Der BGH hat mit Urteil vom 23. April 2024 (II ZR 99/22) entschieden, dass bei einem Verstoß eines GmbH-Geschäftsführers gegen ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot die Karenzentschädigung rückwirkend verfallen kann.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung aufgrund eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Der Beklagte war Geschäftsführer der als GmbH firmierenden Klägerin. Im Anstellungsvertrag vereinbarten die Parteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von zwei Jahren, nach dem alle Unternehmen als Konkurrenzunternehmen angesehen werden, die räumlich und gegenständlich im Geschäftszweig der Klägerin tätig sind oder werden können. Als Gegenleistung sollte die Klägerin dem Beklagten eine monatliche Karenzentschädigung in Höhe von 50 % der zuletzt bezogenen Monatsbezüge zahlen. Im Anstellungsvertrag war zudem geregelt, dass die Karenzentschädigung bei einem Verstoß gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot rückwirkend (ex tunc) entfällt und eine bereits anteilig gezahlte Karenzentschädigung zurückzuzahlen ist. Nachdem die Klägerin den Beklagten im Mai 2012 als Geschäftsführer abberufen, der Verlängerung des Anstellungsvertrages widersprochen und ihn vorsorglich ordentlich gekündigt hatte, zahlte sie ihm in der Folgezeit keine Karenzentschädigung. Ab Juni 2013 war der Beklagte bei einem Konkurrenzunternehmen der Klägerin als Geschäftsführer tätig. Auf eine Klage der Klägerin erhob der Beklagte Widerklage und forderte die Zahlung der Karenzentschädigung nebst Zinsen. Das Landgericht Berlin wies diese Widerklage erstinstanzlich ab. Das Kammergericht Berlin änderte die Entscheidung ab und gab der Widerklage teilweise statt.
Entscheidung
Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der BGH stellte die Entscheidung des Landgerichts mit seinem Urteil vom 23. April 2024 wieder her, da der Anspruch des Beklagten auf Zahlung der Karenzentschädigung wegen einer verbotenen Konkurrenztätigkeit rückwirkend und vollständig verfallen sei:
- Zunächst stellte der BGH fest, dass es sich bei der Klausel zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot im konkreten Fall nicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) handele, weshalb keine AGB-Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB durchzuführen sei. Da die §§ 74 ff HGB nur für Arbeitnehmer, nicht aber für Geschäftsführer gelten, prüfte der BGH das nachvertragliche Wettbewerbsverbot nur am Maßstab der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 BGB. Vor dem Hintergrund der grundgesetzlich geschützten Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) eines Geschäftsführers sei ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nur dann gerechtfertigt und nicht gem. § 138 BGB sittenwidrig, wenn und soweit es notwendig sei, um den Vertragspartner vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge seiner Arbeit durch den anderen Vertragspartner zu schützen. Dabei dürfe es in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten. Ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot diesen Anforderungen entspreche, sei unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls durch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen zu ermitteln.
- Gemessen an diesen Voraussetzungen sei das nachvertragliche Wettbewerbsverbot – insofern stimmen BGH und Berufungsgericht überein – wirksam vereinbart worden. Anders als das Berufungsgericht hält der BGH jedoch auch die Klausel zum rückwirkenden Verfall der Karenzentschädigung für nicht unbillig und damit für wirksam. Dies begründet der 2. Senat des BGH mit seiner ständigen Rechtsprechung zur Höhe der Karenzentschädigung bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit Geschäftsführern. Danach müsse dem Geschäftsführer einer GmbH – anders als einem Arbeitnehmer – keine Karenzentschädigung versprochen oder gezahlt werden, wenn mit ihm ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart werde. Wenn der Arbeitgeber trotzdem eine Karenzentschädigung verspreche, könne die Höhe frei vereinbart werden. Daraus zieht der 2. Senat den Schluss, dass auch ein rückwirkender Wegfall der Karenzentschädigung wirksam für den Fall vereinbart werden könne, dass der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstoße.
- Eine andere Beurteilung der Klausel zum rückwirkenden Verfall sei auch nicht deshalb geboten, weil sie keine Sanktion für etwaige Pflichtverletzungen des Arbeitgebers enthalte. Es sei schon nicht erkennbar, worin eine solche Pflichtverletzung des Arbeitgebers liegen könne. Den Einwand, dass es sich bei der Karenzentschädigung um eine nicht entziehbare Einkommensersatzleistung handele, wies der BGH mit dem Argument zurück, dass die Klägerin sogar einseitig auf das Wettbewerbsverbot hätte verzichten können.
- Die Karenzentschädigung sei schließlich rückwirkend entfallen, da der Beklagte durch seine Tätigkeit als Geschäftsführer für ein Konkurrenzunternehmen gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen habe. Im Übrigen sei es der Klägerin auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Klausel zum rückwirkenden Verfall zu berufen, nur, weil sie die monatlich fällige Karenzentschädigung nicht gezahlt habe. Dieser Einwand könne allenfalls bei einer ernsthaften und endgültigen Zahlungsverweigerung in Betracht kommen, wenn die Klägerin die Konkurrenztätigkeit quasi „herausgefordert“ hätte.
Gleiss Lutz kommentiert
Mit der aktuellen Entscheidung schreibt der BGH seine Rechtsprechung zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot mit GmbH-Geschäftsführern fort. Zunächst bestätigt der 2. Senat seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 26. März 1984 – II ZR 229/83; Beschluss vom 7. Juli 2008 – II ZR 81/07), nach der mit dem Geschäftsführer einer GmbH keine Karenzentschädigung vereinbart werden muss. Diese Aussage gilt indes nicht uneingeschränkt, da das gänzliche Fehlen einer Karenzentschädigung immerhin noch bei der Frage eine Rolle spielt, ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot angesichts des Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des Geschäftsführers einer Kontrolle nach § 138 BGB standhält. Dies dürfte z.B. bei einem entschädigungslosen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot für die Dauer von zwei Jahren stark zu bezweifeln sein.
Neu ist jedenfalls der Schluss, den der BGH in Anknüpfung an seine bisherige Rechtsprechung zieht und nun eine vertragliche Klausel für wirksam erachtet, nach der die versprochene Karenzentschädigung bei einem Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot gänzlich und rückwirkend entfällt. Aufgrund dieser Aussage dürfte zu erwarten sein, dass zukünftig vermehrt Klauseln zum rückwirkenden Verfall der Karenzentschädigung in die Anstellungsverträge von Geschäftsführern integriert werden. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten: Der aktuelle Fall wies die Besonderheit auf, dass die Wettbewerbsklausel keine AGB war und deshalb vom BGH auch keiner AGB-Kontrolle unterzogen wurde. Da ein Geschäftsführer aber grundsätzlich Verbraucher gem. § 13 BGB ist, dürfte in anderen Sachverhaltskonstellationen regelmäßig eine AGB-Kontrolle der in Rede stehenden Klausel angezeigt sein. Ob eine solche Klausel dann einer Einzelfallprüfung anhand §§ 307, 309 Nr. 6 BGB standhält, bleibt abzuwarten (zweifelnd Denninger, NZG 2024, 1077).
Zu beachten ist außerdem, dass die Entscheidung nicht für ein mit einem Arbeitnehmer vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot anzuwenden ist, da insoweit die zwingenden Vorschriften der §§ 74 ff. HGB gelten. Ohne vertraglich vereinbarte Karenzentschädigung ist das mit einem Arbeitnehmer vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot unwirksam.