Das Warten hat ein Ende: Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) stellt seit dem 15. März 2024 Ergänzende Regeln für Streitverkündungen (DIS-ERS) zur Verfügung. Sie wurden von einer Praxisgruppe erarbeitet, an der zahlreiche Praktiker beteiligt waren. Mit den DIS-ERS wird es künftig einfacher, Dritte an die Feststellungen eines Schiedsspruchs zu binden.
Die Bindung Dritter: Vermeidung der Regressfalle
Nicht selten hat eine Partei im Falle des ungünstigen Ausgangs eines Rechtsstreits möglicherweise einen Regressanspruch gegen einen an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich mehrere Parteien vertraglich untereinander verknüpft haben. Typische Beispiele sind Großprojekte im Anlagenbau – etwa betreffend die Errichtung von Off‑Shore‑Windparks – mit unterschiedlichen Vertragsverhältnissen zwischen dem Auftraggeber, dem Generalunternehmer und dessen Subunternehmern, ferner klassische Produktions- und Lieferketten sowie Joint Ventures.
Kommt in solchen Fällen ein Regressanspruch gegen den Dritten in Betracht, wird dieser Anspruch meist auch von den tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren abhängen. Das Ziel der im Ausgangsverfahren unterlegenen Partei, hierüber divergierende Entscheidungen von zwei (Schieds-) Gerichten zu vermeiden, liegt auf der Hand. Für sie gilt es, nicht in die sog. Regressfalle zu tappen.
Die Bindung Dritter an Schiedssprüche: Bislang eine Herausforderung
Während es im staatlichen Verfahren vor deutschen Gerichten mit der Streitverkündung in den §§ 72 ff. ZPO ein langjährig erprobtes Instrument zur Vermeidung der Regressfalle gibt, sah die Welt der Schiedsgerichtsbarkeit bislang anders aus. Das deutsche Schiedsverfahrensrecht in den §§ 1025 ff. ZPO sieht eine Streitverkündung nicht vor. Die jüngsten Reformüberlegungen des Gesetzgebers werden an diesem Befund nichts ändern.
Zwar erlauben zahlreiche institutionelle Schiedsgerichtsordnungen die Einbeziehung Dritter in ein Schiedsverfahren. Diese Einbeziehung setzt aber zumeist die Zustimmung der Gegenpartei voraus, sei es in der ursprünglichen Schiedsvereinbarung oder im laufenden Verfahren. Die Gegenpartei hat an einer Einbeziehung eines Dritten zumeist kein Interesse. Hintergrund ist insbesondere, dass der Dritte nach den institutionellen Schiedsgerichtsordnungen zumeist vollwertige Partei des Schiedsverfahrens wird und daher Ansprüche gegen jede Partei des Schiedsverfahrens erheben kann. Wenn also der Beklagte eine Regressklage gegen einen Dritten erheben, kann dieser mit einer Widerklage gegen den Beklagten antworten. An der damit verbundenen Verzögerung des Schiedsverfahrens hat die Gegenpartei (hier: der Kläger) typischerweise kein Interesse. Sie wird daher im Streitfall zumeist ihr Einverständnis in die Einbeziehung des Dritten verweigern. Zu einer Einbeziehung könnte es dann nur kommen, wenn schon die ursprüngliche Schiedsvereinbarung die Einbeziehung erlaubt. Typischerweise enthalten jedoch Schiedsvereinbarungen dazu keine Regelung, sondern verweisen schlicht auf die institutionelle Schiedsordnung.
In der Vergangenheit war eine Streitverkündung im Schiedsverfahren daher entweder gar nicht möglich, oder setzte umfangreiche individualvertragliche Versuche zur Abbildung des gerichtlichen Streitverkündungsregimes voraus, die mal besser, mal schlechter funktionierten. Die Schwierigkeit individueller Regelungen liegt insbesondere darin, die Beteiligung des Dritten an der Schiedsrichterauswahl zu sichern, ohne die sich der Dritte typischerweise nicht auf eine Streitverkündung einlassen wird. Auch die Kostenverteilung ist eine Herausforderung, will die Gegenpartei doch typischerweise nicht mit den Kosten der Streitverkündung belastet sein.
Vorteile der DIS-ERS
Hier setzen die neuen Ergänzenden Regelungen für Streitverkündungen (DIS-ERS) an. Sie kommen zur Anwendung, wenn die Parteien die DIS-ERS zusätzlich zur DIS-SchO vereinbaren, und spiegeln in 15 Artikeln die Prinzipien der zivilprozessualen Streitverkündung in das Schiedsverfahren. Insbesondere beziehen sie den Dritten nicht als Partei ein, sondern wie im staatlichen Verfahren als Nebenintervenienten. Er kann daher zwar die den Streit verkündende Partei unterstützen, aber nicht eigene Ansprüche gegen sie oder andere Parteien des Schiedsverfahrens erheben. Zudem sorgen die DIS-ERS dafür, dass die Gegenpartei im Falle ihres Unterliegens nicht die Kosten des Dritten und die Gebühren für die Streitverkündung übernehmen muss. Die Gegenpartei wird daher eher bereit sein, sich schon in der Schiedsvereinbarung durch Vereinbarung der DIS-ERS mit einer etwaigen Streitverkündung einverstanden zu erklären. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie – wie in den Ausgangsbeispielen häufig der Fall – selbst in der Situation sein kann, einem Dritten den Streit zu verkünden.
Gleichzeitig gewährleisten die DIS-ERS, dass der Dritte an der Konstituierung des Schiedsgerichts beteiligt ist. Diese Beteiligung und sein Recht, den Streitverkünder im Verfahren durch eigenen Sach- und Rechtsvortrag zu unterstützen, rechtfertigt die Bindung des Dritten an die Feststellungen des Schiedsspruchs. Er wird entsprechend den im Zivilprozess geltenden Prinzipien im Verhältnis zu der den Streit verkündenden Partei (Hauptpartei) nicht mehr mit der Behauptung gehört, dass der Rechtsstreit unrichtig entschieden sei. Den Einwand mangelhafter Führung des Rechtsstreits kann er nur insoweit erheben, als er durch die Lage des Rechtsstreits oder durch Erklärungen und Handlungen der Hauptpartei daran gehindert wurde, Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, oder als Angriffs- oder Verteidigungsmittel, die ihm unbekannt waren, von der Hauptpartei absichtlich oder durch grobes Verschulden nicht geltend gemacht sind.
Für die Hauptpartei liegen die Vorteile auf der Hand: Wegen der Streitverkündungswirkung läuft sie nicht Gefahr, im Folgeprozess in die Regressfalle zu tappen. Außerdem wird die Verjährung des potentiellen Regressanspruchs gegen den Dritten durch die Streitverkündung gehemmt. Auch dafür sehen die DIS-ERS Regelungen vor.
Fazit
Mit den DIS-ERS gibt es nun erstmals ein Regelwerk, mit dem bereits bei Abschluss der ursprünglichen Schiedsvereinbarung rechtssicher die Zulässigkeit der Streitverkündung in einem etwaigen Schiedsverfahren vereinbart werden kann. Während Parteien in der Vergangenheit gezwungen waren, individuelle Streitverkündungsregime in umfangreichen Schiedsvereinbarungen selbst zu konstruieren, können sie nun einfach auf die DIS-ERS verweisen. Da das Regressverfahren sowohl vor einem (DIS- oder anderen) Schiedsgericht als auch vor einem staatlichen Gericht ausgetragen werden kann, ist der praktische Anwendungsbereich der DIS-ERS groß.
Die DIS stellt auf Ihrer Internetseite neben dem Regelwerk auch eine umfangreiche Practice Note zur Verfügung, jeweils in deutscher und englischer Sprache. Weiterführende Erläuterungen zu den DIS-ERS finden sich in einem demnächst erscheinenden Aufsatz der Leiter der Praxisgruppe, die die DIS-ERS erarbeitet hat (Borris/Quinke/Kaehlbrandt/Wolff, SchiedsVZ 2024, Heft 2).