Kartellrecht

Befristete Änderungen des GWB zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie

Am 14. Mai 2020 hat der Bundestag ein Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft verabschiedet. Das Gesetz ist am Tag nach der Verkündung im BGBl. (BGBl. I Nr. 24 v. 28.05.2020, S. 1067), also am 29. Mai 2020 in Kraft getreten. Wesentlicher Inhalt ist:

  • Einmalige Verlängerung der Entscheidungsfristen für anmeldepflichtige Zusammenschlüsse,
    • im Vorprüfverfahren (Phase I) von 1 auf 2 Monate,
    • im Hauptprüfverfahren (Phase II) von 4 auf 6 Monate ab Anmeldung.
  • Gilt für Anmeldungen, die zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Mai 2020 beim Bundeskartellamt eingereicht werden
  • Gilt nicht für bei Inkrafttreten abgeschlossene Verfahren.
  • Aussetzung der Verzinsung von Bußgeldern bis zum 30. Juni 2021, sofern Zahlungserleichterungen (§§ 18, 93 OWiG) gewährt wurden oder werden.

Verlängerung der Entscheidungsfristen in der Fusionskontrolle

Die Prüffristen in der Fusionskontrolle sollen einmalig und zeitlich beschränkt verlängert werden. Die Verlängerung betrifft ausschließlich Zusammenschlüsse, die zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Mai 2020 beim Bundeskartellamt angemeldet werden. Für sie wird die Frist im Vorprüfverfahren von einem Monat auf zwei Monate und im Hauptprüfverfahren von vier auf sechs Monate verlängert. Die verlängerten Fristen gelten auch für den Fall, dass die Europäische Kommission in dem genannten Zeitraum einen Zusammenschluss an das Bundeskartellamt verweist. Dagegen bleibt es bei den geltenden gesetzlichen Fristen, wenn am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes (i) die Monatsfrist im Vorprüfverfahren abgelaufen ist, ohne dass das Bundeskartellamt den anmeldenden Unternehmen mitgeteilt hat, dass es ins Hauptprüfverfahren eingetreten ist, (ii) die Frist im Hauptprüfverfahren abgelaufen ist oder (iii) der Zusammenschluss vom Bundeskartellamt freigegeben wurde. Eine Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Verfahren ist damit ausgeschlossen.

In der durch die Pandemie bedingten Sondersituation hat das Bundeskartellamt Schwierigkeiten, bei Marktuntersuchungen rechtzeitig die von Marktteilnehmern abgefragten Auskünfte zu erhalten. Man fürchtet, dass wettbewerblich problematische Zusammenschlüsse mangels Marktinformationen freigegeben werden müssen, bzw. die Prüffristen ablaufen, bevor die Wettbewerbsschädlichkeit nachgewiesen werden kann.

Die Regelung hat folgende praktische Auswirkungen:

  • Verlängerte Prüffristen sind für Unternehmen zunächst keine gute Nachricht. Die vorgesehenen Verlängerungen der Fristen um einen bzw. zwei Monate sind aber insgesamt überschaubar und ändern nichts an der Planbarkeit für die Zusammenschlussbeteiligten. Auch bisher finden das Bundeskartellamt und die beteiligten Unternehmen Mittel und Wege zur Gestaltung der Prüffristen, sofern dies im Einzelfall notwendig sein sollte. Eine gesetzliche Regelung ist aber aus Gründen von Planbarkeit und Transparenz im Grundsatz vorzuziehen.
  • Die Erfahrung aus den letzten Wochen zeigt, dass das Bundeskartellamt seinen Amtsgeschäften im Bereich der Fusionskontrolle ohne wesentliche Einschränkungen nachgehen kann. Insbesondere werden offensichtlich unproblematische Fälle weiterhin vergleichsweise schnell freigegeben. Das ist auch weiterhin zu erwarten. In der Begründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Fristverlängerung lediglich die maximalen Prüffristen betrifft.
  • Bei größeren Vorhaben, die in vielen Jurisdiktionen anzumelden sind, wird die Gesetzesänderung angesichts zum Teil längerer Fristen in anderen Ländern kaum Einfluss auf die Transaktionsplanung haben. Zusammenschlussbeteiligte können zum Teil von einem verlängerten Vorprüfverfahren profitieren, wenn dadurch ein aufwändiges und langwieriges Hauptprüfverfahren vermieden werden kann.
  • Unternehmen sollten auch in der derzeitigen Situation Anstrengungen unternehmen, Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts rechtzeitig und vollständig zu beantworten und den Kontakt zum Amt zu suchen, wenn das aufgrund besonderer Umstände nicht möglich ist. Denn wer Auskunft nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erteilt, handelt ordnungswidrig und kann mit Bußgeldern bis zu EUR 100.000 belegt werden.
  • Eine weitere Fristverlängerung oder Verlängerung des Zeitraums, in dem Anmeldungen von der Verlängerung betroffen sind, bedürfte einer weiteren Gesetzesänderung. Das dürfte aber nicht notwendig sein. Denn es ist davon auszugehen, dass die Marktteilnehmer sich in den kommenden Wochen und Monaten immer besser auf die jeweils neue Lage einstellen und ihren Geschäftsbetrieb so organisieren werden, dass Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts rechtzeitig beantwortet werden können.
  • Schließlich können krisenbedingt Situationen entstehen, in denen Unternehmen auf eine besonders schnelle Freigabe von Zusammenschlüssen oder gar einen sofortigen (teilweisen) Vollzug für ihr Überleben angewiesen sein können. Das Bundeskartellamt sollte sich bei der Ausübung seines Ermessens bei der Entscheidung über Befreiungen vom Vollzugsverbot oder auf informeller Ebene in einer außergewöhnlichen Situation auch pragmatischen und kreativen Lösungen gegenüber aufgeschlossen zeigen.

Aussetzung der Verzinsungspflicht im Bußgeldrecht

Darüber hinaus wird die Zinspflicht für Bußgelder, für die Zahlungserleichterungen gemäß § 18 oder § 93 OWiG bereits gewährt wurden oder später noch gewährt werden, bis zum 30. Juni 2021 ausgesetzt. Dadurch sollen die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie für diejenigen Unternehmen etwas abgemildert werden, die die Voraussetzungen der Gewährung von Zahlungserleichterungen gegenüber der Kartellbehörde nachgewiesen haben. Zahlungserleichterungen sind gemäß § 18 OWiG zu gewähren, wenn dem Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldbuße sofort zu zahlen. In der Begründung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die finanzielle Lage von Unternehmen infolge der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie kurzfristig so verschlechtern kann, dass Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG geboten sind.

Die Aussetzung der Verzinsungspflicht ist auf den Zeitraum begrenzt, für den die Zahlungserleichterungen gewährt werden. Eine allgemeine Aussetzung der Verzinsungspflicht soll nicht erfolgen. Die Regelung selbst ist bis zum 30. Juni 2021 befristet. Sie soll die zu erwartende Dauer der Pandemie und die Phase ihrer wirtschaftlichen Nachwirkungen abdecken.

Aus Sicht der betroffenen Unternehmen ist die Aussetzung der Verzinsungspflicht im Grundsatz zu begrüßen, weil sie finanzielle Lasten mildert. Der Effekt bleibt aber insgesamt überschaubar und dürfte lediglich eine überschaubare Anzahl von Unternehmen betreffen. Nach der Begründung wird mit einem Zinsausfall für den Bundeshaushalt in Höhe von ca. EUR 120.000 gerechnet. Da jedoch zu erwarten ist, dass die Anzahl der gewährten Zahlungserleichterungen Pandemie-bedingt noch steigen wird, könnte der Zinsausfall noch höher ausfallen.

Eine wirksamere Unterstützung wäre die zinslose Stundung der Zahlung von Bußgeldern gewesen, so wie aktuell etwa auch bestimmte Steuerzahlungen aufgeschoben werden können.

Ob die Befristung bis zum 30. Juni 2021 tatsächlich den Zeitraum der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Nachwirkungen abdecken wird, kann derzeit wohl niemand mit Sicherheit sagen.

Ausblick

Die in dem Gesetz enthaltenen vorübergehenden Änderungen des GWB leisten einen Beitrag zur Krisenbewältigung, auch wenn ihre Auswirkungen insgesamt überschaubar bleiben dürften. Die COVID-19-Pandemie hat das Potenzial, schwerwiegende strukturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft und auch in der Unternehmenslandschaft in Deutschland zu bewirken. Auf das Kartellrecht kommen krisenbedingt weitere Herausforderungen zu, denen möglicherweise nicht immer im Rahmen des geltenden Rechts wirksam begegnet werden kann, so dass weitere Gesetzesänderungen in diesem Bereich nicht auszuschließen sind.

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