Seit Inkrafttreten der ersten Stufe des Bundesteilhabegesetzes zum 30. Dezember 2016 ist die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer. Umstritten ist, zu welchem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen ist. Die Instanzgerichte beurteilen diese Frage bislang nicht einheitlich. Das BAG hat jüngst entschieden, dass eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führt.
Ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung als Wirksamkeitsvoraussetzung
Arbeitgeber sind verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung gilt auch bei Kündigungen und ist als solche nicht neu. Ihre Missachtung war in der Vergangenheit mit Blick auf die Wirksamkeit der Kündigung allerdings folgenlos. Durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen („Bundesteilhabegesetz“) wurden die Rechtsfolgen einer unterbliebenen oder fehlerhaften Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung deutlich verschärft. Seit dem 30. Dezember 2016 ist die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne ordnungsgemäße Beteiligung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung unwirksam, § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n.F. (§ 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX a.F.).
Zeitpunkt der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung tritt neben die Anhörung des Betriebsrats und das Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt. Das Gesetz lässt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen muss. Umstritten ist insbesondere, ob aus dem Erfordernis einer „unverzüglichen“ Unterrichtung eine Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung noch vor dem Antrag auf Zustimmung des Integrationsamtes folgt.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts Hagen (Urteil vom 6. März 2018 – 5 Ca 1902/17; Berufung eingelegt beim LAG Hagen unter dem Az. 15 Sa 426/18) muss die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung am Beginn der vom Arbeitgeber zu treffenden Maßnahmen stehen. Der Antrag beim Integrationsamt dürfe daher erst nach Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung erfolgen. Andernfalls könne die Schwerbehindertenvertretung nicht mehr an der Willensbildung des Arbeitgebers mitwirken, sondern allenfalls noch darauf hinwirken, dass dieser seine bereits getroffene Entscheidung revidiert. Das LAG Sachsen (Urteil vom 8. Juni 2018, 5 Sa 458/17) hat entschieden, dass die Schwerbehindertenvertretung zwar nicht erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und/oder der Anhörung des Betriebsrats beteiligt werden dürfe, ihre Unterrichtung und Anhörung aber nicht schon vor der Einleitung der anderen Beteiligungsverfahren abgeschlossen sein müsse.
Das BAG hat die Entscheidung des LAG Sachsen mit Urteil vom 13. Dezember 2018 (Az.: 2 AZR 378/18) aufgehoben. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen sei nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt und nach Anhörung des Betriebsrats beteiligt habe. Da der Senat anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung im Übrigen nicht abschließend beurteilen konnte, hat er die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG Sachsen zurückverwiesen.
Gleiss Lutz Kommentar
Das BAG hat bereits mehrfach entschieden, dass die Anhörung des Betriebsrats auch während des Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt oder erst nach dessen Abschluss erfolgen kann. Die Entscheidung des BAG zum Zeitpunkt der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung liegt bislang nur als Pressemitteilung vor. Das BAG scheint aber davon auszugehen, dass Gleiches auch für die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung gilt. Selbst eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach Anhörung des Betriebsrats soll ausreichen. Es bleibt abzuwarten, welche Bedeutung das BAG dem Erfordernis einer „unverzüglichen“ Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung beimisst.