Arbeitsrecht

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz – Betriebsverfassung 4.0?

Am 18. Juni 2021 trat das Gesetz zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) in Kraft. Wir erläutern in diesem Beitrag die damit einhergehenden wesentlichen Neuregelungen zur digitalen Arbeitswelt und deren Auswirkungen in der Praxis.

Überblick

Wie aus dem vollständigen Titel des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes hervorgeht, verfolgt dieses zwei Ziele. Zum einen zielen die Neuregelungen darauf ab, die Gründung von Betriebsräten zu erleichtern. Zum anderen erkannte der Gesetzgeber einen Reformbedarf aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt. Dieser findet in den folgenden drei Regelungskomplexen seinen Ausdruck:

  • Der Mitbestimmungskatalog nach § 87 Abs. 1 BetrVG wird um ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit ergänzt.
  • Beim Einsatz künstlicher Intelligenz im Betrieb werden die Rechte des Betriebsrats gestärkt.
  • Die Teilnahme an Betriebsratssitzungen ist unter bestimmten Voraussetzungen mittels Video- und Telefonkonferenz möglich.  

Informationen zu weiteren Neuregelungen, z. B. zu einem erweiterten Kündigungsschutz, erfahren Sie in unserem Gleiss Lutz-Podcast "Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz"

Mitbestimmungsrecht bei Ausgestaltung mobiler Arbeit

Nach dem neu eingefügten § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG hat der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich nur auf das „Wie“ mobiler Arbeit, während das „Ob“ der Einführung mobiler Arbeit in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers verbleibt. Zur Ausgestaltung mobiler Arbeit zählen bspw. der zeitliche Umfang mobiler Arbeit, Vereinbarungen über Beginn und Ende der täglichen (mobilen) Arbeitszeit, Regelungen über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann und umgekehrt über etwaige Anwesenheitspflichten im Betrieb.

Da das Mitbestimmungsrecht nach der Gesetzesbegründung nicht die Einführung mobiler Arbeit als solche betrifft, kann der Betriebsrat nicht über ein etwaiges Initiativrecht die Einführung mobiler Arbeit im Betrieb erzwingen. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „Ausgestaltung mobiler Arbeit“ eng auszulegen. So wäre ein Mitbestimmungsrecht und insbesondere ein damit einhergehendes Initiativrecht des Betriebsrats abzulehnen, wenn die Ausgestaltung mobiler Arbeit zugleich die Einführung mobiler Arbeit als solche bedingt. Dies wäre bspw. der Fall, wenn unter die zeitliche Ausgestaltung mobiler Arbeit auch der Umfang von Anwesenheitstagen im Betrieb fallen würde. Wäre hier ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats anzunehmen, würde der Betriebsrat zwangsläufig auch mittelbar über das „Ob“ mobiler Arbeit mitbestimmen. Es bleibt aber abzuwarten, was die Rechtsprechung unter „Ausgestaltung“ versteht.

Nach der Gesetzesbegründung soll § 87 I Nr. 14 BetrVG ein Auffangtatbestand für alle Regelungen sein, mit denen mobile Arbeit ausgestaltet werden kann. Bestehende Mitbestimmungsrechte sollen unverändert gelten. Bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit sind in der Regel bereits bestehende Mitbestimmungstatbestände einschlägig. So sind regelmäßig die Ordnung des Betriebs (§ 87 I Nr. 1 BetrVG), Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (§ 87 I Nr. 2 BetrVG), die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen (§ 87 I Nr. 6 BetrVG) oder Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes betroffen (§ 87 I Nr. 7 BetrVG).

Stärkung der Rechte des Betriebsrats beim Einsatz Künstlicher Intelligenz

Das Gesetz stärkt die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz. In § 80 III BetrVG heißt es nun, dass die Hinzuziehung eines Sachverständigen für Künstliche Intelligenz immer dann als erforderlich gilt, wenn der Betriebsrat die Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu beurteilen hat. Diskussionen über die Erforderlichkeit eines Sachverständigen sollen daher in diesem Zusammenhang entfallen. Arbeitgeber und Betriebsrat haben über die Hinzuziehung des Sachverständigen aber weiterhin die nach § 80 III S. 1 BetrVG vorgeschriebene Vereinbarung zu treffen.

Der Gesetzgeber lässt offen, was unter „Künstlicher Intelligenz“ im Sinne der neuen Vorschriften zu verstehen ist. Dies ist insofern problematisch, als eine allgemeingültige Definition nicht existiert. Hier bleibt es den Betriebsparteien selbst oder den Gerichten überlassen, zu entscheiden, in welchen technischen Anwendungsfällen von Künstlicher Intelligenz auszugehen ist.

Daneben stellt § 90 I Nr. 3 BetrVG klar, dass die Rechte des Betriebsrats bei der Planung von Arbeitsverfahren und -abläufen auch dann gelten, wenn der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Betrieb vorgesehen ist. Zudem finden die Rechte des Betriebsrats bei der Festlegung von Auswahlrichtlinien zur Personalauswahl gemäß § 95 IIa BetrVG Anwendung, wenn diese Richtlinien ausschließlich oder mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz erstellt werden.

Virtuelle Betriebsratssitzungen

Die aufgrund der COVID-19-Pandemie gemäß § 129 BetrVG befristet vorgesehene Möglichkeit virtueller Betriebsratssitzungen endete zum 30. Juni 2021. Das BetrVG geht nun von dem Grundsatz der Präsenzsitzung mit physischer Anwesenheit der Mitglieder aus, wobei § 30 II BetrVG Mitgliedern des Betriebsrats ermöglicht, unabhängig von der COVID-19-Pandemie, an Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz – auch als Hybridsitzung – teilzunehmen. Die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen sind in der Geschäftsordnung des Betriebsrats festzuhalten (§ 30 II Nr. 1 BetrVG). Die Nutzung von Video- oder Telefonkonferenzen ist nur dann zulässig, wenn nicht zuvor ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats diesem Verfahren widersprochen hat (§ 30 II Nr. 2 BetrVG). Ferner ist sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können (§ 30 II Nr. 3 BetrVG).

Die Entscheidung über die Durchführung virtueller Betriebsratssitzungen obliegt dem Betriebsrat. Der Arbeitgeber hat keine Möglichkeit, eine virtuelle Durchführung zu erzwingen. Der Betriebsrat muss bei der Ausgestaltung allerdings den grundsätzlichen Vorrang von Präsenzsitzungen beachten. So wären bspw. die jährlichen virtuellen Sitzungstage auf eine bestimmte Anzahl zu begrenzen oder nur für bestimmte Sachthemen vorzusehen.

Verstößt die Durchführung einer (teil)virtuellen Betriebsratssitzung gegen die gesetzlichen Vorgaben des § 30 BetrVG, sind in diesen Sitzungen gefasste Betriebsratsbeschlüsse unwirksam. Dies wäre bspw. der Fall, wenn der Betriebsrat keine Voraussetzungen für die Teilnahme und Durchführung virtueller Betriebsratssitzungen in seiner Geschäftsordnung festgelegt hat oder die Regelungen in der Geschäftsordnung den Vorrang der Präsenzsitzung missachten. Beschlüsse sind auch dann unwirksam, wenn die Regelungen in der Geschäftsordnung zwar den Vorgaben des § 30 BetrVG entsprechen, im konkreten Fall aber nicht eingehalten werden. Die Durchführung einer reinen Präsenzsitzung trotz Vorliegens der Voraussetzungen für eine (teil)virtuelle Sitzung, führt indes nicht zur Unwirksamkeit gefasster Beschlüsse.

Die Neuregelung sieht hingegen keine (teilweise) Durchführung virtueller Einigungsstellen vor. Dies ist insofern nicht nachvollziehbar, als der bisherige § 129 II BetrVG eine entsprechende Anwendung der Regelung zu virtuellen Betriebsratssitzungen auf Einigungsstellen explizit vorsah und Vertreter der Anwaltschaft und auch Betriebsräte eine dauerhafte Etablierung der Regelung ausdrücklich begrüßten.

Fazit

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung, im Ergebnis aber nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Modernisierung der Betriebsverfassung in einer digitalen Arbeitswelt. Das neue Mitbestimmungsrecht zur Ausgestaltung mobiler Arbeit hat wegen bereits bestehender Mitbestimmungsrechte keinen erkennbaren eigenen Anwendungsbereich. Die Stärkung der Rechte des Betriebsrats beim Einsatz Künstlicher Intelligenz schafft mangels subsumierbarer Begriffsdefinition mehr Rechtsunsicherheit als Modernisierung. Die nun dauerhafte Möglichkeit, Betriebsratssitzungen (teilweise) virtuell abzuhalten, ist grundsätzlich zu begrüßen. Die gesetzliche Etablierung eines Vorrangs von Präsenzsitzungen und fehlende Regelung zu einer virtuellen Einigungsstelle erwecken allerdings nicht den Eindruck, der Gesetzgeber habe den Reformbedarf für die Betriebsverfassung aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt erkannt.

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