Healthcare und Life Sciences

Europäische Kommission veröffentlicht Entwurf zum Critical Medicines Act

Die Europäische Kommission hat am 11. März 2025 den Entwurf des Critical Medicines Acts (CMA-E) vorgestellt. Die Verordnung soll die Versorgung mit kritischen Arzneimitteln und Arzneimitteln von gemeinschaftlichem Interesse in der EU weiter verbessern und zugleich die europäische Pharmaindustrie sowie die Resilienz Europas stärken. Hintergrund der neuen Verordnung sind zunehmende Lieferengpässe, die durch globale Krisen, geopolitische Spannungen und Abhängigkeiten von wenigen Herstellern oder Drittstaaten verschärft wurden. Die Initiative schließt sich an die bestehende EU-Pharma-Strategie und weitere Maßnahmen gegen Arzneimittelknappheit an, insbesondere an den Vorschlag der Kommission für eine Novelle des europäischen Arzneimittelrechts, mit welchem die Kommission bereits Regelungen für eine bessere Verfügbarkeit und Sicherheit der Versorgung mit Arzneimitteln vorgeschlagen hat.

Ziele des Gesetzesvorhabens

Der Verordnungsentwurf adressiert im Wesentlichen vier Ziele:

  • Beseitigung von Schwachstellen in der Lieferkette und Reduzierung der Abhängigkeiten von Drittstaaten bei der Versorgung mit kritischen Arzneimitteln. Welche Arzneimittel als kritisch einzustufen sind, wird bereits derzeit in einer Liste der European Medicines Agency (EMA) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und den Heads of Medicines Agencies (HMA) festgehalten. Für die Zukunft hält der Vorschlag der Kommission für eine Novelle des europäischen Arzneimittelrechts ein detailliertes Verfahren zur Erstellung und Annahme einer Unionsliste der kritischen Arzneimittel bereit, auf die der Verordnungsentwurf nun verweist (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 4 CMA-E). Teile der Verordnung (insbesondere die Beschaffungsregelungen in Kapitel IV) erfassen auch andere Arzneimittel von gemeinsamem Interesse, deren Verfügbarkeit nicht in ausreichendem Maße gewährleistet ist (Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 5 CMA-E).
  • Stärkung der Produktion kritischer Arzneimittel in der EU durch gezielte Investitionen und Förderung strategischer Projekte
  • Ermöglichung kollaborativer Beschaffungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten und der Kommission zur Verbesserung der Kaufkraft und Versorgungssicherheit
  • Diversifizierung der Lieferketten, auch durch Ausbau internationaler Kooperationen

Zentrale Inhalte

Folgende wesentliche inhaltliche Aspekte des Entwurfs sind hervorzuheben:

  • Förderung strategischer Projekte: Es wird ein Verfahren zur Ermittlung strategischer Arzneimittelprojekte in der Union festgelegt, welche die Schaffung, Erweiterung oder Modernisierung von Herstellungskapazitäten für kritische Arzneimittel, Wirkstoffe, sonstige zentrale Arzneimittelkomponenten oder den Roll-Out hierfür benötigter Herstellungstechnologien betreffen. Zur Identifikation dieser Vorhaben benennen die Mitgliedstaaten jeweils eine verantwortliche Behörde (Art. 5 und 6 CMA-E). 

    Genehmigungen für diese Projekte sollen von den Mitgliedstaaten so schnell wie möglich erteilt werden (Art. 7 CMA-E).

    Darüber hinaus sollen die strategischen Projekte administrative Unterstützung der Mitgliedstaaten etwa bei der Einhaltung von Verwaltungsvorschriften, Genehmigungsverfahren und Öffentlichkeitsarbeit erhalten (Art. 8 CMA-E). Inspektionen zur Guten Herstellungspraxis (GMP) sollen für die strategischen Projekte priorisiert und dadurch schnell durchgeführt werden (Art. 11 CMA-E). Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) soll Projektträger gezielt beraten, um bei der Entwicklung von Projekten zu unterstützen, bei denen innovative Herstellungsverfahren genutzt werden.

    Auch durch einen bevorzugten Zugang zu Finanzmitteln (Art. 15 und 16 CMA-E) soll der Aufbau, die Erweiterung oder Modernisierung von Produktionskapazitäten für kritische Arzneimittel oder deren Wirkstoffe in der EU gestärkt werden. Die Verordnung adressiert sowohl finanzielle Förderungen durch die Mitgliedstaaten als auch durch die Union (insbesondere aus dem EU4Health-Programm und Horizon Europe). Mit Blick auf mitgliedstaatliche Finanzhilfen bleiben allerdings die beihilferechtlichen Vorschriften der Art. 107, 108 AEUV zu beachten. Die Kommission stellt eine umfangreiche Leitlinie für die Anwendung des europäischen Beihilferechts im Zusammenhang mit dem CMA zur Verfügung.

  • Neue Vergabekriterien: Bei der Beschaffung kritischer Arzneimittel im Anwendungsbereich der allgemeinen Vergaberichtlinie (RL 2014/24/EU) haben die Mitgliedstaaten zukünftig resilienzfördernde Anforderungen wie etwa Vorgaben zur Lagerhaltung, zur Anzahl der Lieferanten oder zur Überwachung und Transparenz der Lieferketten vorzusehen (Art. 18 Abs. 1 CMA-E). Die Mitgliedstaaten sollen dabei darauf achten, dass solche Vorgaben keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in anderen Mitgliedstaaten haben (Art. 20 CMA-E). 

    Soweit die strategische Autonomie der Union durch starke Abhängigkeit von Drittstaaten gefährdet ist, setzt die Kommission mit dem CMA auch auf „Buy-European“ (Art. 18 Abs. 2 u. 3 CMA-E). Unternehmen mit einem signifikanten Anteil an EU-Produktion sollen bei Vergabeverfahren künftig bevorzugt werden. 

    Binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des CMA haben die Mitgliedstaaten nationale Programme für eine Verbesserung der Versorgungssicherheit zu kritischen Arzneimitteln, auch im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen, aufzusetzen und der Kommission zu melden (Art. 19 CMA-E). Besondere Erwähnung finden in diesem Zusammenhang Mehr-Lieferanten-Ansätze (Mehr-Partner-Modelle). 

  • Kollaborative Beschaffung: Der Verordnungsvorschlag erweitert die bestehenden Möglichkeiten kollaborativer Beschaffung unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten und der Kommission. Hierzu gestaltet der Verordnungsvorschlag sowohl die gemeinschaftliche Beschaffung der Mitgliedstaaten (mit Unterstützung der Kommission), die zentrale Beschaffung der Kommission im Auftrag oder namens der Mitgliedstaaten sowie die gemeinschaftliche Beschaffung der Mitgliedstaaten und der Kommission näher aus (Art. 21 bis 24 CMA-E. ). 
  • Schaffung einer „Critical Medicines Group”: Die Gruppe soll bei der Umsetzung der Verordnung unterstützen und gegebenenfalls die Kommission beraten, um die Wirkung von geplanten Maßnahmen zu optimieren und unbeabsichtigte Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu vermeiden (Art. 25 und 26 CMA-E). Die „Critical Medicines Group“ kann den Mitgliedstaaten Vorschläge zur Anpassung ihrer nationalen Programme zur Erhöhung der Versorgungssicherheit unterbreiten (Art. 19 Abs. 2 CMA-E).
  • Internationale Kooperationen: Die Europäische Kommission soll Möglichkeiten für Partnerschaften mit Drittstaaten prüfen, um die Lieferketten zu diversifizieren. Bestehende Partnerschaften sollen gegebenenfalls ausgebaut werden (Art. 27 CMA-E).

Chancen des Critical Medicines Act für die Pharma-Branche

Aus Sicht der pharmazeutischen Industrie bringt der Entwurf zahlreiche Chancen mit sich. Insoweit sind insbesondere die folgenden Aspekte zu benennen:

  • Investitionsanreize: Unternehmen profitieren von finanzieller Unterstützung und regulatorischen Erleichterungen für strategische Projekte.
  • Stärkung des EU-Pharmastandorts: Die Verordnung macht die EU zu einem attraktiveren Markt für die Arzneimittelproduktion.
  • Sicherheit und Planbarkeit: Stabilere Lieferketten verringern Risiken und Abhängigkeiten.

Chancen und Herausforderungen für öffentliche Auftraggeber

Öffentliche Auftraggeber erhalten mit dem Entwurf Rückenwind, die Versorgungssicherheit für kritische Arzneimittel durch vergaberechtliche Gestaltung zu verbessern. Der Trend hin zu Anforderungen an die Lagerhaltung und zum „Buy-European“ liegt auf einer Linie mit dem deutschen ALBVVG (Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungs­Gesetz vom 27. Juli 2023, BGBl. I Nr. 197, S. 1). Von der allgemeinen europäischen Vergaberichtlinie derogiert der Verordnungsvorschlag allerdings nicht. Insofern bleibt die Umsetzung versorgungssichernder Anforderungen und Kriterien in Vergabeverfahren eine verantwortungsvolle Herausforderung für öffentliche Auftraggeber. Auch mit Blick auf „Buy-European“-Ansätze entbindet der Verordnungsvorschlag nicht von einer Beachtung völkerrechtlicher Beschaffungsübereinkommen der Union (Art. 19 Abs. 2 u. 3 CMA-E), insbesondere des General Procurement Agreements (GPA). Inwieweit die Programme auf mitgliedstaatlicher Ebene weitere Konkretisierung und Hilfestellung für öffentliche Auftraggeber leisten werden, bleibt abzuwarten. 

Ausblick

Der Vorschlag geht nun in das Europäische Parlament und den Rat, wo potenziell mit zahlreichen Änderungsvorschlägen und langwierigen Abstimmungsprozessen zu rechnen ist. Ob, in welcher konkreten Gestalt und wann die vorgeschlagene Verordnung in Kraft tritt, ist deshalb noch nicht absehbar. 

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