Am 13. Oktober 2023 trat das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz („VDuG“) in Kraft, in dessen Zentrum das neue Instrument der Abhilfeklage steht. Mit der Abhilfeklage kann ein Verband erstmals für eine große Zahl von Verbrauchern Zahlung, insbesondere Schadensersatz, einklagen. Zu den ersten Anwendungsfällen der neuen Abhilfeklage gehören zwei Klagen des Verbraucherzentrale Bundesverbands („vzbv“) gegen Energieversorger, mit denen der vzbv Preiserhöhungen rückgängig machen und Rückerstattungen an die Kunden erreichen will.
Was ist die neue Abhilfeklage?
Die Abhilfeklage tritt neben das bereits existierende Instrument der Musterfeststellungsklage. Mit ihr kann ein Verband erstmals nicht nur die einheitliche Feststellung von Tatsachen- und Rechtsfragen, sondern Zahlung für eine Vielzahl von Verbrauchern einklagen.
Die wesentlichen Eckpunkte der Abhilfeklage sind:
- Mit ihr können sämtliche Ansprüche von Verbrauchern geltend gemacht werden. Dabei gelten kleine Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz 2 Mio. Euro nicht übersteigt, als Verbraucher.
- Klageberechtigt sind ausschließlich qualifizierte Verbraucherverbände, die in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind und die nicht mehr als 5 % ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen.
- Eine Drittfinanzierung der Abhilfeklage beispielsweise durch einen professionellen Prozessfinanzierer ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Sie ist jedoch u.a. dann ausgeschlossen, wenn dem Finanzierer ein wirtschaftlicher Anteil an der vom beklagten Unternehmen zu erbringenden Leistung von mehr als 10 % versprochen ist.
- Für die Zulässigkeit einer Abhilfeklage hat der klageberechtigte Verband lediglich nachvollziehbar darzulegen, dass von der Abhilfeklage Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können.
- Die geltend gemachten Ansprüche müssen „im Wesentlichen gleichartig“ sein. Nach der Gesetzesbegründung sollen einzelne Unterschiede zwischen den von einer Abhilfeklage betroffenen Ansprüchen deren Durchsetzung in einem einheitlichem Verfahren nicht entgegenstehen, solange eine effektive Prozessführung gewahrt und die Bündelung daher prozessökonomisch sinnvoll bleibt.
- Anspruchsteller können sich der Klage bis spätestens drei Wochen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung anschließen.
- Das Gericht kann das beklagte Unternehmen zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags verurteilen, dessen Höhe es unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bestimmen kann.
- Ein Sachwalter wird mit der Verteilung des Gesamtbetrags an die teilnehmenden Verbraucher beauftragt. Die hierfür anfallenden Kosten hat das beklagte Unternehmen zu tragen.
Was bedeutet die Abhilfeklage für Energieversorger?
Verbraucherverbände haben bereits nach altem Recht Musterfeststellungsklagen gegen diverse Energieversorger wegen der Erhöhung von Gas- und Strompreisen eingereicht. Mit diesen Klagen kann allerdings nur die einheitliche Feststellung von Tatsachen- und Rechtsfragen erreicht werden. Um eine Zahlung zu erlangen, müssen die Anspruchsteller im Anschluss jeweils eine individuelle Leistungsklage erheben. Das macht die Musterfeststellungsklage recht unattraktiv für Verbände und Verbraucher.
Der vzbv hat daher schon im Sommer angekündigt, die neue Abhilfeklage zügig nach Inkrafttreten des VDuG gegen Energieversorger einzusetzen, um gegen die vorgenommenen Preiserhöhungen vorzugehen. Am 17. November 2023 hat der vzbv tatsächlich zwei Abhilfeklagen gegen Energieversorger eingereicht, deren Preiserhöhungen bei Fernwärme er für rechtswidrig hält. Die Klagen sind bisher noch nicht im Verbandsklageregister bekannt gemacht worden. Laut seiner Pressemitteilung stützt der vzbv die Klagen darauf, dass die Preisänderungsklauseln in den Verträgen mit den Kunden nicht den rechtlichen Anforderungen entsprechen und unwirksam sind. Dabei geht der vzbv gegen solche Preiserhöhungen vor, die nach 2020 erfolgt sind. Er möchte mit den Abhilfeklagen Rückerstattungen für die Kundinnen und Kunden erstreiten.
Unabhängig davon, ob die Ansprüche inhaltlich berechtigt sind, werfen die erhobenen Abhilfeklagen vor allem in prozessualer Hinsicht Zweifel auf. Eine Abhilfeklage hat für Ansprüche aus Zuwiderhandlungen eines Unternehmens vor dem 25. Juni 2023 keine verjährungshemmende Wirkung (vgl. Art. 229 § 65 S. 4 EGBGB), die bereits vorher existierende Musterfeststellungsklage hingegen schon (Art. 229 § 65 S. 4 EGBGB, § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB a.F.). Meldet ein Anspruchsteller also Ansprüche unter einer Abhilfeklage an, die auf behaupteten Zuwiderhandlungen vor dem 25. Juni 2023 beruhen, hemmt diese Anmeldung allein nicht die Verjährung. Allerdings könnte die Verjährung möglicherweise dadurch gehemmt werden, dass die klageberechtigte Stelle die Abhilfeklage mit einer Musterfeststellungsklage kombiniert.
Den Weg einer Kombination aus Abhilfe- und Musterfeststellungsklage scheint ausweislich seiner Internetseite auch der vzbv gewählt zu haben. Eine solche Kombination wird in der Literatur zur neuen Abhilfeklage zwar verschiedentlich vorgeschlagen. Gegen deren Zulässigkeit könnte aber sprechen, dass hiermit ausschließlich eine Umgehung der gesetzlichen Regeln zur Verjährungshemmung der Abhilfeklage bezweckt wird. Darüber hinaus könnte die Regelung des § 8 VDuG entgegenstehen, der bestimmt, dass für denselben Lebenssachverhalt und dieselben Ansprüche oder Feststellungsziele immer nur eine Verbandsklage anhängig sein kann. Ob die Rechtsprechung eine solche Kombination von Musterfeststellungsklage und Abhilfeklage am Ende für zulässig erachtet, ist jedenfalls offen.
Fazit
Im Ergebnis birgt die neue Abhilfeklage für sämtliche Unternehmen mit Verbrauchergeschäft ein erhebliches finanzielles Risiko. Dies gilt für Energieversorger genauso wie für viele andere Unternehmen. Die neue Abhilfeklage wird für Anspruchsteller effektiver sein als die bisher gesetzlich vorgesehenen kollektiven Rechtsschutzinstrumente, weil sie erstmals eine auf Zahlung gerichtete Klage für eine Vielzahl von Anspruchstellern ermöglicht. Allerdings besteht bei behaupteten Zuwiderhandlungen eines Unternehmens aus der Zeit vor dem 25. Juni 2023 ein erhebliches Risiko auf Verbraucherseite. Da die Abhilfeklage allein nicht zur Verjährungshemmung der Ansprüche geeignet ist, bleibt den Verbraucherverbänden nur die Kombination mit einer Musterfeststellungsklage, deren Zulässigkeit ungeklärt ist.