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Bundestag verabschiedet Gesetz zur Umsetzung der europäischen Verbandsklagenrichtlinie

Am 7. Juli 2023 hat der Bundestag das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher verabschiedet. Der Bundesrat wird nach der Sommerpause über das Gesetz beraten. Es wird daher voraussichtlich im Herbst in Kraft treten.

Die bisherige Musterfeststellungsklage und die von der Verbandsklagenrichtlinie vorgegebene neuartige Verbandsklage auf Leistung (die sogenannte Abhilfeklage) werden in einem neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) zusammengefasst. Ansprüche gleich welchen Gegenstands können danach von einem Verband für eine Vielzahl von Verbrauchern und kleinen Unternehmen gemeinsam geltend gemacht werden, sofern die Ansprüche „im Wesentlichen gleichartig“ sind. Mit der Abhilfeklage wird erstmals ein Rechtsschutzinstrument in das deutsche Recht eingeführt, das eine auf Schadensersatz gerichtete Sammelklage ermöglicht.

Die Kernpunkte des neuen Gesetzes sowie die Änderungen gegenüber dem Referenten- und Regierungsentwurf lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Kernpunkte

  1. Sämtliche Ansprüche von Verbrauchern (und kleinen Unternehmen) gegen Unternehmen können Gegenstand der neuen Abhilfeklage sein. Damit geht das Gesetz über die Richtlinie hinaus, die nur Ansprüche wegen Verstoßes gegen bestimmte Verbraucherschutzbestimmungen des EU-Rechts (einschließlich der nationalen Umsetzungsnormen) als Gegenstand vorgegeben hatte.

     

  2. Klageberechtigt sind qualifizierte Verbraucherverbände, die in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind und darüber hinaus nur geringen Einschränkungen unterliegen sowie solche, die im Verzeichnis der Europäischen Kommission eingetragen sind. Der Referentenentwurf orientierte sich noch an den erheblich strengeren Anforderungen für die Musterfeststellungsklage.
  3. Die Ansprüche müssen „im Wesentlichen gleichartig“ sein. Die Auslegung dieses Kriteriums wird entscheidend dafür sein, wie eng oder breit der Anwendungsbereich der Abhilfeklage künftig sein wird. Der einschränkende Zusatz „im Wesentlichen“ ist erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hinzugefügt worden.
  4. Das Gesetz sieht für die Abhilfeklage wie schon für die Musterfeststellungsklage ein Opt-in-Modell vor. Der Anspruchsinhaber muss sich der Klage also aktiv anschließen, sein Anspruch wird nicht automatisch erfasst wie bei einem Opt-out-Modell ähnlich einer US-amerikanischen Class Action.
  5. Das Opt-in zur Teilnahme an der Abhilfeklage und zur Verjährungshemmung muss spätestens drei Wochen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung erfolgen. Ein Urteil darf frühestens sechs Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung erlassen werden. Die Entscheidung über die Anmeldung bzw. Rücknahme der Anmeldung muss also in Unkenntnis des Verfahrensausgangs erfolgen, kann aber eine vorläufige Einschätzung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung berücksichtigen.
  6. Das Gericht kann das beklagte Unternehmen zur Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags verurteilen, dessen Höhe es unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bestimmen kann. Ein Sachwalter wird mit der Verteilung des Gesamtbetrags an die teilnehmenden Verbraucher beauftragt. Die hierfür anfallenden Kosten hat das beklagte Unternehmen zu tragen.
  7. Es werden Vorgaben für eine zulässige Drittfinanzierung gemacht, die vor Missbrauch schützen sollen. Ob diese ausreichen, um das Wachsen einer Klageindustrie zu verhindern, bleibt abzuwarten.
  8. Insgesamt ist die von der Richtlinie bereits vorgegebene Einführung der Abhilfeklage für Unternehmen mit einem erheblichen Risiko verbunden, Adressat von hochvolumigen, gebündelten Schadensersatzklagen zu werden.
  9. Sammelinkassoklagen, bei denen Ansprüche an ein Klagevehikel abgetreten werden, sowie massenhaft erhobene Individualklagen können auch weiterhin erhoben werden. Sie werden durch die neuartige Abhilfeklage nicht ausgeschlossen und werden wohl auch weiter relevant bleiben.

Anwendungsbereich der Abhilfeklage

Nach der Richtlinie muss das Verbandsklageverfahren nur bei Verletzung von bestimmten Verbraucherschutzbestimmungen des EU-Rechts (einschließlich der nationalen Umsetzungsnormen) zur Verfügung stehen. Diese Einschränkung hat das Gesetz nicht übernommen. Danach ist die Abhilfeklage in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen verfügbar. Damit können beispielsweise auch Kartellschadensersatzansprüche, deren Einbeziehung von der Richtlinie nicht vorgegeben war, sowie allgemein deliktische Ansprüche möglicher Gegenstand von Abhilfeklagen sein. Im Gesetz ist nun auch die Klage durch mehrere Einrichtungen oder gegen mehrere Unternehmen gemeinschaftlich möglich.

Die Abhilfeklage ist jedoch nur zulässig, wenn die geltend gemachten Ansprüche „im Wesentlichen gleichartig“ sind. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollte die Ähnlichkeit der Ansprüche so stark ausgeprägt sein, dass eine schablonenhafte Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Gericht möglich ist. Im Gesetzgebungsverfahren wurde das Kriterium „gleichartig“ durch den einschränkenden Zusatz „im Wesentlichen“ gelockert.

Das Gericht soll sich nicht mit diversen unterschiedlichen Rechtsfragen befassen müssen, die individuell abweichende Fallkonstellationen aufwerfen. Als paradigmatisch wurden in der Begründung des Regierungsentwurfs die Fälle der pauschalierten Fluggastentschädigung genannt, für die individuelle Umstände bei den Passagieren desselben Flugs keine Rolle spielen. Die Berechenbarkeit des Anspruchs nach einer bestimmten Formel (z.B. bei unwirksamen Zinsanpassungsklauseln in Sparverträgen, schon bisher ein häufiger Gegenstand von Musterfeststellungsklagen) sollte das Kriterium der Gleichartigkeit ebenfalls erfüllen. Die Ansprüche müssen im Wesentlichen auf vergleichbaren Sachverhalten beruhen und für sie müssen – ebenfalls im Wesentlichen – die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sein. Einzelne Unterschiede zwischen den von einer Abhilfeklage betroffenen Ansprüchen sollen deren Durchsetzung in einem einheitlichem Verfahren nicht entgegenstehen, solange eine effektive Prozessführung gewahrt und die Bündelung daher prozessökonomisch sinnvoll bleibt.  

Das Kriterium der Gleichartigkeit birgt auch nach Hinzufügen des Zusatzes „im Wesentlichen“ viel Raum für Diskussion und ist gleichzeitig maßgeblich dafür, wie eng oder breit der Anwendungsbereich der Abhilfeklage künftig sein wird.

Erstreckung der Abhilfeklage auf kleine Unternehmen

Wenn eine Abhilfeklage für Verbraucher erhoben wird, ist der Beitritt dazu auch für kleine Unternehmen möglich, sofern diese gleichermaßen betroffen sind. Kleine Unternehmen sind solche, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz oder Jahresbilanz EUR 2 Mio. nicht übersteigt. Damit weicht das Gesetz im Umfang erheblich vom Regierungsentwurf ab, der die Grenze noch bei 50 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz/einer Jahresbilanz von maximal EUR 10 Mio. zog. Zudem geht das Gesetz damit auch über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Dies könnte bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen relevant werden, die in bestimmten Fällen sowohl Verbraucher als auch kleine Unternehmen betreffen können. Hier wird besonderes Augenmerk auf die Frage der Gleichartigkeit der Ansprüche zu legen sein, weil Unternehmen und Verbraucher häufig auf unterschiedlichen Marktstufen betroffen sein dürften.

Klageberechtigung – Finanzierung – Schutz vor Missbrauch

Der Regierungsentwurf orientierte sich bei den Anforderungen an die klageberechtigten Verbände noch an den strengen Anforderungen an die klageberechtigten Verbände im Rahmen der Musterfeststellungsklage. Danach mussten die Verbände beispielsweise bereits vier Jahre registriert sein und durften nicht gewerbsmäßig tätig sein oder eine Klage mit Gewinnerzielungsabsicht erheben. Diese Anforderungen wurden im Gesetzgebungsverfahren wesentlich gelockert.

Klageberechtigt ist ein Verbraucherverband nach dem Gesetz bereits dann, wenn er in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen ist und nicht mehr als 5 % seiner finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen bezieht. Die Herkunft der Mittel, mit denen die Klage finanziert wird, bzw. etwaige Vereinbarungen mit Dritten über diese Mittel sind dem Gericht offenzulegen.

Eine Finanzierung durch Dritte ist zwar grundsätzlich zulässig, ist aber dann ausgeschlossen, wenn (a) der Prozessfinanzierer ein Wettbewerber des verklagten Unternehmers ist, (b) er vom verklagten Unternehmer abhängig ist, (c) ihm ein wirtschaftlicher Anteil an der vom verklagten Unternehmer zu erbringenden Leistung von mehr als 10 % versprochen ist oder (d) von dem zu erwarten ist, dass er die Prozessführung der klageberechtigten Stelle, einschließlich Entscheidungen über Vergleiche, zu Lasten der Verbraucher beeinflussen wird. Die Höchstbeteiligung von 10 % ist erst spät im Gesetzgebungsverfahren eingefügt worden. Ungeachtet entsprechender Stellungnahmen aus dem Kreis der Prozessfinanzierer lässt das Gesetz offen, auf welcher Grundlage ein Finanzierer überhaupt am Erfolg partizipieren kann. Denn es muss sichergestellt werden, dass dem Verbraucher die zugesprochene Leistung ungeschmälert zu Gute kommt. Für eine Übernahme der Finanzierungskosten durch das beklagte Unternehmen als Teil der Kosten der Rechtsverfolgung fehlt auch jede Grundlage.

Das Gesetz enthält keine neuen an eine US-Discovery angelehnten Regelungen zur Offenlegung von Beweismitteln. Zwar werden die schon nach bisherigem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Anordnung von Offenlegungen nunmehr auch gegenüber den Parteien durch Sanktionen erzwingbar, das dürfte jedoch nichts an der restriktiven Handhabung derselben durch die Gerichte ändern.

Opt-in und Verjährung

Um an der Abhilfeklage teilzunehmen und von deren verjährungshemmender Wirkung zu profitieren, müssen Verbraucher ihre Ansprüche spätestens drei Wochen nach der letzten mündlichen Verhandlung zum Verbandsklageregister anmelden.

Während ein Opt-out-Modell nicht ernsthaft vorgeschlagen wurde, war der Zeitpunkt des Opt-in Gegenstand kontroverser Diskussion. Der Referentenentwurf verlangte noch ein Opt-in spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung, entsprechend der 2018 eingeführten Musterfeststellungsklage. Im Regierungsentwurf wurde ein Opt-in bis spätestens zwei Monate nach der ersten mündlichen Verhandlung vorgeschlagen. In der Literatur wurde ein später Opt-in, auch noch nach einem Vergleich oder Urteil, vorgeschlagen. In Kombination mit einer Verjährungshemmung für alle betroffenen Verbraucher bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Abhilfeklage wäre dies im Ergebnis einem Opt-out-Modell nahegekommen. Verbraucher hätten abwarten können, wie über die Abhilfeklage rechtskräftig entschieden wird, und dann auch noch nach Jahren ohne Verjährungsrisiko ihre Ansprüche geltend machen können. Diesem Vorschlag folgt das Gesetz nicht. Allerdings wird durch die Verlängerung des Opt-in bis drei Wochen nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung das Risiko für die Unternehmen erheblich erhöht. Wenn das Gericht eine positive vorläufige Einschätzung zu erkennen gibt, kann dies weitere Anmeldungen zur Folge haben. Die verjährungshemmende Wirkung der Anmeldung wirkt auf den Zeitpunkt der Erhebung der Abhilfeklage zurück.

Anders als noch bei der Musterfeststellungsklage ist für die Zulässigkeit der Abhilfeklage dagegen nicht erforderlich, dass mindestens 50 Verbraucher den Opt-in erklärt haben. Vielmehr genügt es, wenn nachvollziehbar dargelegt – und nicht mehr, wie im Regierungsentwurf vorgesehen, glaubhaft gemacht – wird, dass 50 Verbraucher betroffen sein können. Die Anmeldung beim Bundesamt für Justiz ist zudem sehr niederschwellig ausgestaltet (kein Anwaltszwang, Textform, keine Kosten).

Urteil und Umsetzung

Das Gesetz sieht ein dreistufiges Konzept vor: Zunächst kann das Gericht ein Abhilfegrundurteil erlassen, wenn es die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt hält. Das Urteil darf nicht früher als sechs Wochen nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ergehen. Auf dieser Basis soll es dann die Möglichkeit zu Vergleichsgesprächen geben. Kommt es nicht zu einem Vergleich, kann das Gericht ein Abhilfeendurteil erlassen, in dem ein kollektiver Gesamtbetrag für alle Anspruchsteller ausgeurteilt werden kann. Dieser Betrag ist vom verurteilten Unternehmen in einen Umsetzungsfonds zu zahlen. Mit der Umsetzung, d.h. der Verteilung des Gesamtbetrags an die Anspruchsteller, wird ein Sachwalter beauftragt. Wenn beide Parteien dies beantragen und Vergleichsbemühungen aussichtslos erscheinen, ergeht kein Abhilfegrundurteil, sondern direkt ein Abhilfeendurteil.

Das Gericht kann den kollektiven Gesamtbetrag unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung bestimmen. Dabei ist eine Schätzung möglich, bei der das Gericht einen denkbaren Höchstbetrag zugrunde legen darf. Aus Beklagtensicht ist wichtig zu wissen, dass der ausgeurteilte Betrag vorläufiger Natur ist. Mit seiner Zahlung ist die Angelegenheit daher nicht ohne weiteres abschließend erledigt. Wenn der Betrag nicht ausreicht, kann er auf Antrag nachträglich erhöht werden. Wenn sich nach Befriedigung der berechtigten Ansprüche herausstellt, dass der Betrag zu hoch ist, wird der Restbetrag wieder an das verurteilte Unternehmen ausgekehrt. Auch ein nur vorläufig festgesetzter kollektiver Gesamtbetrag kann dennoch eine erhebliche Liquiditätsbelastung darstellen.

Zur Verteilung des Gesamtbetrags unter den Anspruchstellern setzt das Gericht einen Sachwalter ein. Hierfür kommen nach der Begründung des Referentenentwurfs Rechtsanwälte, Steuerberater, Betriebswirte, Insolvenzverwalter oder Wirtschaftsprüfer in Betracht. Der Sachwalter prüft die individuelle Berechtigung der Anspruchsteller und befriedigt die Ansprüche aus dem Gesamtbetrag. Die Kosten der Umsetzung einschließlich der Vergütung des Sachwalters sind vom verurteilten Unternehmen zu tragen.

Sofern das beklagte Unternehmen individuelle Einwendungen betreffend den geltend gemachten Anspruch hat, die vom Sachwalter nicht anerkannt wurden, kann es diese seinerseits im Wege des Widerspruchs gegen die Entscheidung des Sachwalters und gegebenenfalls einer Klage geltend machen. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall für den Verbraucher.

Fazit

Das Gesetz schafft ein Klagemodell, das für (vermeintlich) Geschädigte und ihre Dienstleister attraktiver sein wird als die bisher vorgesehenen gesetzlichen Rechtsschutzinstrumente, weil es erstmals eine auf Schadensersatz gerichtete Sammelklage ermöglicht.

Allerdings können Sammelinkassoklagen, bei denen Ansprüche an ein Klagevehikel abgetreten werden, sowie massenhaft erhobene Individualklagen auch weiterhin parallel erhoben werden. Sie werden durch die neuartige Abhilfeklage nicht ausgeschlossen und werden wohl auch weiter relevant bleiben. Die Einschätzung der Bundesregierung, dass durch die Abhilfeklage massenhaft erhobene Individualklagen in größerem Umfang wegfallen werden, erscheint jedenfalls zu optimistisch.

Die neue Abhilfeklage ist vielmehr ein zusätzliches Rechtsschutzinstrument, das von Klägern gewählt werden kann. Mit einer Zunahme von Klagen und einer Erhöhung der finanziellen Risiken für Unternehmen ist daher zu rechnen.

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