Seit Herbst 2021 bietet eine wachsende Zahl von Schnelllieferdiensten (etwa First A, MAYD, Phaster, Volt/Apocity) in deutschen Großstädten die Bestellung und Lieferung von Arzneimitteln per App innerhalb von 30 Minuten oder weniger an die Türschwelle an.
Eine App bildet dabei die Vermittlungs- und Kommunikationsplattform zwischen Apotheken, die mit den Schnelllieferdiensten kooperieren, und den Kundinnen und Kunden. Die Lieferung erfolgt dann zumeist durch bei dem jeweiligen Schnelllieferdienst angestellte (Fahrrad-)Kuriere. Das Sortiment ist (noch) auf OTC-Arzneimittel und sonstige apothekenübliche Waren (Corona-Tests, Nahrungsergänzungsmittel etc.) begrenzt.
Mit der zu erwartenden umfassenderen Nutzung des E-Rezepts soll im Verlauf des Jahres 2022 auch die Auslieferung von Rx-Arzneimitteln ermöglicht werden, was die Marktrelevanz der Angebote und die Konkurrenzsituation zu „normalen“ Offizin-Apotheken aber auch zu Versandapotheken nochmals erheblich verschärfen dürfte.
Dr. Enno Burk und Dilara Puls aus unserem Berliner Healthcare-Team fassen die aktuellen Entwicklungen und den zugrundeliegenden Rechtsrahmen zusammen.
I. Botendienst oder Versandhandel?
1. Ausgangspunkt einer rechtlichen Einordnung von Schnelllieferdienste ist die Frage, ob diese als Boten der Apotheke einzuordnen sind oder durch die Einbindung von Schnelllieferdiensten seitens der Apotheke bereits die Grenze zum erlaubnispflichtigen Versandhandel überschritten wird:
- Eine Zustellung durch Boten i.S.d. § 17 Abs. 2 ApBetrO ist dann anzunehmen, wenn die Apotheke festlegt, welche natürliche Person das Arzneimittel außerhalb der Apothekenbetriebsräume aushändigt und diese Person dem Weisungsrecht des Apothekenleiters unterliegt.
- Legt eine dritte Person auch nur vorübergehend fest, welche konkrete natürliche Person dem Kunden oder seiner Empfangsperson das Arzneimittel außerhalb der Apothekenbetriebsräume aushändigt und hat dieser Dritte der aushändigenden Person gegenüber ein direktes Weisungsrecht, so soll eine Zustellung im Wege des Versandes vorliegen.
2. Schnelllieferdienste operieren bisher – soweit ersichtlich – ausschließlich als „Boten der Apotheke“ und nicht als deren Versender.
II. Können Boten der Apotheke rechtlich selbständige Schnelllieferdienste sein?
1. Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 S. 1 ApBetrO verlangt nicht, dass die Boten in einem Anstellungsverhältnis zur Apotheke stehen. Für diese Sichtweise sprechen auch die Entstehungsgeschichte und Systematik der maßgeblichen Regelung in § 17 ApBetrO. Auch Kapital- oder Personengesellschaften mit Angestellten können demzufolge „Boten der Apotheke“ sein.
2. Die ABDA vertritt jedoch die Gegenauffassung und verlangt ein Anstellungsverhältnis der Boten bei der Apotheke. Eine gerichtliche Entscheidung dieser Frage steht noch aus, wobei rechtlich valide Argumente für die ABDA-Position nicht ohne weiteres ersichtlich sind.
III. Pharmazeutische Beratung bei Schnelllieferdiensten
Unabhängig von der rechtlichen Stellung der Boten muss die Auslieferung den Vorgaben zur pharmazeutischen Informations- und Beratungspflicht nach § 20 ApBetrO sowie den speziellen Vorgaben des § 17 ApBetrO genügen.
- Nach § 17 Abs. 2 Satz 5 ApBetrO hat eine Zustellung der Arzneimittel durch „pharmazeutisches Personal der Apotheke“ zu erfolgen, wenn vor der Auslieferung keine Beratung stattgefunden hat.
- Da die Fahrradkuriere der Schnelllieferdienste kein „pharmazeutisches Personal“ der Apotheke sind, bieten die kooperierenden Apotheken den Kunden vor der Bestellung eine telefonische pharmazeutische Beratung an. Auch Videokonsultationen mit Apothekenpersonal (etwa über vom Boten mitgeführte Smartphones) sind denkbar.
IV. Transparenzanforderungen: Vertragspartner ist Apotheke und nicht der Schnelllieferdienst
- Während des Bestell- und Auslieferungsvorgangs ist gegenüber dem Kunden eine klar und unmissverständliche Kommunikation dahingehend erforderlich, dass das Arzneimittel nicht durch den externen Schnelllieferdienst abgeben wird, sondern von einer konkret benannten Apotheke.
- Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, dass der Schnelllieferdienst selbst keine Apotheke ist und damit weder Vertragspartner für den Arzneimittelkaufvertrag, noch für die (pharmazeutische) Beratung sowie sonstiger der Apotheke obliegender Pflichten gegenüber dem Kunden verantwortlich ist.
V. Ausblick
1. Die Entwicklung der Schnelllieferdienste in Deutschlands Großstädten steht erst am Anfang. Sobald das Angebot durch die Etablierung des E-Rezepts auch auf verschreibungspflichte Arzneimittel ausgedehnt werden kann, ist ein starker Anstieg der Nachfrage und damit auch des Potenzials der Schnelllieferdienste zu erwarten.
2. Ab diesem Zeitpunkt sprechen zumindest aus Sicht von Kunden, die den Umgang mit einem Smartphone und Online-Bestellprozessen gewohnt sind, nur noch wenige Gründe gegen die bequeme Bestellung insbesondere verschreibungspflichtiger Arzneimittel per App:
- Sie ersparen sich im kranken Zustand den Weg in die Apotheke und erhalten das Arzneimittel dennoch ohne den Zeitverlust, der mit einer Bestellung bei einer Versandapotheke einhergeht und daher den wirtschaftlich attraktiven Rx-Anteil (außer bei chronisch Kranken) im Versandgeschäft begrenzt.
- Gleichzeitig ist eine pharmazeutische Beratung durch den Apotheker auch per Videokonferenz oder Telefon ohne Qualitätsverlust möglich.
3. Das E-Rezept dürfte damit in Kombination mit der Bezugsmöglichkeit über einen Schnelllieferdienst zu einem signifikanten Wettbewerbsvorteil leistungsfähiger Offizin-Apotheken in urbanen Regionen im Vergleich mit weiter entfernt oder im EU-Ausland gelegenen Versandapotheken sowie gegenüber Offizin-Apotheken, die nicht mit einem Schnelllieferdienst kooperieren, führen.