Mit ihrem Report zum digitalen Euro schürt die EZB die Debatte um die Digitalisierung des Geldes. Wie genau das Geld des 21. Jahrhunderts aussehen wird, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Vielmehr ist gegenwärtig ein Innovationswettbewerb zwischen Zentralbanken, Tech-Unternehmen sowie (dezentralen) Kryptowährungen zu beobachten. Der Beitrag gibt einen Überblick über die aktuelle Debatte zur Einführung von digitalem Zentralbankgeld.
I. Digitales Geld im Fokus der Zentralbanken
Angetrieben durch die rasante Entwicklung privater digitaler Währungen diskutieren Zentralbanken weltweit das Potenzial von digitalem Geld. Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) befassen sich derzeit 80 Prozent aller Zentralbanken mit sog. CBDCs (Central Bank Digital Currencies), wobei 20 Prozent der befragten Zentralbanken eine Einführung in den nächsten sechs Jahren für wahrscheinlich halten. Die EZB betont, noch keine endgültige Entscheidung zu dieser Frage getroffen zu haben. Gleichzeitig antizipiert sie Szenarien, die die Einführung eines digitalen Euros erforderlich machen könnten. Als potenzielle Gründe nennt die EZB unter anderem die Förderung der Digitalisierung der europäischen Wirtschaft sowie eine Stärkung der internationalen Bedeutung des Euros, aber auch eine mögliche Konkurrenz durch private Kryptowährungen oder ausländisches digitales Zentralbankgeld. Andere Länder wie beispielsweise China sind bereits einen Schritt weiter: So wird der „E-Yuan“ (offiziell: Digital Currency Electronic Payment (DCEP)) in kleinen Mengen über Verlosungen testweise an die Bevölkerung ausgegeben; in einem bestimmten Zeitraum kann das digitale Geld zur Zahlung bei ausgewählten Händlern genutzt werden.
II. Einordnung von CBDCs
Erste Erfahrungsberichte aus China fallen trotz der großen Aufmerksamkeit zunächst bescheiden aus. Das Bezahlen mit dem E-Yuan unterscheidet sich nämlich nur unwesentlich von bekannten Mobile-Payment-Lösungen: durch eine Handyberührung oder den Scan eines QR-Codes wird eine Zahlung ausgelöst. Mag es von außen auch nicht erkennbar sein, so besteht in rechtlicher Hinsicht gleichwohl ein fundamentaler Unterschied: das eine Mal wird echtes (Zentralbank-)Geld übertragen, das andere Mal lediglich ein Anspruch auf die Auszahlung von Geld. Um diesen Unterschied greifbarer zu machen, sollen CBDCs eingangs von Kryptowährungen und Buchgeld abgegrenzt werden.
1. Abgrenzung von dezentralen Kryptowährungen
Vielfach werden CBDCs mit Kryptowährungen wie dem Bitcoin verglichen. Bis auf ihre digitale Natur haben beide Konzepte allerdings wenig gemeinsam. Ursprünglich war zwar auch der Bitcoin als digitales Bargeld gedacht, rechtlich qualifiziert er sich hingegen weder als Bargeld noch als sonstige Geldvariante. Der Grund liegt darin, dass der Bitcoin nicht von einer (Zentral-)Bank emittiert, sondern durch Computer errechnet und auf einem dezentral organisierten Buchungssystem, einer Blockchain, gespeichert und gehandelt wird. Es gibt somit keine Instanz, die die Menge der Bitcoins kontrolliert, ihren Wert bestimmt oder den Handel organisiert.
Auch funktional konnte sich der Bitcoin bislang nicht als Alternative zum Bargeld etablieren. Dies liegt einerseits an der starken Volatilität des Bitcoin-Kurses, durch welche jedem Zahlungsvorgang automatisch ein spekulatives Element anhaftet. Insbesondere bei großen Geschäftsvolumen und längeren Abwicklungszeiträumen werden solche Kursschwankungen virulent.
Aber auch für kleine, alltägliche Zahlungen eignet sich der Bitcoin aufgrund der verbundenen Kosten nur beschränkt: Im vergangenen Jahr musste bei einer Übertragung von Bitcoins mit Gebühren von mehreren Euro pro Transaktion (abhängig von der Auslastung des Netzwerkes) gerechnet werden. Für große Finanzgeschäfte ist das bemerkenswert preiswert, bei kleinen Alltagsgeschäften übersteigt die Gebühr jedoch schnell den eigentlichen Zahlbetrag.
All das führte dazu, dass der Bitcoin derzeit weniger als Zahlungsmittel und vielmehr als Investitionsobjekt fungiert. Entsprechend hat sich das Bild vom digitalen Bargeld verschoben: Der Bitcoin versteht sich nunmehr als „digitales Gold“ und gewinnt in dieser Eigenschaft zunehmend an Anerkennung. Doch auch wenn sich der Anlegerkreis allmählich professionalisiert, so bleibt die Kryptowährung umstritten. Bitcoin-Investitionen müssen nach wie vor als risikoreiches Spekulationsgeschäft betrachtet werden.
2. Abgrenzung von Stablecoins
Sogenannte Stablecoins ähneln herkömmlichen Zahlungsmitteln weitaus stärker. Bei Stablecoins handelt es sich um Kryptowährungen, die mit Werten – zumeist staatliche Währungen, Rohstoffen oder anderen Kryptowährungen – unterlegt sind und dadurch eine hohe Wertstabilität aufweisen. Um die Verknüpfung zwischen Stablecoin und Realwert herzustellen, bedarf es allerdings eines Mittelsmannes, der den Stablecoin einerseits emittiert und andererseits für die Realwertdeckung Sorge trägt. Vielfach qualifizieren sich Stablecoins damit als E-Geld.
Eine vollkommen neue Dimension erreichen Stablecoins, wenn sie von Unternehmen mit globaler Reichweite emittiert werden (sog. Global Stablecoins). Besonderes Aufsehen erregte in diesem Zusammenhang die von Facebook initiierte Kryptowährung Diem (ursprünglich Libra). Vor allem die enorme Nutzerbasis von Facebook weckte in Politikern, Regulatoren und Zentralbanken die Befürchtung einer raschen, grenzüberschreitenden Massenadaption bis hin zur Substitution staatlicher Währungen.
Der Emittent eines Global Stablecoins erhält zwangsläufig Verfügungsgewalt über signifikante Geldmengen bzw. Staatsanleihen, mit denen er seinen Stablecoin abdeckt. Dies verleiht ihm einen kritischen Einfluss und birgt Risiken für die Währungssouveränität ganzer Nationen und ihre Finanzstabilität. Systemstörungen – ob technischer, ökonomischer oder sonstiger Natur – hätten überdies weitreichende Implikationen für den Zahlungsverkehr. Zudem erlangt der Emittent sensible Informationen über das Zahlungsverhalten seiner Nutzer, womit datenschutzrechtliche Bedenken aufkommen.
Um diese systemrelevanten Risiken abzufangen, wird einerseits international an Sonderregelungen für Global Stablecoins gearbeitet (vgl. Report des Financial Stability Boards (FSB) und der Entwurf der Europäischen Kommission zur Verordnung über die Regulierung von Kryptomärkten (MiCA)). Andererseits sind Global Stablecoins ein zentraler Treiber für die auflebende Diskussion um die Einführung von CBDCs.
3. Abgrenzung von Buchgeld
Im Unterschied zu Stablecoins sind CBDCs nicht bloß durch Geld gedeckt, sie selbst sind Zentralbankgeld. Allerdings in einem neuen digitalen Gewand. Herkömmlich existiert Zentralbankgeld nur in Form von Bargeld und von Guthaben bei der Zentralbank. Allgemeinzugänglich ist dabei derzeit nur das Bargeld; Konten bei der Zentralbank sind hingegen Geschäftsbanken vorbehalten.
Zentralbankgeld hat den großen Vorteil, dass es risikofrei ist. Für Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel nach Art. 128 I 3 AEUV liegt dies auf der Hand. Aber auch Forderungen gegen die Zentralbank sind sicher. Ein Anspruch gegen die Zentralbank wird als „as good as cash“ erachtet.
Anders verhält es sich mit Gutschriften auf dem Girokonto bei einer Geschäftsbank. Im Alltag entsteht schnell der Eindruck, Buchgeld sei „echtes“ Geld, das lediglich über die Geschäftsbanken verteilt wird. In Wirklichkeit dokumentiert die Sichteinlage auf einem Bankkonto allerdings nur einen Auszahlungsanspruch gegen die Geschäftsbank – ein entscheidender Unterschied, denn diese Ansprüche sind (trotz Einlagesicherung) mit Ausfallrisiken behaftet.
Eine allgemeinzugängliche CBDC wäre hingegen Zentralbankgeld wie Bargeld, nur ohne die materiellen Einschränkungen. Insbesondere die Verwahrung und Übertragung großer Beträge wäre elektronisch und kostengünstig möglich. Zudem dürfte eine CBDC effizienter bei grenzüberschreitenden Transkationen performen.
III. Risiken von CBDCs
Die Idee von allgemeinzugänglichen Zentralbankgeld ist nicht neu. Ihr stand bislang allerdings die Befürchtung entgegen, dass eine solche digitale Währung den Geschäftsbanksektor gefährden würde. Die Existenz einer CBDC würde nämlich in Konkurrenz zu den Dienstleistungen der Geschäftsbanken treten. Für den einzelnen Anleger könnte es attraktiver werden, seine Einlagen von seinem Geschäftskonto abzuziehen und sie risikolos in CBDCs zu überführen.
Dieser Effekt würde nicht nur die Geschäftsbanken, sondern die gesamte Finanzwirtschaft betreffen. Denn ein Mangel an Einlagen würde sich auf die Kreditvergabemöglichkeiten der Geschäftsbanken auswirken. Kreditklemmen bzw. die Verteuerung von Krediten wären die Folge und würden die wirtschaftliche Betätigung insgesamt hemmen. Virulent wird der Geldabfluss in der Krise. Denn hier entstünde ein starker Anreiz zur Umwandlung der Einlagen in Zentralbankgeld. Ist dieser Prozess online per Mausklick möglich, würde das die Gefahr von „bank runs“ immens verschärfen und die Stabilität des Finanzsystems gefährden.
Neben dem Schutz des zweistufigen Banksystems werden auch geldpolitische Einwände gegen einen allgemeinzugänglichen digitalen Euro erhoben. Sollte sich ein solcher global verbreiten und lokale Währungen verdrängen, sind negative wirtschaftliche Reflexe denkbar. Vor allem könnte es zu Kursanstiegen des digitalen Euros kommen, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen im europäischen Wirtschaftsraum geschmälert werden könnte.
IV. Eigenschaften des digitalen Euros
Den dargestellten Risiken könnte durch eine entsprechende Konzeption des digitalen Euros begegnet werden. Die Gestaltungsspielräume sind hierbei groß. Mit Blick auf den Report der EZB sollen ausgewählte Aspekte skizziert werden.
- Verfügbarkeit: Die EZB erwägt Beschränkungen der Verfügbarkeit eines digitalen Euros in zweierlei Hinsicht. Zum einen werden Höchstgrenzen angedacht, um einen Abfluss von Geldern aus dem Geschäftsbankbereich zu verhindern. Zum anderen werden geographische Einschränkungen erwogen, um der Verdrängung ausländischer Währungen entgegenzuwirken.
- Negativzinsen: Zur Verhinderung einer Substitution von Geschäftsbankgeld durch den digitalen Euro werden zudem Negativzinsen auf CBDC-Guthaben angesprochen. Diese könnten auch mit einem (zinsfreien) CBDC-Höchstbetrag kombiniert und/oder abhängig vom Volumen gehaltener digitaler Euros gestaffelt werden.
- Übertragbarkeit: Strukturell könnte der digitale Euro entweder kontobasiert oder aber in Form eines digitalen Tokens ausgestaltet werden. Im ersten Fall wäre die Identität des Inhabers Bezugspunkt der Verifikation, in letzterem die des Geldes. CBDC-Token würden eher digitalem Bargeld entsprechen und könnten unmittelbar übertragen werden. Eine kontobasierte Lösung wäre hingegen mit Buchgeld der Zentralbank vergleichbar.
- Programmierbarkeit: Ein zentraler Vorteil von digitalen Währungen liegt in ihrer Programmierbarkeit. Über Smart Contracts lassen sich Zahlungsabwicklungen automatisieren und Austauschbeziehungen synchronisieren. Insbesondere für die zunehmende Vernetzung physischer Gegenstände (IoT-Sektor) und die Token-Ökonomie wäre die Programmierbarkeit des digitalen Euros von zentraler Bedeutung. Die EZB hält sich hierzu aber bislang vage. (Ausführlich dazu aber: Deutsche Bundesbank, "Geld in programmierbaren Anwendungen")
- Anonymität: Weitaus klarer wird aus dem Report, dass Zahlungen mit dem digitalen Euro nicht uneingeschränkt anonym ablaufen werden, um Wirtschaftskriminalität und Terrorismusfinanzierung vorzubeugen. Möglich sein wird allenfalls Anonymität bei kleineren Zahlungen bis zu einem bestimmten Grenzwert.
- Offline Nutzung: Die EZB legt einen Akzent darauf, dass der digitale Euro auch offline nutzbar sein sollte. Dies ließe sich beispielsweise dadurch erreichen, dass der digitale Euro heruntergeladen und auf einem physischen Träger gespeichert werden kann.
V. Fazit
Viele Fragen in Bezug auf den digitalen Euro bleiben auch nach dem Report der EZB offen. Dennoch erscheinen einige Dinge klarer: Zum einen wird deutlich, dass die Einführung eines digitalen Euros zunehmend wahrscheinlich wird. Nicht verkannt werden darf dabei allerdings, dass eine potenzielle Einführung in jedem Fall Jahre in Anspruch nehmen würde.
Zum zweiten macht die EZB unmissverständlich klar, dass Geschäftsbanken bleiben und auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen werden. Serviceleistungen für den Massenverkehr wie beispielsweise die Kundenidentifikation, die Erstellung von Kundenoberflächen und die Verwahrung von Kundenzugängen (Private Keys) sind bei den Geschäftsbanken besser aufgehoben als bei der EZB. Denkbar ist darüber hinaus sogar, dass private Banken an der Ausgabe des digitalen Euros beteiligt werden. Heiß diskutiert werden hybride Ansätze, bei denen die EZB nur Schnittstellen für Privatbanken öffnet und letztere dann den digitalen Euro an die Bevölkerung weiterverteilen. Ein wesentlicher Teil der Zahlungsinfrastruktur um den digitalen Euro bliebe dann dem Privatsektor vorbehalten.