Seit Anfang des Jahres sorgt die Ausbreitung des Corona-Virus für weltweit zunehmende Verunsicherung. In zahlreichen Ländern kam es seit Jahresbeginn zu einer Vielzahl an Neuinfektionen. Und selbst innerhalb Europas besteht nach Einschätzung von Fachleuten inzwischen das Risiko einer echten Pandemie. Auch die Wirtschaft bekommt die Auswirkungen immer stärker zu spüren. So wird in den Medien inzwischen täglich über Lieferengpässe, Bandstillstände, Betriebsschließungen und Kurzarbeit berichtet. Und mit einer weiteren Zunahme dieser Effekte ist zu rechnen. Für betroffene Unternehmen stellen sich in diesem Zusammenhang zahlreiche zivilrechtliche Fragen, die im Folgenden kurz angerissen werden sollen.
Tatsächliche und rechtliche Auswirkung auf Lieferverträge
Das Corona-Virus kann sich unmittelbar oder mittelbar auf Unternehmen auswirken,
z. B. durch
- Infektionen im Unternehmen selbst, die zum Ausfall von wichtigen Teilen der Belegschaft führen;
- Folge- und Schutzmaßnahmen bei festgestellter Infektion (z. B. durch vorsorgliche Betriebsschließung; Abschottung von bestimmten Regionen), oder
- einen Mangel an Zulieferteilen, weil betroffene Zulieferer aufgrund des Corona-Virus ihren Lieferpflichten nicht nachkommen können.
Ist ein Unternehmen in seiner Tätigkeit durch den Corona-Virus beeinträchtigt, sollten die bestehenden Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten und Abnehmern möglichst umgehend vor allem auf folgende Punkte hin analysiert werden:
- Leistungshindernisse/Höhere Gewalt
- Verzug und Informationspflichten
- Versicherungsdeckung
- Schadensersatzansprüche
Auf diese Weise kann man sich als betroffenes Unternehmen frühzeitig Klarheit darüber verschaffen, ob und in wieweit vertragliche Pflichten durch den Corona-Virus weiter (modifiziert) fortbestehen oder ausgesetzt wurden und welche Rechte, Obliegenheiten und Haftungsrisiken bestehen.
Leistungshindernisse/Höhere Gewalt
Die oben beschriebenen Auswirkungen können je nach konkreter Fallgestaltung als rechtlich relevantes Leistungshindernis oder sogar als Fall höherer Gewalt einzustufen sein. Hierdurch kann die (Gegen-)Leistungspflicht des betroffenen Unternehmens temporär suspendiert werden oder sogar vollständig entfallen. Maßgeblich ist insoweit zunächst, ob und in wieweit die Parteien hierzu vertragliche Absprachen getroffen haben und ob diese – gerade im AGB-Bereich – auch wirksam vereinbart wurden. Daneben ist aus deutschrechtlicher Sicht vor allem auf die gesetzlichen Bestimmungen des BGB, HGB und – bei internationalen Lieferbeziehungen häufig auch – des CISG (UN-Kaufrecht) abzustellen.
Verzug und Informationspflichten
Voraussetzung des Lieferverzugs ist, dass die Leistungserbringung noch möglich ist. Je nach Einzelfall (z. B. im Fall des absoluten Fixgeschäfts) kann die Leistung bei zeitlicher Verzögerung auch bereits als unmöglich anzusehen sein. In diesem Fall greifen in der Regel noch weitergehende Folgen. So kann dem Vertragspartner in diesem Fall neben dem Anspruch auf Schadensersatz auch ein Rücktrittsrecht zustehen.
Umgekehrt gerät der Lieferant nicht in Verzug, wenn die Leistung aufgrund eines Umstandes, den er nicht zu vertreten hat, unterblieben ist. Das bedeutet, dass nicht jeder Lieferengpass wegen des Corona-Virus gleich zu Verzug und damit zu einer Haftung des Lieferanten führt. Entscheidend ist hier, im Einzelfall zu prüfen, wie weit die Pflichten des Lieferanten reichen und in wieweit dieser auch das Beschaffungsrisiko übernommen hat.
Wichtig ist, dass betroffene Unternehmen, die nicht rechtzeitig liefern können, prüfen, ob sie verpflichtet sind, ihre Vertragspartner möglichst frühzeitig und umfassend über die Art und das Ausmaß der Verzögerung zu informieren. Sonst können Schadensersatzansprüche möglicherweise wegen Verletzung der Informationspflicht geltend gemacht werden. Solche Pflichten können sich vor allem aus ausdrücklicher vertraglicher Abrede oder als vertragliche Nebenpflicht aus Treu und Glauben ergeben.
Versicherungsdeckung
Falls Betriebe vorübergehend schließen oder ihre Produktion herunterfahren müssen, stellt sich die Frage, ob ein Versicherungsschutz aus der eigenen abgeschlossenen Versicherung (z. B. Betriebsunterbrechungsversicherung, All-Risk-Versicherung) besteht. Der Versicherungsschutz umfasst je nach Ausgestaltung des Vertrages entgangenen Gewinn, die nicht erwirtschafteten fixen Kosten oder sogar die Absicherung von Rückwirkungsschäden, sofern im Rahmen der Vertragsgestaltung mögliche Schäden im Zusammenhang mit den direkten Zulieferern und Abnehmern in den Versicherungsschutz einbezogen worden sind. Da die Ausgestaltung von Versicherungsverträgen sehr vielseitig sein kann und der Versicherungsmarkt sehr groß ist, muss die Frage danach, wann der Versicherungsschutz greift und in welchem Umfang der Versicherungsschutz besteht, mittels der konkreten Versicherungspolice geprüft werden. Um den Deckungsschutz nicht zu gefährden, sollte darauf geachtet werden, dass alle Obliegenheiten unter dem Versicherungsvertragsverhältnis (vor allem in Form von Mitteilungspflichten) eingehalten werden.
Schadensersatzansprüche
Auch Schadensersatzansprüche kommen in vielfältigen Konstellationen in Betracht: Als direkte Schadensersatzansprüche eines Unternehmens oder eines Endkunden gegen den Lieferanten, oder mittelbar, als Regressanspruch über die Lieferkette. Nach deutschem Recht setzen Schadensersatzansprüche in der Regel ein Verschulden desjenigen voraus, der in Anspruch genommen wird. Mitunter bestehen solche Ansprüche jedoch auch verschuldensunabhängig, z. B. wenn eine Garantiezusage mit entsprechendem Inhalt getroffen wurde. Zur Vermeidung von Nachteilen ist wichtig, dass Anspruchsteller ihre Schadensminderungspflicht erfüllen. Außerdem muss bei Minderlieferungen auf eine rechtzeitige und formwirksame kaufmännische Rüge geachtet werden, da andernfalls Ersatzansprüche ausgeschlossen sind.
Fazit
Die obigen Ausführungen zeigen: Potentiell betroffene Unternehmen sollten sich möglichst frühzeitig ein Bild davon machen, welche Pflichten und Obliegenheiten zur Vermeidung von Nachteilen erfüllt werden müssen und welche Maßnahmen zur Sicherung von Rechten getroffen werden müssen.
Sollten Sie konkrete Fragen haben, kommen Sie gerne auf uns zu.
Stand 04.03.2020