Am 7. Februar 2023 hat die Europäische Chemikalienagentur („ECHA“) ein umfassendes Dossier bezüglich eines Verbots von rund 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen („PFAS“) veröffentlicht. PFAS werden in vielen Industriezweigen verwendet und sind in vielen Konsumgütern enthalten. Durch das Beschränkungsvorhaben sollen das Herstellen, das Inverkehrbringen und die Verwendung von gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen und die damit einhergehenden Risiken einschränkt werden. Dieses Verbot soll im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1907/2006 („REACH“) umgesetzt werden. Nach einer ersten öffentlichen Konsultation prüfen die wissenschaftlichen Ausschüsse der ECHA derzeit die potentiellen Auswirkungen des Beschränkungsvorhabens.
Hintergrund
Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) werden aufgrund ihrer stofflichen Eigenschaften vielseitig verwendet, z.B. in der Luft- und Raumfahrt, für militärische Zwecke in der Automobilbranche sowie für Halbleiterfertigungen. Zudem sind sie in Alltagsprodukten wie Mobiltelefonen, Regenjacken, Kosmetika oder Kochgeschirr zu finden. Besondere Bedeutung haben PFAS auch in Industrien, die für die Energiewende relevant sind: Zum Beispiel werden sie bei der Herstellung von Membranen für die Wasserstofferzeugung, für Solarpaneele, bei der Wasserelektrolyse, um grünen Wasserstoff zu erzeugen und bei der Herstellung von Halbleitern verwendet.
Viele der rund 10.000 unter PFAS zusammengefassten Stoffe sind gesundheits- und umweltschädlich. Menschen können PFAS vor allem über Lebensmittel (insbesondere Trinkwasser) aufnehmen. Sie sind in Böden, Futtermitteln und in Bedarfsgegenständen nachweisbar. Es besteht der Verdacht, dass PFAS das Hormon- und Immunsystem schädigen können und krebserregend sind. Aufgrund ihrer chemischen Stabilität werden PFAS als sogenannte Ewigkeitschemikalien oder „forever chemicals“ bezeichnet. Sind sie einmal freigesetzt, bleiben sie über Jahrzehnte in der Umwelt.
„Beschränkungsdossier“ zu PFAS
Vor diesem Hintergrund haben behördliche Expertinnen und Experten aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen PFAS hinsichtlich ihrer Risiken für Mensch und Umwelt bewertet. In ihrer Bewertung kamen die beteiligten Behörden zu dem Schluss, dass sich aus der Herstellung, Verwendung und dem Inverkehrbringen sowie der Entsorgung von PFAS signifikante Risiken ergeben. Das Ergebnis ist in einem sog. „Beschränkungsdossier“ dargelegt und wurde von den Behörden der Länder bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA eingereicht. Am 7. Februar 2023 hat die ECHA das Beschränkungsdossier mit geringfügigen Änderungen veröffentlicht. Es umfasst ein Verbot von mehr als 10.000 verschiedenen PFAS. Die ECHA selbst beschreibt das Vorhaben als den bislang „umfangreichsten Beschränkungsvorschlag unter REACH“.
Das Beschränkungsdossier war vom 22. März 2023 bis zum 25. September 2023 Grundlage einer öffentlichen Konsultation. Derzeit erarbeiten die wissenschaftlichen Ausschüsse der ECHA (Committee for Risk Assessment („RAC“) und Committee for Socio-economic Analysis („SEAC“)) ihre Stellungnahmen zum Beschränkungsdossier. Das RAC hatte das Beschränkungsdossier zuvor auf seine Durchsetzbarkeit hin geprüft. Im Oktober 2023 veröffentlichte das RAC einen Hinweis, aus dem hervorgeht, dass das Beschränkungsdossier in einigen Teilen noch zu unpräzise gefasst ist und insoweit die Anwendung und Durchsetzung der Beschränkungen in der Praxis problematisch wäre.
Neben dem Beschränkungsdossier gibt es derzeit einen weiteren Vorschlag zur Regulierung von PFAS-haltigen Feuerlöschschäumen – im Ergebnis wäre dies ein Verbot aller PFAS in Feuerlöschschäumen, soweit deren Verwendung nicht unerlässlich für die Gesellschaft ist. RAC und SEAC bewerteten diesen Vorschlag schon positiv – insbesondere, da Substitutionsmöglichkeiten vorhanden seien. Nun ist es Aufgabe der EU-Kommission, einen entsprechenden Regelungsvorschlag vorzulegen und mit den EU-Mitgliedsstaaten über eine EU-weite Umsetzung zu entscheiden. Mit einer Entscheidung ist voraussichtlich 2025 zu rechnen.
Weiter Anwendungsbereich der Beschränkung
Das Verbot von PFAS soll im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung REACH umgesetzt werden. Laut dem Beschränkungsdossier stellt ein generelles Verbot der Herstellung, des Inverkehrbringens (einschl. Einfuhr) und der Verwendung von PFAS als solchen oder als Bestandteil anderer Stoffe, in Gemischen und in Erzeugnissen (oberhalb einer bestimmten Konzentrationsgrenze) im Rahmen der REACH-Verordnung das geeignetste Mittel zur Begrenzung der oben genannten Risiken dar. Die Einfuhr von PFAS-haltigen Erzeugnissen könne nur auf diese Weise kontrolliert werden.
Da die PFAS als gesamte Gruppe einschließlich ihrer Vorläuferstoffe erfasst werden sollen, werden alle Stoffe, die mindestens eine vollständig fluorierte Methylgruppe (-CF3) oder Methylengruppe (-CF2-) ohne weitere H-, Cl-, Br- oder I-Atome enthalten, von der Beschränkung erfasst sein. Alle PFAS im Anwendungsbereich sind entweder selbst nicht abbaubar oder zerfallen zu nichtabbaubaren PFAS.
Aufgrund dieser weiten Definition gilt die Beschränkung auch für Stoffe, die noch nicht entwickelt wurden, aber dieselben Strukturmerkmale enthalten. Damit zielt das Beschränkungsdossier darauf ab, die Verwendung von Ausweichstoffen mit ähnlichen chemischen Eigenschaften künftig unmöglich zu machen.
Ausnahmen
Es sind sehr eng umgrenzte Ausnahmeregelungen für bestimmte Stoffe geplant. Eine generelle „essential use“-Ausnahme ist dagegen nicht vorgesehen.
Einige wenige Stoffe, die in den Geltungsbereich der Definition fallen, sind leichter abbaubar und würden nicht unter die REACH-Persistenzstandards fallen; diese sollen von den vorgeschlagenen Beschränkungen ausgenommen werden. Für einige Bereiche sollen PFAS, die als Wirkstoff, aber nicht als Beistoff, in Pflanzenschutzmitteln, Biozidprodukten und human- und veterinärmedizinischen Arzneimitteln verwendet werden, generell von den Beschränkungen ausgenommen werden. Sie sollen stattdessen in den jeweiligen speziellen Verordnungen behandelt und über einen Zeitraum von 13,5 Jahren mit Melde- und Berichterstattungspflichten hinsichtlich des Inverkehrbringens verbunden werden. Adressiert werden sollen in den speziellen Verordnungen Hersteller und Importeure von PFAS-Wirkstoffen. So soll erreicht werden, dass Daten über die Verwendung von PFAS in diesen Sektoren gesammelt und etwaige Veränderungen überwacht werden. Weitere Ausnahmen sind für die Halbleiterindustrie angedacht – diese werden derzeit geprüft.
Umsetzungszeiträume
Grundsätzlich geht das Beschränkungsdossier davon aus, dass Alternativen zur Verwendung von PFAS verfügbar sind oder rechtzeitig verfügbar sein werden. Für die Umsetzung eines vollständigen Verbots aller PFAS werden im Beschränkungsdossier zwei verschiedene Alternativen in Betracht gezogen.
Erwogen wird zum einen ein vollständiges Verbot mit einer Übergangszeit von 18 Monaten nach Inkrafttreten. Zum anderen wird ein Verbot aller PFAS, mit Ausnahme von in den meisten Fällen zeitlich begrenzten, definierten, verwendungsspezifischen Ausnahmen, für die Dauer von fünf oder zwölf Jahren nach Ablauf des 18-monatigen Übergangszeitraums, evaluiert.
Ferner ist geplant, in bestimmten Anwendungsbereichen eine zeitlich unbegrenzte Ausnahme von der Umsetzung zu normieren (so bspw. für HVACR-Anlagen in Gebäuden mit Sicherheitsrelevanz).
Wettbewerbsnachteil bei Verbot?
Stimmen aus der Industrie weisen auf einen möglichen Wettbewerbsnachteil europäischer Produzenten hin. Während Konkurrenten aus Nicht-EU-Ländern PFAS weiterhin verwenden und sich damit Wettbewerbsvorteile verschaffen könnten, müssten europäische Produzenten auf PFAS verzichten. Um solche Wettbewerbsnachteile gering zu halten, will die EU sicherstellen, dass alle Produkte, die aus Drittländern in der EU auf den Markt gebracht werden, dieselben Vorschriften einhalten, die auch für europäische Produzenten gelten.
Ausblick
Aktuell (seit März 2024) bewerten RAC und SEAC das Beschränkungsdossier. Die Evaluation startete nach Sichtung der Mehrheit der zahlreichen Kommentare aus der öffentlichen Konsultation und soll sich anhand der im Dossier beschriebenen Verwendungssektoren und neuer Sektoren, welche im Rahmen der öffentlichen Konsultation identifiziert wurden, vollziehen. Parallel aktualisieren die fünf nationalen Behörden, die das Beschränkungsdossier entwickelten, dieses anhand der aus der Konsultation gewonnenen Informationen.
In den kommenden Monaten werden RAC- und SEAC-Ausschusssitzungen zu verschiedenen, vom Beschränkungsdossier betroffenen Sektoren stattfinden:
- Verbrauchergemische, Kosmetik, Ski-Wachs im März,
- Metallbeschichtung und Herstellung von Metallprodukten im Juni und
- Textilien, Polstermöbel, Leder, Bekleidung, Teppiche; Nahrungsmittelkontaktmaterialien und Verpackungen; Erdöl und Bergbau im September.
RAC und SEAC werden jeweils schließlich abschließende Stellungnahmen zum aktualisierten Beschränkungsdossier abgeben. Letztlich entscheidet die EU-Kommission auf Grundlage der Stellungnahmen über das Beschränkungsdossier der ECHA. Die vorgesehenen Beschränkungen werden voraussichtlich frühestens 2026 oder 2027 gelten, sollte das Beschränkungsdossier schließlich in einem formellen Rechtsakt umgesetzt werden.
Besonders betroffen wären nach dem derzeitigen Stand weiterhin insbesondere Unternehmen aus den folgenden Branchen:
- Textilindustrie;
- Hersteller von Küchenutensilien (insbesondere Gegenstände, die für die Nutzung von Verbrauchern gedacht sind, sollen schnellstmöglich PFAS-frei produziert werden);
- Verpackungsindustrie;
- metallverarbeitende Industrie (insbesondere hinsichtlich Beschichtungen) oder
- Kosmetikindustrie.
Für die Medizintechnikbranche und Unternehmen, die Fahrzeuge herstellen, erkennt das Beschränkungsdossier zwar an, dass PFAS nur langfristig zu ersetzen sein werden. Allerdings schließt das nicht aus, dass das Beschränkungsdossier (i) einzelne Anwendungen in diesen Branchen dennoch unmittelbar verbietet und (ii) Unternehmen dieser Branchen aufgibt, in den nächsten Jahren nach Alternativen zu forschen und diese schnellstmöglich zum Einsatz zu bringen.
Unternehmen sollten daher zunächst prüfen, in welchen Produkten sie PFAS nutzen. Je nachdem, welchen Branchen sie angehören, müssen sie sich dann darauf einstellen, dass diese Produkte in vergleichsweise kurzer Zeit in der EU so nicht mehr hergestellt oder in Verkehr gebracht werden dürfen. Unternehmen sollten dann prüfen, ob sie ihre Produkte in der Weise anpassen können, dass sie nicht mehr auf PFAS angewiesen sind oder ob geeignete Substitute auf dem Markt verfügbar sind.
Voraussichtlich wird es eine weitere Konsultationsphase geben, sobald das SEAC seinen Bericht über die sozioökonomischen Auswirkungen des Beschränkungsdossiers veröffentlicht hat. Diese würde es Unternehmen ermöglichen, noch einmal auf mögliche Defizite des Beschränkungsdossiers hinzuweisen. Von dieser Möglichkeit sollten betroffene Unternehmen Gebrauch machen, um sicherzustellen, dass die europäischen Normgeber ihre Anliegen beachten können.
Unternehmen, die in ihren Produkten oder Produktionsprozessen PFAS nutzen, sollten die Entwicklungen rund um das Beschränkungsdossier daher aufmerksam verfolgen.