
Es war der März der virtuellen Optionen in Erfurt, denn gleich zwei Senate des BAG entschieden zu virtuellen Optionsrechten. Dabei sorgte das BAG mit seiner ersten Entscheidung für Aufmerksamkeit weit über die Arbeitsrechtswelt hinaus. Es sah in zwei Klauseln, die den Verfall „gevesteter“ Optionsrechte vorsahen, eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers und erklärte beide für unwirksam. In der darauffolgenden Woche urteilte das BAG, dass noch im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübte Optionsrechte in der Berechnung einer Karenzentschädigung für nachvertragliche Wettbewerbsverbote zu berücksichtigen sind. Zu den Einzelheiten und was es zukünftig zu beachten gilt:
BAG v. 19. März 2025: Kein (sukzessiver) Verfall virtueller Optionen nach Eigenkündigung
Bestimmt eine Verfallklausel in AGBs, dass zugunsten des Arbeitnehmers „gevestete“ virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die „gevesteten“ virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. „Vesting-Periode“ entstanden sind.
Die Entscheidung des BAG (Urteil vom 19. März 2025 – 10 AZR 67/24) betraf einen Arbeitnehmer, der seit 2019 an einem virtuellen Optionsprogramm (ESOP) seiner Arbeitgeberin teilgenommen hatte. Die Planbedingungen sahen typische Regelung vor: eine einjährige „Cliff-Periode“, eine über vier Jahre gestaffelte „Vesting Periode“, ein Ausübungsereignis wie Börsengang oder Verkauf. Das ESOP sah darüber hinaus allerdings eher untypisch vor, dass ausübbare („gevestete“) Optionen verfallen, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endet. Im Übrigen sollten „gevestete“ Optionen sukzessive innerhalb von zwei Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Im August 2020 schied der Arbeitnehmer durch Eigenkündigung aus. Die im Juni 2022 geltend gemachten Ansprüche lehnte die Arbeitgeberin unter Verweis auf den Verfall ab.
Der 10. Senat entschied (anders als die zwei Vorinstanzen), dass die Verfallsklauseln gem. § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam seien und ein Verfall der virtuellen Optionen demnach nicht stattgefunden habe.
- Der Senat hält ausdrücklich nicht an seiner Rechtsprechung aus 2008 fest, in der er den sofortigen Verfall bereits „gevesteter“ Optionen, die während des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübt werden konnten, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig erachtet hat.
- Das BAG begründete seine Entscheidung damit, dass die „gevesteten“ Optionen Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung dargestellt hätten, was insbesondere aus der Aussetzung des „Vestings“ für Zeiten ohne Entgeltanspruch folge. Der sofortige Verfall der Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB entgegen und erschwere eine Kündigung unverhältnismäßig.
- Auch der sukzessive Verfall „gevesteter“ Optionen nach dem Ausscheiden benachteilige den Arbeitnehmer in diesem Fall unangemessen. Zwar reflektiere sie, dass der Einfluss des Arbeitnehmers auf den Unternehmenswert mit der Zeit abnehme, doch sei jedenfalls ein doppelt so schneller Verfall (zwei Jahre) im Vergleich zur vierjährigen „Vesting-Periode“ nicht gerechtfertigt.
BAG v. 27. März 2025: Leistungen aus virtuellem Optionsprogramm sind nur teilweise in die Karenzentschädigung einzubeziehen
Der Fall, den der 8. Senat zu entscheiden hatte (Urteil vom 27. März 2025 – 8 AZR 63/24), betraf die Berechnung der Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot. Die Arbeitgeberin hatte dem Arbeitnehmer virtuelle Aktienoptionen zugeteilt. Der Arbeitnehmer erhielt eine Tranche für im noch bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübte Optionsrechte und eine weitere nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Er verlangte bei der Berechnung seiner Karenzentschädigung die Einbeziehung sämtlicher Leistungen aus dem Optionsprogramm, d.h. auch die nach Ende des Arbeitsverhältnisses erbrachten Leistungen.
Damit hatte er vor dem BAG jedoch keinen Erfolg. Zwar seien die im laufenden Arbeitsverhältnis erbrachten Leistungen – auch aus dem Optionsprogramm – für die Berechnung der Karenzentschädigung nach §§ 74 Abs. 2, 74b Abs. 2 HGB zu berücksichtigen. Entscheidend sei aber, ob die Optionsrechte während des Arbeitsverhältnisses ausgeübt worden seien. Dementsprechend waren Zahlungen aus nach Ausscheiden ausgeübten Optionen, nicht zu berücksichtigen.
Gleiss Lutz kommentiert
Die – auch über die Grenzen des Arbeitsrechts – viel beachtete Entscheidung des BAG ist für die Praxis wichtig, gerade aufgrund der Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Verfallsklauseln in Aktienoptionsplänen. Auf Basis der bislang allein vorliegenden Pressemitteilung lässt sich der Umfang der Rechtsprechungsänderung noch nicht abschließend bewerten. Von besonderem Interesse ist die Frage, warum und mit welcher Begründung der Senat seine Rechtsprechung zum Verfall ausübbarer Aktienoptionen aus 2008 aufgegeben hat, in der es um herkömmliche Aktienoptionen ging. Es bleibt abzuwarten, welche Bedeutung den Wertungen des § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG in Zukunft bei herkömmlichen Aktienoptionen noch beizumessen ist.
Ob mit der Entscheidung virtuelle Optionsprogramme in Deutschland nun vor dem Aus stehen oder grundlegend überarbeitet werden müssen, ist unseres Erachtens zu verneinen. Auch wenn die Urteilsgründe des BAG für nähere Einzelheiten noch abgewartet werden müssen, dürfte sich für die Bewertung vieler deutscher Optionsprogramme nicht viel ändern. Diese sehen üblicherweise keinen Verfall bei Eigenkündigung vor, sondern differenzieren nach den Gründen hierfür. Auch die Konstellation des sukzessiven Abschmelzens von Ausübungsrechten (sog. devesting) ist ein Mechanismus, der sich wohl nur in wenigen Programmen finden wird.
Virtuelle Optionsrechte können sich zudem auch auf Karenzentschädigungen bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten auswirken und diese signifikant in die Höhe treiben. Dies sollte bei der Vereinbarung von Wettbewerbsverboten Berücksichtigung finden.
