Das deutsche Recht regelt eine allgemeine Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit bisher nicht ausdrücklich. In einem Beschluss vom 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) allerdings festgestellt, dass Arbeitgeber auf Grundlage von § 3 Arbeitsschutzgesetz – bereits heute – unmittelbar verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der (täglichen) Arbeitszeit für alle Arbeitnehmer einzuführen (Beitrag vom 7. Dezember 2022). Wesentliche Fragen, insbesondere, in welcher Form die Arbeitszeit aufzuzeichnen ist, ließ das BAG offen. Die Rechtsunsicherheiten sollen durch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) beseitigt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat dazu jetzt einen Referentenentwurf (im Folgenden einfach „Entwurf“) vorgelegt. Dessen wesentliche Inhalte fassen wir nachstehend zusammen:
Wesentliche Inhalte des Entwurfs
I. Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit
Eine allgemeine ausdrückliche Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit soll in § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E verankert und im Einzelnen wie folgt ausgestaltet werden:
- Wessen Arbeitszeit ist aufzuzeichnen?
Es ist die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer im Sinne des ArbZG aufzuzeichnen (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E). Arbeitnehmer, die nach § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) als leitende Angestellte anzusehen sind, fallen nicht darunter (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 ArbZG). In Tarifverträgen und durch Tarifverträge zugelassenen Betriebsvereinbarungen (zusammen im Folgenden einfach: „Kollektivverträge“) können weitere Arbeitnehmer von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen werden, nämlich solche, deren Arbeitszeit unter Berücksichtigung der konkret ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird, sondern von den betreffenden Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann (§ 16 Abs. 7 Nr. 3 ArbZG-E). Zu denken ist hier etwa an Führungskräfte, die nicht verpflichtet sind, zu bestimmten Zeiten im Betrieb anwesend zu sein.
- Wer muss die Arbeitszeit aufzeichnen?
Die Aufzeichnungspflicht trifft den Arbeitgeber (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E). Die Durchführung kann er allerdings an Dritte, etwa Vorgesetzte, oder den Arbeitnehmer selbst delegieren; in diesem Fall bleibt der Arbeitgeber allerdings für eine ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich (§ 16 Abs. 3 ArbZG-E).
- Welche Arbeitszeitdaten sind aufzuzeichnen?
Es sind Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzuzeichnen (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E).
- Wann muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Die Aufzeichnung der Arbeitszeit hat jeweils am Tag der Arbeitsleistung zu erfolgen (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E). Eine nachträgliche Aufzeichnung ist (nur) zulässig, wenn ein Kollektivvertrag dies bestimmt – auch dann ist die Aufzeichnung aber spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages vorzunehmen (§ 16 Abs. 7 Nr. 2 ArbZG-E).
- In welcher Form muss die Arbeitszeit aufgezeichnet werden?
Die Arbeitszeit ist grundsätzlich elektronisch aufzuzeichnen (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E), also zum Beispiel mittels einer App, Excel, etc. Aufzeichnungen in anderer Form, etwa händisch auf Papier, sind ausweislich § 16 Abs. 8 S. 1 bis S. 3 ArbZG-E in einer Übergangszeit nach Inkrafttreten des Gesetzes zulässig, deren Dauer mit sinkender Arbeitnehmeranzahl zunimmt, wobei unklar bleibt, ob die Schwellenwerte betriebs- oder unternehmensbezogen zu verstehen sind. Im Übrigen kann eine nichtelektronische Aufzeichnung (nur) in Kollektivverträgen vereinbart werden (§ 16 Abs. 7 Nr. 1 ArbZG-E).
II. Pflicht zur Aufbewahrung und Auskunft
Neben der Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit sieht der Entwurf vor, dass die erstellten Aufzeichnungen zwei Jahre lang aufzubewahren sind (§ 16 Abs. 2 S. 3 ArbZG-E). Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer auf dessen Verlangen über die Arbeitszeitnachweise bzw. erstellten Aufzeichnungen zu informieren und eine Kopie zur Verfügung zu stellen (§ 16 Abs. 5 ArbZG-E).
III. Folgen von Pflichtverstößen
Verstöße gegen die dargestellten Pflichten (ordnungsgemäße Aufzeichnung, Aufbewahrung, Auskunft) sollen künftig Ordnungswidrigkeiten des Arbeitgebers darstellen (§ 22 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 ArbZG-E), die mit Bußgeldern geahndet werden können.
IV. Bedeutet das Vorhaben das Aus für die sog. Vertrauensarbeitszeit?
Der Entwurf verneint die Frage. Vertrauensarbeitszeit soll danach trotz Aufzeichnungspflicht möglich bleiben. Auch in Fällen, in denen der Arbeitgeber auf eine Kontrolle der Arbeitszeit verzichtet und dem Arbeitnehmer insoweit Vertrauen entgegenbringt, sind aber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit (durch den Arbeitnehmer) aufzuzeichnen. Der Arbeitgeber muss zudem sicherstellen, dass ihm Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden (§ 16 Abs. 4 ArbZG-E), zum Beispiel, indem er ein elektronisches Zeiterfassungssystem einführt, das entsprechende Überschreitungen automatisch meldet. Eine Vertrauensarbeitszeit, in der die für die Arbeit aufgewendete Zeit völlig unerheblich sein soll, kann es deswegen nach dem Entwurf nicht geben.
Kommentar
Das Vorhaben ist – Stand jetzt – im Wesentlichen auf eine ausdrückliche Regelung der bereits bestehenden Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit beschränkt. Der Entwurf schlägt Antworten auf diesbezüglich offene Fragen vor. Der Gesetzgeber scheint jedoch erneut keinen „großen Wurf“ zu wagen und weitere drängende Arbeitszeitthemen der Gegenwart zu behandeln, insbesondere die ungeklärte Kernfrage, was eigentlich (aufzuzeichnende) Arbeitszeit ist. Bei aller Aufregung, die der vorgestellte Entwurf innerhalb kürzester Zeit erzeugt hat, ist zu beachten, dass es sich um einen ersten Aufschlag durch das BMAS handelt, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet. Einige Vertreter der „Ampelkoalition“ haben schon kurz nach Bekanntwerden des Entwurfs Nachbesserungen gefordert. Bis zu einem fertigen Gesetz ist es noch ein Stück. Die Hoffnung auf Änderungen in Richtung einer echten Modernisierung des Arbeitszeitrechts bleibt.