Am 2. Februar dieses Jahres hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, die die Kommission zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung der Europäischen Betriebsräte-Richtlinie (EU-RL 2009/38) auffordert. Die Resolution sieht u.a. die Erweiterung der Rechte der Europäischen Betriebsräte, die Beteiligung von Gewerkschaften, die Verpflichtung von Unternehmensleitungen zu mehr Konsultationen mit den Europäischen Betriebsräten und die Erleichterung der Durchsetzung der Richtlinie für die Europäischen Betriebsräte mittels gerichtlicher Beschwerdemöglichkeiten und finanzieller Sanktionen vor.
I. Was regelt die Europäische Betriebsräte-Richtlinie?
Die Europäische Betriebsräte-Richtlinie hat das Ziel, in gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen mit über 1000 Arbeitnehmern von denen jeweils mindestens 150 Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt sein müssen, das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung zu stärken. Hierzu legt die Richtlinie ein Verfahren fest, welches beinhaltet, dass die Arbeitnehmer – vertreten durch ein besonderes Verhandlungsgremium – gemeinsam mit der zentralen Leitung eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe verhandeln, um eine Vereinbarung zur Errichtung eines Europäischen Betriebsrates zu erzielen. Scheitern die Verhandlungen über eine Vereinbarung über die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates oder eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, wird subsidiär ein Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes errichtet.
II. Aktuelle Rechtslage und Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Die Regelungen und Voraussetzungen über die Bildung Europäischer Betriebsräte sind seit dem 6. Mai 2009 in der EU-Richtlinie 2009/38 und in den diese umsetzenden nationalen Rechtsakten geregelt, in Deutschland durch das Europäischen Betriebsrätegesetz (EBRG).
Das Europäische Parlament hat sich nun für eine vollständige Überarbeitung der Richtlinie ausgesprochen. Mit Resolution vom 2. Februar 2023 hat das Europäische Parlament einen Report des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten angenommen, in welchem die EU-Kommission aufgefordert wird, bis zum 31. Januar 2024 einen Vorschlag für eine überarbeitete Europäische Betriebsräte-Richtlinie einzureichen.
Der Kommission bleiben nun zunächst drei Monate – also bis Anfang Mai – Zeit, um dem Europäischen Parlament entweder über die konkrete Weiterbehandlung des Vorhabens zu berichten oder Gründe darzulegen, warum sie den Änderungsvorschlag nicht weiterverfolgt.
Der das Gesetzgebungsverfahren einleitende Vorschlag durch die Kommission muss dann – im Falle der Weiterbehandlung – bis zum 31. Januar 2024 zu erfolgen. Dieser Vorschlag muss nicht inhaltsgleich mit der Resolution des Europäischen Parlaments sein; der Kommission steht hier ein weites Ermessen zu.
III. Inhalte der Resolution des Europäischen Parlaments
Die Resolution des Europäischen Parlaments (2019/2183(INL)) enthält unter anderem folgende Änderungsvorschläge für die Europäischen Betriebsräte-Richtlinie:
- Ausweitung der Unterrichtungs- und Anhörungspflichten
Der Begriff „länderübergreifende Angelegenheiten“ soll alle Situationen umfassen, in denen Entscheidungen in einem Mitgliedstaat mit direkter oder indirekter Wirkung für einen anderen Mitgliedstaat getroffen werden.
- Verpflichtende Antwort der zentralen Leitung auf Stellungnahmen des Europäischen Betriebsrates
Die zentrale Leitung des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe soll verpflichtet werden, zu jeder Stellungnahme des Europäischen Betriebsrates eine begründete Antwort abzugeben.
- Stärkung der Rolle der Gewerkschaften
Gewerkschaftsorganisationen sollen befugt werden, das besondere Verhandlungsgremium und den Europäischen Betriebsrat in ihren Beziehungen zur zentralen Leitung zu unterstützen.
- Ausgewogenes Geschlechterverhältnis innerhalb des Europäischen Betriebsrates
Unterrepräsentierte Geschlechter sollen mindestens 40 % der Sitze im Europäischen Betriebsrat sowie in einem etwaigen Ausschuss erhalten.
- Verkürzung des Zeitfensters für Verhandlungen
Die Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung und dem besonderen Verhandlungsgremium sollen zukünftig innerhalb von zwölf Monaten (statt innerhalb von sechs Monaten) nach Antragstellung beginnen können. Statt wie bisher nach drei Jahren sollen schon 18 Monate nach Antragstellung die subsidiären Anforderungen bzgl. der Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates kraft Gesetzes vorliegen, wenn eine Vereinbarung nicht innerhalb von dieser Frist zustande kommt.
- Aufstellung klarerer Regeln zur Vertraulichkeit
Die Mitgliedstaaten sollen klar definieren, unter welchen Bedingungen die zentrale Leitung nicht zur Unterrichtung des Europäischen Betriebsrates oder des Ausschusses verpflichtet ist. Die zentrale Leitung soll den Europäischen Betriebsrat im konkreten Fall über das Vorliegen dieser Geheimhaltungsvoraussetzungen sowie deren Andauer informieren.
- Aufstellung klarerer Regeln für die Konsultationszeitpunkte von zentraler Leitung und Europäischem Betriebsrat
Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass das Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren innerhalb eines Zeitrahmens stattfindet, der es dem Europäischen Betriebsrat erlaubt, vor dem Ende des Unterrichtungs- und Anhörungsverfahrens die Vertreter der jeweils betroffenen Arbeitnehmer in den nationalen und lokalen Betrieben anzuhören. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen zentraler Leitung und Europäischem Betriebsrat über die Frage, ob eine Unterrichtung und Anhörung stattfindet, soll die zentrale Leitung eine schriftliche Stellungnahme abgeben, in der sie erklärt, warum eine Unterrichtung und Anhörung nicht erforderlich ist.
- Rechtsvorschriften und Sanktionen
Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, Rechtsvorschriften und Sanktionen zur effektiven Durchsetzung der Richtlinie einzuführen, insbesondere:
- Die Möglichkeit der Beantragung einstweiliger Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Entscheidungen der zentralen Leitung.
- Gerichtliche Beschwerdeverfahren gegen die unzulässige Anwendung von Vertraulichkeitsausnahmen oder das sonstige Unterlassen von Unterrichtungen und Anhörungen durch die zentrale Leitung.
- Finanzielle Sanktionen, den Ausschluss von öffentlichen Beihilfen oder Subventionen und den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen bei Verletzungen der Richtlinie oder der nach der Richtlinie getroffenen Vereinbarungen.
- Zeitliche Anwendbarkeit der überarbeitenden Richtlinie
Alle Vereinbarungen eines Europäischen Betriebsrates – unabhängig von ihrem ursprünglichen Datum – sollen in den Zuständigkeitsbereich der neuen überarbeiteten Richtlinie und ihrer neuen Regelungen fallen.
- Änderungen der Vorschriften für einen Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes
Bei den für einen Europäischen Betriebsrat kraft Gesetzes geltenden Vorschriften soll folgendes geändert werden:
- Es soll anstelle von einer Sitzung zwei Sitzungen des Europäischen Betriebsrates mit der zentralen Leitung pro Jahr geben.
- Es soll detailliertere Pflichten der zentralen Leitung zur Unterrichtung und Anhörung bei außergewöhnlichen Umständen geben.
- Die Vorschriften sollen eine verstärkte Rolle der Vertreter anerkannter Gewerkschaftsorganisationen auf EU-Ebene vorsehen.
IV. Ausblick
Sollte die Richtlinie der Resolution des Europäischen Parlaments entsprechend umgesetzt werden, würden die Möglichkeiten der Beteiligung Europäischer Betriebsratsgremien deutlich gestärkt und in zentralen Punkten wesentlich verschärft.
Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission sich innerhalb der 3-Monats-Frist bis Anfang Mai für die Weiterbehandlung ausspricht und bis zum 31. Januar 2024 einen Gesetzgebungsvorschlag unterbreitet und falls ja, welche Änderungen in diesem vorgeschlagen werden.