zugrunde. Die Gesellschafter des Vertriebsmittlers B. hatten persönlichen Zugang zum griechischen Verteidigungsminister. An den eigentlichen Verhandlungen war der Vertriebsmittler B. nicht beteiligt. Die Provisionsvereinbarung wurde abgeschlossen, um die Mittel zur Einlösung der Bestechungsabrede zur Verfügung zu stellen.   Der Vertriebsmittler B. stellte am 4. August 2002 eine Provision in Höhe von EUR 1,85 Mio. in Rechnung. Der Angeklagte gab die Rechnung zusammen mit seinem Vorgesetzten zur Zahlung frei. Die Buchhaltung der Nebenbeteiligten beglich die Rechnung und die Zahlung wurde von der Nebenbeteiligten als ordentliche Betriebsausgabe für das Jahr 2002 verbucht. Der Angeklagte hat das Unternehmen im Jahr 2004 verlassen. Nach seinem Weggang wurden noch weiteren Zahlungen an den Vertriebsmittler beglichen und steuerlich als Betriebsausgaben behandelt.   Die Nebenbeteiligte beschäftigte für das Rüstungsgeschäft noch den weiteren Vertriebsmittler P. in Griechenland, ein persönlicher Freund des Angeklagten, welcher Bestechungszahlungen aus Provisionszahlungen an den stellvertretenden Rüstungsdirektor in Griechenland weiterleitete. Zudem erhielt der Angeklagte in den Jahren 2002 bis 2004 von diesem Vertriebsmittler im Zusammenhang mit dem Rüstungsgeschäft Kick-Back-Zahlungen in Höhe von mehr als EUR 657.000 auf sein Schweizer Bankkonto. Der Angeklagte verschwieg diese Zahlungen gegenüber den deutschen Finanzbehörden.   Es konnte zwar nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte sichere Kenntnis davon hatte, dass der Vertriebsmittler P. bestochen hatte. P. hatte aber dazu angesetzt, dem Angeklagten mitzuteilen, dass der stellvertretende Rüstungsdirektor in Griechenland einen Teil der Provision des P. forderte. Der Angeklagte hat P. mitten im Satz mit der Äußerung „gestoppt“, dass er davon nichts hören wolle und dies nur den P. etwas angehe.   Die Entscheidung des BGH   Das Landgericht München I hatte den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Korruptionsdelikte des Angeklagten waren bereits verjährt. Gegen die Nebenbeteiligte setzte das Landgericht eine Geldbuße nach § 30 OWiG in Höhe von EUR 175.000 fest.   Der Angeklagte, die Nebenbeteiligte und die Staatsanwaltschaft legten Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin unter anderem die gegen die Nebenbeteiligte verhängte Geldbuße auf. Die Begründung hierfür ist beachtenswert:   Das Landgericht München I hatte das Bußgeld nur an der Schuld des Angeklagten bemessen, ohne die schwerer wiegende täterschaftliche Steuerhinterziehung der Geschäftsführung zu berücksichtigen. Der BGH weist zudem darauf hin, dass die Geldbuße nach § 17 Abs. 4 OWiG den wirtschaftlichen Vorteil, der aus der Ordnungswidrigkeit gezogen worden ist, übersteigen soll.   Diese Ausführung überrascht nicht. Neu ist allerdings, dass der BGH in aller Deutlichkeit sagt, dass die Güte und Effizienz eines Compliance Management Systems bußgeldmindernd zu berücksichtigen ist. Zu den Entscheidungsgründen führt der BGH an: „Für die Bemessung der Geldbuße ist von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihre Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genüge getan und ein effizientes Compliance Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss.“   Dabei kann nach Ansicht des BGH auch eine Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in der Folge des gegenständlichen Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.   Folgen für die Compliance Praxis   Nach unserer Erfahrung haben Behörden schon in der Vergangenheit sowohl die Effizienz des implementierten Compliance Management Systems als auch die Bemühungen, es in Folge eines Verstoßes zu optimieren und bestehende Lücken zu schließen, regelmäßig bußgeldreduzierend anerkannt. Die Kosten im Zusammenhang mit der Optimierung konnten häufig bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden.   Dennoch wurde die Entscheidung des BGH von der Compliance-Praxis lange erwartet, denn eine gesetzliche Regelung zur Berücksichtigung von Compliance Management Systemen bei der Bußgeldbemessung gibt es derzeit in Deutschland nicht. Die Diskussionen dazu wurden bislang nicht normativ umgesetzt.   Es ist daher aus Sicht der Praxis begrüßenswert, dass der BGH das „ob“ der Berücksichtigung positiv beantwortet hat. Die Rechtslage in Deutschland nähert sich damit beispielsweise der in Großbritannien oder den USA geltenden Rechtslage weiter an.   Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung des BGH auch jenseits von korruptions- bzw. steuerstrafrechtlichen Sachverhalten auf andere Rechtsverstöße, einschließlich Kartellrechtsverstöße, anwendbar ist. Denn die Begründung des BGH liest sich allgemeiner: Überall dort, wo Compliance Management Systeme der Vermeidung von Rechtsverstößen dienen, soll die Einrichtung eines solchen Systems bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden.   Offen ist allerdings bis auf Weiteres, welche Voraussetzungen ein Compliance Management System – trotz punktuellen Versagens – erfüllen muss, um als effizient zu gelten und eine Reduktion des Bußgelds zu rechtfertigen.   In anderen Rechtsordnungen herrscht diesbezüglich bereits mehr Klarheit. So machen beispielsweise die US Sentencing Guidelines umfassende Vorgaben, wie ein Compliance Programm ausgestaltet sein muss, damit es als „Effective Compliance and Ethics Program“ angesehen wird. Wir haben bereits berichtet, dass auch das US-amerikanische Department of Justice (DOJ) am 8. Februar 2017 einen instruktiven Leitfaden für die Bewertung von Corporate Compliance Programmen veröffentlicht hat (dazu Ausgabe 2/2017, S. 2 ff.).   Die deutsche Compliance-Praxis wird auch künftig unter anderem auf diese Standards zur Orientierung zurückgreifen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Bewertung der Effizienz eines Compliance Management Systems wesentlich vom individuellen Risikoprofil des Unternehmens abhängt. Weitere Hilfestellungen geben die internationalen Standards (z.B. ISO 19600 Compliance, ISO 31000 Risk Management, ISO 37001 Anti-Bribery-Management-System), die aber wohl nicht hinreichend sind, um den Anforderungen des deutschen Rechts zu genügen.   Bemerkenswert ist weiterhin, dass der BGH nicht nur das Bestehen eines effektiven Compliance Management Systems zum Zeitpunkt des Verstoßes als bußgeldreduzierend anerkennt, sondern auch die Optimierung des bestehenden Systems in Folge der Aufdeckung eines Verstoßes. Nach der Aufdeckung eines Verstoßes im Unternehmen, ob intern oder durch Ermittlungsbehörden, ist es grundsätzlich schon die gesellschaftsrechtliche Pflicht der Geschäftsleitung, umfassend intern zu ermitteln, die Ursache für den Verstoß zu analysieren und das Compliance Management System entsprechend anzupassen, um künftig Verstöße dieser Art zu verhindern. Unterlässt die Geschäftsleitung diese Maßnahmen, droht ihr die persönliche Haftung. Zudem sind solche Maßnahmen der Selbstreinigung vergaberechtlich bedeutsam und können einen Ausschluss von Vergabeverfahren in Folge einer Straftat verhindern (§ 125 GWB). Aus der Entscheidung des BGH folgt nun, dass diese reaktiven Maßnahmen auch bei der Bußgeldbemessung relevant sind und eine Reduzierung des Bußgelds ermöglichen.   Vor diesem Hintergrund ist es umso mehr unverzichtbar, dass Rechtsverstöße in Unternehmen unmittelbar sorgfältig ­aufgearbeitet und deren Ursachen analysiert und behoben werden. Nur eine solche Aufarbeitung kann negative Konsequenzen für das Unternehmen teilweise abmildern und eine persönliche Haftung der Geschäftsleitung verhindern.
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