
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Apotheken und Online-Marktplätzen haben in den letzten Jahren zu einer Vielzahl teilweise divergierender Gerichtsentscheidungen und damit verbundener Rechtsunsicherheit für entsprechende Kooperationen geführt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun in einem aktuellen Urteil (Az.: BGH I ZR 46/24) bislang umstrittene Rechtsfragen zur Auslegung der §§ 8, 11 des Apothekengesetzes (ApoG) höchstrichterlich geklärt und dabei die Möglichkeiten zur Kooperation zwischen Apotheken und Online-Plattformen erweitert.
A. Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens war ein Online-Marktplatz, über den Kunden von den Partnerapotheken der Plattform insbesondere verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel beziehen konnten. Im Gegenzug zahlten die Partnerapotheken an die Plattform eine monatliche Grundgebühr von EUR 399,- sowie eine Transaktionsgebühr in Höhe von 10% für den Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Medikamente. Umstritten war, ob die Zusammenarbeit wegen der Möglichkeit zur Weiterleitung von Verordnungen sowie wegen der vereinbarten Vergütung gegen die §§ 8, 11 ApoG verstieß. Das Landgericht Karlsruhe hatte in erster Instanz der Klage stattgegeben, während das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in zweiter Instanz teilweise zugunsten des Online-Marktplatzes entschied.
B. Die Entscheidung des BGH
Der BGH stellte zunächst im Rahmen der Zulässigkeit klar, dass der Abschluss von Partnerverträgen zwischen Plattformen und Apotheken zum Vertrieb von Arzneimitteln über den Online-Marktplatz geeignet ist, den Wettbewerb der nicht teilnehmenden Apotheken zu beeinträchtigen. Dies gelte unabhängig vom Sitz der jeweiligen, den Vertrag mit der Plattform schließenden, Apotheke – die Klagebefugnis bestünde insoweit ortsunabhängig.
In der Sache entschied der BGH jedoch zugunsten der Plattform und stellte fest, dass die Kooperation weder gegen das Rezeptmakelverbot gemäß § 11 Abs. 1a ApoG noch gegen das Verbot der Beteiligung an Apothekenumsätzen gemäß § 8 ApoG verstößt.
Kein Verstoß gegen das Rezeptmakelverbot
Der 1. Zivilsenat des BGH bestätigte die Auffassung des Berufungsgerichts, dass § 11 Abs. 1a ApoG einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem gewährten Vorteil und den dort genannten Hand-lungen erfordert. Das Entgelt müsste gezielt für die Weiterleitung oder Vermittlung von Verschreibungen gezahlt werden. Dies treffe auf die Marktplatz-Infrastruktur nicht zu, da die monatliche Grundgebühr unabhängig davon anfalle, ob und wie viele Arzneimittel über die Plattform verkauft werden. Diese Auslegung stützt der BGH auf den Wortlaut, die Systematik und den Schutzzweck der Norm. Dabei zieht das Gericht eine Parallele zum ärztlichen Berufsrecht: Auch dort ist es verboten, für die Zuweisung von Patienten Entgelte oder andere Vorteile zu gewähren oder anzunehmen. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH setzt ein Verstoß dort voraus, dass zwischen der Patientenvermittlung und dem gewährten Vorteil ein direkter Zusammenhang besteht – was nicht gegeben ist, wenn die Zahlung nicht als Provision für eine konkrete Vermittlung erfolgt. Die Erforderlichkeit eines solchen Zusammenhangs zwischen Tathandlung und Vorteil nimmt der BGH insoweit auch für die Anwendung des § 11 Abs. 1a ApoG an. Der Schutzzweck der Norm sei nur dann berührt, wenn eine Internetplattform einen so starken wirtschaftlichen Druck auf niedergelassene Apotheken ausübt, dass diese sich aus Angst vor Verlust von Verschreibungen anschließen müssten. Im vorliegenden Fall sei dies jedoch nicht gegeben, da die Grundgebühr nicht für die Vermittlung oder das Sammeln von Rezepten erhoben wird, sondern lediglich für die Bereitstellung der Marktplatz-Infrastruktur.
Keine Beeinträchtigung der Apothekenwahlfreiheit
Auch eine Einschränkung der freien Apothekenwahl gemäß § 31 Abs. 1 Satz 5 SGB V sieht der BGH nicht. Die Plattform zeigt nur die Apotheken an, die einen Partnervertrag abgeschlossen haben. Die Entscheidung des Kunden, diese Plattform zu nutzen, stellt lediglich eine Konkretisierung seines Wahlrechts dar. Seine Wahlfreiheit sei nicht eingeschränkt.
Umsatzabhängige Gebühr und wirtschaftliche Abhängigkeit
Abweichend von der Entscheidung des OLGs kommt der BGH zudem zu dem Schluss, dass die Erhebung einer Gebühr in Höhe von 10 % des Nettoverkaufspreises bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht grundsätzlich gegen § 8 Satz 2 ApoG verstößt. Die Vorschrift beinhaltet das Verbot der Überlassung von Vermögenswerten zu einer am Umsatz oder Gewinn ausgerichteten Vergütung. Das OLG war noch davon ausgegangen, dass die Bereitstellung der Infrastruktur zum Vertrieb einen Vermögenswert darstelle, welcher der teilnehmenden Apotheke umsatzabhängig überlassen werde. Dem entgegnete der BGH nun, dass der Regelungszweck der Norm – die berufliche Entscheidungsfreiheit des Apothekers vor wirtschaftlicher Abhängigkeit von Dritten zu schützen – durch eine Vergütung, die sich anteilig an einem Verkaufspreis bemisst, nicht schon im Grundsatz berührt wird.
Die Zurverfügungstellung der digitalen Infrastruktur könne zwar grundsätzlich einen Vermögenswert im Sinne der Vorschrift darstellen. Eine umsatz- oder gewinnabhängige Vergütung im Sinne von § 8 Satz 2 ApoG kann jedoch erst angenommen werden, wenn Umsatz und Gewinn der Apotheke zu einem wesentlichen Teil auf den Geschäften beruhten, auf die die entsprechende Gebühr gezahlt wird.
Ob die Transaktionsgebühr von jeweils 10 % des Verkaufspreises im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Apotheken verursacht, hat der BGH zur Entscheidung an das OLG Karlsruhe zurückverwiesen. Dafür muss das OLG nun ermitteln, welchen Anteil an Umsatz und Gewinn der Vertrieb von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln über die Plattform insgesamt bei den Apotheken ausmacht.
B. Fazit und Ausblick
Die Entscheidung des BGH schafft mehr Rechtssicherheit für die Zusammenarbeit von Apotheken und Online-Marktplätzen und ist daher sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu begrüßen. Damit steht zugleich fest, dass Plattform- und Marktplatzmodelle mit dem geltenden Apothekenrecht grundsätzlich vereinbar sind, auch wenn über die Plattform nur die vertraglich mit der Plattform kooperierenden Apotheken von den Kunden ausgewählt werden können. Offen bleibt, wann eine Apotheke einen „wesentlichen Anteil“ ihres Umsatzes über die Verkäufe auf einer Plattform erwirtschaftet und damit eine rote Linie im Hinblick auf § 8 Satz 2 ApoG überschreitet. Aller Voraussicht nach wird das OLG unter Anwendung der Maßstäbe des BGH eine solche Abhängigkeit vorliegend nicht feststellen können, zumal deutsche Apotheken im Durchschnitt weniger als ca. 8 % ihres Umsatzes mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erwirtschaften und davon im Regelfall nur einen Bruchteil über Marktplätze bzw. Plattformen.
