Gesellschaftsrecht

Absage von Hauptversammlungen – müssen Hallenmiete, Catering und Dienstleister bezahlt werden?

Wegen der Pandemie-bedingten Versammlungsverbote können zahlreiche Hauptversammlungen nicht wie gewohnt als physische Präsenzveranstaltung an dem geplanten Termin stattfinden.

Häufig ist aus heutiger Sicht ungewiss, ob am geplanten Termin noch ein Versammlungsverbot besteht; auch bei diesen Hauptversammlungen stellt sich die Frage, ob sie abgesagt oder verlegt werden. Zwar sind Aktiengesellschaften nach dem Aktiengesetz verpflichtet, in den ersten acht Monaten eine physische Hauptversammlung durchzuführen, in welcher der Jahresabschluss vorgelegt sowie über die Ergebnisverwendung und die Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat abgestimmt werden muss. Durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (Abmilderungsgesetz) wurde die Frist um vier Monate auf das gesamte Geschäftsjahr verlängert; außerdem wurde die Möglichkeit eröffnet, eine virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre abzuhalten (sehen Sie hier auch unsere Mandanteninformation Virtuelle HV – Änderungen des AktG wegen COVID-19). Verlegt eine Gesellschaft wegen der Pandemie den Hauptversammlungstermin oder ersetzt sie die Präsenzhauptversammlung durch eine virtuelle Hauptversammlung, stellt sich die Frage, ob sie ihre Verträge mit den Vermietern des Veranstaltungslokals, den HV-Dienstleistern, Caterern und anderen Vertragspartnern kündigen oder von diesen eine Vertragsanpassung verlangen kann; korrespondierend stellt sich die Frage, ob sie im Falle der Kündigung zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet bleibt.

Angesichts der für die Gesellschaft und ihre Vertragspartner gleichermaßen völlig unerwarteten Corona-Pandemie, die Absagen von Hauptversammlungen erzwingt oder – bei Ungewissheit, ob am geplanten Termin noch Versammlungsverbote bestehen – als möglich erscheinen lässt, drängt sich der Gedanke an die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf. Indessen sind die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage nur subsidiär anzuwenden, d. h. nur dann, wenn die vertragsrechtlichen Bestimmungen des BGB und die zwischen den Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen zu keiner angemessenen Lösung führen würden, d. h. für mindestens eine Partei unzumutbar wären. Deshalb muss zunächst geprüft werden, ob die mit den Vermietern, Caterern, HV-Dienstleistern und anderen Vertragspartnern getroffenen Vereinbarungen Fälle höherer Gewalt wie beispielsweise Naturkatastrophen oder Pandemien, regeln. Ist dies, wie wohl regelmäßig, zu verneinen, muss geprüft werden, ob die Vorschriften besonderen Schuldrechts des BGB, interessengerechte Bestimmungen enthalten. Für die Hallenmiete wäre dies das Mietrecht, für HV-Dienstleister und Caterer das Werkvertragsrecht, für andere Dienstleister möglicherweise auch das Dienstvertragsrecht.

Im Mietrecht käme eine Mietminderung wegen Sachmangels (§ 536 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder Rechtsmangels (§ 536 Abs. 3 BGB) in Betracht. Ein allgemeines Versammlungsverbot betrifft jedoch nicht die konkrete Beschaffenheit des Mietgegenstands und berechtigt daher die Gesellschaft nicht zur Minderung des Mietzinses; auch ein Rechtsmangel scheidet aus. § 543 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB gewährt dem Mieter jedoch ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, sofern ihm unter Abwägung seiner eigenen Interessen mit denen des Vermieters eine Durchführung des Mietvertrags nicht zumutbar ist. Besteht zum Zeitpunkt der geplanten Hauptversammlung ein Versammlungsverbot, kann die Hauptversammlung nicht durchgeführt werden. Dies bedeutet aber nicht zwingend, dass der Mietvertrag gekündigt werden darf, denn damit würden die finanziellen Folgen der Pandemie einseitig dem Vermieter auferlegt. Der Vermieter bleibt ja durchaus in der Lage, das Mietobjekt am vereinbarten Termin zur Verfügung zu stellen; die Gesellschaft ist lediglich nicht in der Lage, sie zu dem beabsichtigten Zweck – der Durchführung einer Hauptversammlung – zu nutzen. Eine interessengerechte Lösung führt deshalb tatsächlich zu den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage, die neben § 543 Abs. 1 BGB anwendbar bleiben.

Bei Werkverträgen mit HV-Dienstleistern, Caterern und anderen Lieferanten steht der Gesellschaft das allgemeine Kündigungsrecht des Auftraggebers gemäß § 648 Satz 1 BGB zur Verfügung. Übt sie dieses aus, bleibt sie allerdings zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet; ihr Vertragspartner muss sich nur dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 648 Satz 2 BGB). Muss die Hauptversammlung wegen eines am Hauptversammlungstermin bestehenden Versammlungsverbots abgesagt werden, wird der Caterer die Kosten für den Einkauf der Lebensmittel sparen, möglicherweise auch die Kosten für Mietpersonal oder Jobber. Die Einsparungen bei HV-Dienstleistern dürften hingegen gering sein. Kündigt die Gesellschaft gemäß § 648 Satz 1 BGB, muss sie daher grundsätzlich die finanziellen Folgen tragen. Daneben können im Werkvertragsrecht beide Seiten, insoweit dem Mietvertragsrecht vergleichbar, den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen, sofern ihnen die Durchführung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann (§ 648a Abs. 1 BGB). Auch dies würde zu einer binären „Alles oder Nichts-Lösung“ führen, was im Falle einer Pandemie-bedingten Kündigung nicht angemessen erscheint. Deshalb kann auch insoweit ergänzend auf die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen werden.

Im Ergebnis nichts Anderes gilt bei Dienstverträgen. Die Gesellschaft gerät gemäß § 615 BGB grundsätzlich in Annahmeverzug und bleibt deshalb zur Leistung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, wenn sie die Dienste nicht fristgerecht, d. h. am Tag der Hauptversammlung, abnimmt. Annahmeverzug tritt jedoch nicht ein, wenn dem Dienstberechtigten die Abnahme der Dienstleistung ausnahmsweise unzumutbar ist. Auch insoweit helfen für eine interessengerechte Lösung nur die Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage.

Die hier angesprochenen Fälle lassen sich im Ergebnis auch nicht über das Unmöglichkeitsrecht lösen (§ 275 BGB). Es liegt kein Zweckfortfall vor, der zu einer Unmöglichkeit führt. Die Vertragspartner tragen nicht einseitig das Risiko der Durchführung der Hauptversammlung am vereinbarten Termin. Auch das Unmöglichkeitsrecht hielte im Übrigen nur eine unbillige „Alles-oder-nichts-Lösung“ bereit, weil im Falle einer Unmöglichkeit der Hauptleistung gemäß § 326 Abs. 1 BGB die Gegenleistung ersatzlos entfällt.

Eine Störung der Geschäftsgrundlage begründet in erster Linie einen Anspruch auf Vertragsanpassung (§ 313 Abs. 1 BGB). Nur ersatzweise, sofern die Anpassung des Vertrags weder möglich noch zumutbar ist, kann der benachteiligte Teil zurücktreten bzw. kündigen (§ 313 Abs. 3 BGB). Ob die Geschäftslage gestört ist, und ob bzw. in welcher Weise eine Anpassung des Vertrags verlangt werden kann, muss in jedem Einzelfall unter Abwägung der beiderseitigen Interessen geklärt werden.

Steht heute schon fest, dass am geplanten Hauptversammlungstermin noch ein öffentliches Versammlungsverbot bestehen wird, muss die Hauptversammlung entweder abgesagt bzw. verlegt oder als Online-Hauptversammlung durchgeführt werden. Die Entscheidung der Gesellschaft für eine dieser Optionen wirkt sich auf die Vertragsanpassung über die Störung der Geschäftsgrundlage aus. Die Gesellschaft muss prüfen, ob für die Verlegung ein Ersatztermin zur Verfügung steht, wobei nicht auf die aktienrechtliche 8-Monats-Frist, sondern auf die durch das Abmilderungsgesetz eröffnete Jahresfrist abzustellen ist. Der Vertragspartner muss sich bemühen, ihm zumutbare Ersatztermine anzubieten. Lehnt etwa der Vermieter eine Verlegung ab, obwohl die Halle noch frei wäre, spricht das dafür, dass er seinen Anspruch auf Mietzinszahlung verliert. Die Gesellschaft muss ihrerseits prüfen, ob diese Ersatztermine für sie in Betracht kommen. Lehnt die Gesellschaft das Angebot des Vermieters ab, die Hauptversammlung auf einen ihr zumutbaren Ersatztermin zu verlegen und wechselt sie stattdessen zur Online HV, spricht dies prima facie dafür, dass sie zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses verpflichtet bleibt. Indessen sind Gründe der Gesellschaft, die gegen eine Verlegung der Hauptversammlung und für eine virtuelle Hauptversammlung sprechen, zu berücksichtigen. Gegen eine Verlegung könnte sprechen, dass unaufschiebbare Beschlüsse gefasst werden müssen oder gegen Ende des Geschäftsjahres für die Hauptversammlung Ressourcen gebunden würden, die, auch wegen eines möglicherweise erwarteten Geschäftsanstiegs, an anderer Stelle gebraucht werden. Die Abwägung kann im Ergebnis zu einer Reduzierung der Zahlungspflicht der Gesellschaft führen. Gelingt es beiden Seiten trotz guten Willens nicht, einen für beiden Seiten möglichen Ersatztermin für eine physische Hauptversammlung zu finden, ist der Vertrag gemäß § 313 Abs. 1 BGB anzupassen. Dies dürfte im Zweifel zu einer hälftigen Teilung des Risikos führen, d. h. die Gesellschaft bleibt zur Zahlung der halben Miete verpflichtet. Gegenüber dem Caterer bedeutet dies, dass dieser nach Abzug der ersparten Aufwendungen die Hälfte der verbleibenden vereinbarten Vergütung verlangen kann. Gleiches gilt für HV-Dienstleister.

Was aber gilt, wenn aus heutiger Sicht ungewiss ist, ob am geplanten HV-Termin noch ein Versammlungsverbot bestehen wird? Die Gesellschaft muss angesichts dieser objektiv bestehenden Ungewissheit entscheiden, ob sie an dem ursprünglichen Hauptversammlungstermin festhält oder nicht. Eine frühzeitige Absage wird in der Regel nicht gerechtfertigt sein, sofern eine Verlegung auf einen späteren Termin im Geschäftsjahr möglich wäre und von den Vertragspartnern auch angeboten wird. Eine verfrühte Absage oder ein Wechsel zur Online-Hauptversammlung ohne Rücksicht auf mögliche Ersatztermine kann dazu führen, dass die Gesellschaft gegenüber ihren Vertragspartnern zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet bleiben, wobei bei Werkverträgen eine etwaige Anrechnung gemäß § 648 Satz 2 BGB möglich bleibt.

Auf jeden Fall ist zu empfehlen, sich frühzeitig mit den Vertragspartnern über die Hauptversammlung und eine etwaige Verlegung in Verbindung zu setzen. Einvernehmliche Lösungen sind, auch im Hinblick auf die künftige Zusammenarbeit, stets vorzuziehen.

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