Am 1. Februar 2024 hat das Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des deutschen Schiedsverfahrensrechts veröffentlicht (Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz | Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts). Der Referentenentwurf folgt auf das Eckpunktepapier vom 18. April 2023, das noch ohne konkrete Formulierungsvorschläge Regelungsgegenstände identifiziert hatte, die an internationale Entwicklungen im Schiedsverfahrensrecht angepasst werden sollten (Beitrag vom 16. Mai 2023). Viele der bereits im Eckpunktepapier erwähnten Themen greift der Referentenentwurf nun auf. Andere sind weggefallen, ein neuer Aspekt ist hinzugekommen. Alle Reformvorschläge dienen jedoch denselben Zielen. Das Schiedsverfahrensrecht soll insgesamt an die Bedürfnisse der heutigen Zeit angepasst, seine Leistungsfähigkeit erhöht und damit die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort gestärkt werden.
Wir stellen die im Referentenentwurf enthaltenen Regelungen und ihre möglichen Auswirkungen vor:
Formlos, englisch und digital
Um die internationale Konkurrenzfähigkeit des deutschen Schiedsstandorts zu sichern, sieht der Referentenentwurf eine Vereinfachung von Formvorschriften und eine Modernisierung von Verfahrensregelungen vor:
- Nach § 1031 Abs. 4 ZPO-E soll der formlose Abschluss von Schiedsvereinbarungen möglich sein, wenn die Schiedsvereinbarung für alle Parteien ein Handelsgeschäft i.S.d. § 343 HGB ist. Ein praktisches Bedürfnis für formfreie Schiedsvereinbarungen sieht der Referentenentwurf insbesondere bei globalen Lieferketten und komplexen Rahmenverträgen. Da Parteien ein berechtigtes Dokumentationsinteresse haben, soll jede Partei verlangen können, dass die andere Partei den Inhalt einer formlos geschlossenen Schiedsvereinbarung in Textform bestätigt. Ob diese Regelung allerdings hilft, wenn bereits Streit über das Bestehen einer Schiedsvereinbarung entstanden ist, erscheint zweifelhaft.
- § 1063b ZPO-E sieht vor, dass jedes Dokument in englischer Sprache, das in einem schiedsrichterlichen Verfahren erstellt oder vorgelegt worden ist, ohne Übersetzung in einem deutschsprachigen Gerichtsverfahren in sämtlichen schiedsgerichtlichen Angelegenheiten vorgelegt werden kann. Davon erfasst sind insbesondere Verfahren über die Vollstreckbarerklärung bzw. die Aufhebung von Schiedssprüchen und über die Bestellung oder Ablehnung eines Schiedsrichters sowie Verfahren zur Unterstützung in der Beweisaufnahme. Das erspart den Parteien die ansonsten anfallenden Übersetzungskosten, erhöht aber gleichzeitig implizit das Anforderungsprofil an Richterinnen und Richter.
- Daneben wird die Klarstellung der ohnehin schon üblichen Praxis beabsichtigt, dass ein Schiedsgericht nach Anhörung der Parteien eine Videoverhandlung durchführen kann, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben (§ 1047 Abs. 2 ZPO-E).
- Als einzige Ergänzung zu den Vorschlägen im Eckpunktepapier soll es nach § 1054 Abs. 2 ZPO-E außerdem möglich sein, den Schiedsspruch als elektronisches Dokument zu erstellen. In diesem Fall hat jedes Mitglied des Schiedsgerichts den Schiedsspruch mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen.
Spezialisierung, Verlässlichkeit und Transparenz
Der Referentenentwurf bietet außerdem Lösungen an, um Spezialisierung, Verlässlichkeit und Transparenz im Schiedsverfahren zu fördern:
- Der Entwurf sieht die Möglichkeit vor, Verfahren in schiedsgerichtlichen Angelegenheiten bei den Commercial Courts zu konzentrieren. Nach § 1062 Abs. 5 ZPO-E soll den Landesregierungen gestattet werden, die Zuständigkeit in schiedsgerichtlichen Angelegenheiten auf die Commercial Courts zu übertragen, soweit solche Commercial Courts in einem Bundesland oder von mehreren Bundesländern gemeinsam eingerichtet sind. § 1063a ZPO-E sieht vor, dass vor den Commercial Courts das gesamte Verfahren in englischer Sprache durchgeführt werden kann. Allerdings sollen in englischer Sprache abgefasste Beschlüsse in die deutsche Sprache übersetzt werden (§ 1063a Abs. 1 ZPO-E), ohne Kostenfolge für die Parteien. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass die Entscheidung, ob das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in englischer Sprache geführt wird, dem Bundesgerichtshof vorbehalten bleibt (§ 1065 Abs. 3 ZPO-E). Sämtliche Beschlüsse eines Commercial Courts in schiedsgerichtlichen Angelegenheiten sollen nach § 1063a Abs. 3 ZPO-E in anonymisierter Form veröffentlicht werden (zusammen mit der deutschen Übersetzung, wenn die Beschlüsse in englischer Sprache verfasst wurden).
- Zudem sieht § 1059a ZPO-E einen weiteren neuen Rechtsbehelf zur Aufhebung von Schiedssprüchen vor, der an die Restitutionsklage nach § 580 ZPO angelehnt ist. Bestandskräftige inländische Schiedssprüche sollen etwa beseitigt werden können, wenn sie durch Bestechung oder Rechtsbeugung erwirkt wurden.
- Um die Transparenz im Schiedsverfahren zu erhöhen und die Rechtsfortbildung zu fördern, sollen Schiedsgerichte künftig nach § 1054b ZPO-E die Möglichkeit haben, in anonymisierter Form Schiedssprüche zu veröffentlichen. Eine Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung der Parteien, die als erteilt gelten soll, wenn das Schiedsgericht zur Zustimmung aufgefordert hat und nicht innerhalb eines Monats widersprochen wurde. Natürlich muss jede Partei über diese Rechtsfolge der Zustimmungsfiktion aufgeklärt werden. Die Parteien können zu jeder Zeit abweichende Vereinbarungen treffen. § 1054b Abs. 3 ZPO-E weist außerdem darauf hin, dass sich aus anderen Rechtsvorschriften weitergehende Anforderungen an die Veröffentlichung von Schiedssprüchen ergeben können, etwa zur Wahrung des Datenschutzes, von Geschäftsgeheimnissen oder Persönlichkeitsrechten.
- Im Eckpunktepapier war angedacht, die Zuständigkeit der Amtsgerichte für die gerichtliche Unterstützung bei der Beweisaufnahme oder die Vornahme sonstiger richterlicher Handlungen nach § 1050 ZPO auf die sonst für Schiedsverfahren zuständigen Oberlandesgerichte zu übertragen. Dies wurde im Referentenentwurf aber nicht aufgegriffen.
Rechtssicherheit
Sämtliche Vorschläge des Eckpunktepapiers, die unter der Überschrift „Rechtssicherheit“ standen, sollen nach dem Willen des Referentenentwurfs umgesetzt werden. Dies betrifft die folgenden Punkte:
- Der schon bisher mögliche Antrag an ein staatliches Gericht auf Feststellung der (Un-)Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens soll erweitert werden. Danach hat eine Partei die Wahl, entweder nur die Frage entscheiden zu lassen, ob der konkrete Streitgegenstand unter die Schiedsvereinbarung fällt (bisher § 1032 Abs. 2 Satz 1 ZPO), oder aber eine ausdrückliche Entscheidung über Bestand und Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung zu erreichen, die in materielle Rechtskraft erwächst (§ 1032 Abs. 2 Satz 2 ZPO-E).
- § 1040 Abs. 4 S. 2 ZPO-E sieht einen neuen Aufhebungsgrund für Schiedssprüche vor. Staatliche Gerichte sollen negative Zuständigkeitsentscheidungen von Schiedsgerichten aufheben können, wenn sie die Entscheidung für falsch halten. Damit sollen die Fälle, in denen das Schiedsgericht seine Zuständigkeit abgelehnt hat, künftig gleich behandelt werden wie die Fälle, in denen sich das Schiedsgericht für zuständig gehalten hat. Das gibt dem Schiedskläger eine zusätzliche Option an die Hand, sollte seine Schiedsklage bereits an der (vermeintlich) fehlenden Zuständigkeit gescheitert sein.
- Wie im Eckpunktepapier erwogen möchte § 1054a ZPO-E Sondervoten nun tatsächlich explizit „für die Zukunft“ für zulässig erklären und zwar sowohl im Hinblick auf das Entscheidungsergebnis (dissenting opinion) als auch auf die Begründung (concurring opinions). An der Zulässigkeit solcher Sondervoten waren infolge einer Entscheidung des OLG Frankfurt im Jahr 2020 in Deutschland (und international) Zweifel aufgekommen. Sondervoten sollen aber nicht Teil des Schiedsspruchs sein. Abweichende Vereinbarungen der Parteien sollen zulässig sein, was ggf. schon bei der Schiedsklausel zu berücksichtigen ist.
- In komplexen Mehrparteienschiedsverfahren soll eine Mitwirkungspflicht bei der Schiedsrichterbestellung für alle Parteien statuiert werden. Kommt eine Partei dieser Pflicht trotz Aufforderung nicht binnen eines Monats nach, soll die Bestellung des Schiedsrichters durch das staatliche Gericht vorgenommen werden (§ 1035 Abs. 4 ZPO-E).
- Eher technischer Natur ist die vorgesehene Klarstellung, dass das staatliche Gericht bei der Versagung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung unter gleichzeitiger Aufhebung des Schiedsspruchs nach § 1060 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Möglichkeit haben soll, die Sache auf Antrag einer Partei an das Schiedsgericht zurückverweisen (§ 1060 Abs. 2 Satz 4 ZPO-E i.V.m. § 1059 Abs. 4 ZPO). Gleiches gilt für die dann mögliche Feststellung, dass die Aufhebungsentscheidung zur Folge hat, dass die Schiedsvereinbarung bezüglich des Streitgegenstands wiederauflebt (§ 1060 Abs. 2 Satz 4 ZPO-E i.V.m. § 1059 Abs. 5 ZPO).
Einstweiliger Rechtsschutz
Der einstweilige Rechtsschutz nimmt im Referentenentwurf gegenüber dem Eckpunktepapier weniger Raum ein.
- Weiterhin vorgesehen ist im Referentenentwurf die umfassende Überarbeitung der Vorschrift des § 1041 Abs. 2 ZPO, in der die Befugnisse des staatlichen Gerichts mit Blick auf einstweilige Maßnahmen des Schiedsgerichts geregelt sind. Neben redaktionellen Änderungen und Klarstellungen soll nach dem § 1041 Abs. 2 ZPO-E (i.V.m. § 1025 Abs. 1 ZPO-E) auch festgehalten werden, dass Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes von Schiedsgerichten mit Sitz im Ausland zuzulassen sind, wenn nicht einer der näher bezeichneten Versagungsgründe vorliegt. Deutsche Gerichte sollen aber ermächtigt bleiben, eine Vollziehungszulassung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
- Wenig Änderung in der Sache dürfte die Klarstellung in § 1063 Abs. 3 Satz 1 ZPO-E bringen. Hiernach soll die oder der Vorsitzende nicht mehr nach freiem Ermessen, sondern nur noch in dringenden Fällen und auf Antrag ohne vorherige Anhörung des Gegners im Rahmen der Zwangsvollstreckung bzw. Vollziehung vorläufiger/sichernder Maßnahmen des Schiedsgerichts Maßnahmen erlassen können.
- Nicht aufgenommen werden sollen hingegen Regelungen zum sogenannten Eilschiedsrichter. Die Einführung solcher Regelungen war nach dem Eckpunktepapier zumindest erwogen worden. Gründe für den Wegfall nennt der Referentenentwurf nicht.
Fazit
Viele der Vorschläge des Eckpunktepapiers sind im Referentenentwurf berücksichtigt worden. Gegenüber dem Eckpunktepapier neu hinzugekommen sind lediglich Regelungen zum „elektronischen Schiedsspruch“. Der „Eilschiedsrichter“ soll nun doch nicht kommen.
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren werden sicher einige Punkte kontrovers diskutiert werden. Es steht zu erwarten, dass der Gesetzentwurf noch einmal erhebliche Änderungen erfahren wird. Dies gilt umso mehr, als er auf die in einem separaten Gesetzentwurf vorgesehene Einführung der Commercial Courts abgestimmt werden muss. Wir werden die weiteren Entwicklungen beobachten und wieder berichten, sobald der Gesetzentwurf vorliegt.